Tokio Trotz des Taiwan-Konflikts werden die USA und China auf absehbare Zeit weiterhin Geschäfte miteinander machen, glaubt der angesehene Politikberater und Chef der Eurasia Group, Ian Bremmer. Statt eines echten Decouplings erwartet er ein schrittweises und unvollständiges Abrücken der Amerikaner. Mehr sei nicht im Interesse der US-Wirtschaft, sagte er dem Handelsblatt.
Die Unternehmen in den USA stünden einer Entkopplung kritisch gegenüber und übten entsprechend Einfluss aus. So gebe es zwar viele politische Themen, bei denen sich die USA und China nicht einig seien. „Aber der private Sektor, der in den USA sehr mächtig ist und die Politik mehr als in anderen Ländern bestimmt, engagiert sich sehr für den chinesischen Markt und möchte mehr investieren“, berichtet Bremmer. Zudem gebe es gegen China keine große globale Koalition wie gegen Russland – „und Biden weiß das“.
Ein Krieg um Taiwan ist aus Bremmers Sicht darum „äußerst unwahrscheinlich“. Taiwan sei zwar aus chinesischer Sicht das wichtigste Problem in den Beziehungen zu den USA. „Insgesamt mache ich mir aber deutlich weniger Sorgen über dieses Thema als die meisten Analysten“, sagte er am Rande des „GZero Summit“ der von ihm gegründeten Eurasia Group.
Hintergrund der jüngsten Eskalation ist ein Besuch der Sprecherin des US-Repräsentantenhauses, Nancy Pelosi in Taiwan Anfang August. Die chinesische Regierung startete daraufhin militärische Manöver rund um die Insel.
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US-Präsident Joe Biden warnte wiederholt, dass die USA Taiwan im Falle eines chinesischen Angriffs verteidigen würden. Zudem verabschiedete ein Ausschuss des US-Senats diesen Monat mit den Stimmen von Demokraten und Republikanern den Entwurf für einen „Taiwan Policy Act“, der den Status der von China beanspruchten Insel deutlich aufwerten und mehr Waffenverkäufe ermöglichen würde.
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Die Auswirkungen auf den Handel dürften laut Bremmer aber begrenzt sein: „Meine Grunderwartung ist keine vollständige, sondern eine schrittweise Entkopplung, die die Beziehung zwischen den USA und China nicht definieren wird.“ Dabei würden in beiden Ländern Fragen der nationalen Sicherheit diejenigen Felder bestimmen, die stärker getrennt werden sollten.
Die erste Belastungsprobe seiner These wird der G20-Gipfel im November in Indonesien, auf dem auch ein persönliches Treffen zwischen Biden und Chinas Staatschef Xi Jinping geplant ist. Schon das bilaterale Außenministertreffen vorige Woche sei gut verlaufen, sagt Bremmer. Für ihn ist das ein gutes Omen für das kommende Spitzengespräch: „Ich vermute, dass dieses Treffen dazu beitragen wird, die Beziehungen nach dem jüngsten ‚Sturm in der Teetasse‘ wegen Taiwan wieder auszugleichen und zu stabilisieren.“
Schließlich habe auch China kein Interesse an einer weiteren Eskalation, meint Bremmer. China brauche die taiwanesische Chipindustrie. Zudem hätten die Reaktionen auf den Ukrainekrieg der Führung in Peking gezeigt, wie riskant eine Invasion ist. In der Ukraine helfen nicht nur westliche Regierungen mit Waffen, sondern auch Technologiekonzerne. „Das bedeutet, dass China gegen US-Militärtechnik- und Technologieunternehmen in Taiwan kämpfen müsste“, meint Bremmer, „und das ist eine große Sache“.
Unternehmen sollten Chinastrategie hinterfragen
Einen Risikofaktor für die Sicherheitslage sieht Bremmer auf kurze Sicht in Washington. Einzelne hochrangige Politiker wie Pelosi betätigten sich als „Hobby-Außenpolitiker“. Diese habe ihren Besuch in Taiwan gegen die Bedenken Bidens durchgezogen. Dazu komme die Gefahr einer möglichen zweiten Amtszeit von Bidens Vorgänger Donald Trump.
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Bremmer befürchtet, dass sich Trump bei einer erneuten Präsidentschaft nicht mit Experten, sondern mit Loyalisten umgeben könnte, die sich ihm nicht entgegenstellen würden. „In dem Fall ist es möglich, dass die Beziehungen zwischen China und den USA an der politischen Dysfunktion in den USA zerbrechen“, sagt er.
Nach Einschätzung des Präsidenten der Eurasia Group hat die Führung in Peking kein Interesse an einem Krieg.
(Foto: Bloomberg)
Unternehmen rät Bremmer, sich zu fragen, „ob die Geschäftsmodelle, die sie vor 20, 30 Jahren bewogen haben, ihre Lieferketten nach China zu verlagern, heute noch gelten und ob sie in fünf Jahren noch gelten werden.“ Unter anderem stelle sich die Frage, inwieweit die Wirtschaft aufgrund nationaler Sicherheitsfragen in die Politik hineingezogen wird.
Als kritische Bereiche in der Zusammenarbeit mit China sieht er wichtige Infrastruktur, Quantencomputer und neue Mobilnetzwerktechnik. „Aber der Großteil der chinesischen Wirtschaft umfasst Sektoren und Marktzugang, an denen europäische Unternehmen sehr interessiert sind, und das wird sich auch nicht ändern.“
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