Brüssel Die EU-Energieminister haben am Freitag in Brüssel ein Krisenpaket gegen die hohen Strompreise beschlossen. Darin verpflichten sich die 27 Mitgliedstaaten zum Stromsparen. Auch wollen sie künftig die Übergewinne von Energiekonzernen abschöpfen und mit den Einnahmen Verbraucher und Unternehmen entlasten.
„Wir haben einen weiteren Teil des Puzzles fertiggestellt, aber es ist definitiv nicht der letzte“, sagte der tschechische Energieminister Josef Sikula, dessen Land die rotierende Ratspräsidentschaft innehat.
Bei der Vorstellung des Pakets vor einigen Wochen hatte die EU-Kommission geschätzt, dass die Staaten durch die Übergewinnabgabe 140 Milliarden Euro einnehmen könnten.
Seitdem sind die Gaspreise jedoch gefallen, entsprechend niedriger werden die Übergewinne der Unternehmen und damit die staatlichen Einnahmen ausfallen.
- Übergewinnabgabe für Stromanbieter: Der Strompreis wird durch das teuerste Kraftwerk bestimmt, das zur Produktion eingeschaltet wird – derzeit sind das vor allem Gaskraftwerke. Da jedoch auch Produzenten von billigerem Strom, etwa aus Sonne, Wind oder Atomkraft, von den hohen Preisen profitieren, sollen deren Einnahmen nun bei 180 Euro pro Megawattstunde gedeckelt werden.
- Öl- und Gaskonzerne sollen eine Solidaritätsabgabe von mindestens 33 Prozent ihrer Übergewinne zahlen.
- Die Staaten verpflichten sich, in Spitzenzeiten fünf Prozent ihres Stromverbrauchs einzusparen. So müssen teure Gaskraftwerke weniger häufig benutzt werden.
Im Streit um einen europäischen Gaspreisdeckel hingegen bleiben die Fronten verhärtet. 15 EU-Staaten fordern, alle Gasimporte nach Europa mit einer Preisobergrenze zu deckeln. Darunter sind Frankreich, Italien, Spanien, Polen, Belgien und Griechenland.
Sie argumentieren, dass nicht jedes Land so viel Geld wie Deutschland habe, um die hohen Gaspreise auszugleichen. Deshalb brauche man eine europaweite Lösung, um die Gaspreise zu drücken.
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Doch mehrere Teilnehmer sprachen sich entschieden gegen einen solchen Schritt aus, darunter Deutschland, Dänemark, die Niederlande und Österreich. Sie fürchten Lieferprobleme, wenn Europa den Lieferländern nicht mehr den Marktpreis zahlen will.
„Wir können keine Experimente auf dem Rücken der Versorgungssicherheit machen“, sagte die österreichische Energieministerin Leonore Gewessler. Sie habe noch keinen Vorschlag gesehen, der sicherstellt, dass genug Gas nach Europa kommt, wenn man nicht mehr den Marktpreis zahle. Die Versorgungssicherheit habe „höchste Priorität“.
EU-Kommissarin Simson plant Aktionsplan
Auch die estnische Energieministerin Riina Sikkut sagte, Versorgungssicherheit gehe vor Preis. Den Preis könne man durch Ausgleichszahlungen drücken, aber zuerst sei es wichtig, genug Gas für den Winter zu haben. Der beste Weg, um die Preise zu drücken, sei das Stromsparen.
Man habe sich noch nicht auf einen Gaspreisdeckel verständigen können, sagte EU-Energiekommissarin Kadri Simson in der anschließenden Pressekonferenz. Stattdessen sollen die Mitgliedstaaten nun weitere Vorschläge an die Kommission schicken.
Kommende Woche will Simson einen Aktionsplan zum weiteren Vorgehen vorstellen. Mehrere Minister forderten einen konkreten Zeitplan zur Einführung eines Gaspreisdeckels. Die Kommission müsse schnell einen konkreten Vorschlag vorlegen, sagte der Tscheche Sikula. „Ich bin bereit, so viele Krisensitzungen einzuberufen wie nötig.“
Strompreis: Wie die Abschöpfung der Übergewinne aussehen könnte
Experten zufolge sind mit Blick auf die Gewinnabschöpfung noch viele Fragen offen. Georg Zachmann vom Brüsseler Bruegel-Institut sagt, dass man in Deutschland wohl die Infrastruktur des Erneuerbaren-Energien-Gesetzes nutzen könne. „Damit ist das administrativ wohl relativ einfach.“
Es bleibe aber das Problem, dass Strom teilweise schon Jahre im Voraus zu anderen Preisen gekauft werde. Derlei Transaktionen müssten ausgenommen werden, sagt Zachmann. Auch nach Ansicht von Lion Hirth von der Hertie School in Berlin ist das nicht einfach. Eine Megawattstunde Strom werde auf den Terminmärkten teils etliche Male gehandelt.
Markteingriffe auf dem Großhandel seien extrem kompliziert, sagt Hirth. „Und es besteht die reale Gefahr, dass da etwa ein Instrument, was im Prinzip funktionieren kann und dem Ansatz nach auch möglich ist, wegen einer der vielen Schwierigkeiten bei der Implementierung am Ende mehr Schaden anrichtet als Gutes tut.“
„Ich bin eher pessimistisch, dass es dieses Jahr noch klappt, aber optimistisch, dass es diesen Winter noch klappen kann, wenn alle an einem Strick ziehen“, sagt Experte Hirth. Das hänge auch davon ab, ob der Staat bereit sei, Entlastungen vorzufinanzieren, bevor das Geld eingesammelt wird.
Bundesfinanzminister Christian Lindner hat immer wieder betont, er wolle an der Schuldenbremse festhalten. Sie erlaubt dem Bund nur in geringem Maße, neue Kredite aufzunehmen.
Grundsätzlich befürchten die Ökonomen, dass die Maßnahmen nicht ausreichen werden. „Da bin ich relativ überzeugt davon, dass das das Problem nicht in seiner Gänze lösen wird und dass dann auch die Diskussionen nicht zu Ende sein werden“, sagt Zachmann.
Mehrere Minister drängten auch auf einen gemeinsamen Gaseinkauf. Deutschland und Frankreich hatten dies in einem gemeinsamen Positionspapier gefordert, andere schlossen sich an.
Der Einkauf müsse künftig über die EU-Plattform erfolgen, forderte Luxemburgs Energieminister Claude Turmes. Die Kommission könne das nicht allein organisieren, sondern brauche die Unterstützung der großen Mitgliedstaaten.
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Turmes nannte Deutschland, Frankreich, Italien, Spanien, die Niederlande und Österreich. Diese sechs Länder stünden für mehr als 60 Prozent des europäischen Gasverbrauchs. „Sie müssen dafür sorgen, dass diese Plattform funktioniert.“
Bundeswirtschaftsminister Robert Habeck (Grüne) sagte, die Gaskosten müssten runtergebracht werden. „Es gibt Instrumente, die meiner Ansicht nach sofort ergriffen werden sollten“, sagte er. „Dazu gehört beispielsweise eine Einkaufsgemeinschaft, dass wir die Marktmacht Europa klug einsetzen auf den Weltmärkten, koordiniert agieren und damit die Preise runterbringen.“
Als Vorbild nannte er die deutsche Plattform THE. Diese organisiere große Einkaufsmengen und agiere inzwischen am Markt so, dass sie nicht mehr zu jedem Preis kaufe. „Die Speicher sind gut gefüllt. Wir sind nicht mehr in einer erpressbaren Situation.“
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