Berlin Der Grünen-Politiker und Geheimdienstexperte Konstantin von Notz hat vor russischen Angriffen auf kritische Infrastruktur (Kritis) wie Internet-Unterseekabel gewarnt. „Um den Schutz der kritischen Infrastrukturen auf unseren Meeresböden steht es leider sehr schlecht. Die Anfälligkeit unter Wasser liegender Leitungen für Spionage und Sabotage ist hoch“, sagte der Vorsitzende des parlamentarischen Kontrollgremiums, das die Arbeit der Geheimdienste des Bundes beaufsichtigt, dem Handelsblatt.
Von Notz äußerte sich vor dem Hintergrund der mutmaßlichen Sabotage an den Pipelines Nord Stream 1 und 2. Seit der Nacht zum Montag wurden insgesamt vier Lecks an den Pipelines festgestellt. Viele Staaten gehen von Sabotage aus. Mindestens zwei Explosionen habe es unter Wasser gegeben, teilten Dänemark und Schweden in einem auf Donnerstag datierten Schreiben mit. Der Vorfall wirft nun die Frage auf, wie angreifbar andere kritische Infrastrukturen sind, darunter Datenkabel.
„Wir sind bezüglich potenziell weitreichender Angriffe auf diese kritischen Infrastrukturen extrem verwundbar“, sagte von Notz. Verschiedene Armeen, auch die russische, hätten den Meeresboden seit Langem sehr genau im Blick. Sie hätten entsprechende Unterseeboote und Einheiten im Einsatz, „deren originäre Aufgabe es ist, Kommunikation über Unterseekabel auszuforschen, Leitungen zu manipulieren und gegebenenfalls auch irreparabel zu schädigen“.
Die zahlreichen Glasfaserkabel am Meeresboden bilden gewissermaßen das Rückgrat des modernen Internets und ermöglichen, dass große Datenmengen zwischen Kontinenten hin und her geschickt werden können. In einer Antwort auf eine parlamentarische Anfrage erklärte die Bundesregierung Anfang Februar, im heutigen und zukünftigen grenzüberschreitenden Sprach- und Datenverkehr seien Seekabel unverzichtbar.
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Nach Angaben des Marktforschungsunternehmens Telegeography gibt es knapp 440 dieser Unterseekabel. Das kürzeste verbindet das Vereinigte Königreich mit Irland. Das längste erstreckt sich über rund 20.000 Kilometer zwischen Singapur und den Vereinigten Staaten. Insgesamt, so schätzen die Marktforscher, sind 1,3 Millionen Kilometer Kabel im Meer verlegt.
98 Prozent der Kommunikation zwischen Kontinenten und Firmen über Unterseekabel
Ein Großteil des internationalen Datenverkehrs wird darüber abgewickelt. 98 Prozent der Kommunikation zwischen Kontinenten und Firmen findet nach Google-Schätzungen über Unterseekabel statt. Eine wichtige Rolle als Übertragungsmedien spielen aber auch terrestrische Sprach- und Datennetz- sowie Satellitenanbindungen.
>> Lesen Sie auch: „Die Bedrohung wächst“ – Wie gefährdet die kritische Infrastruktur in Deutschland ist
Tatsächlich sind Unterseekabel aber bislang keine kritische Komponente im Sinne der deutschen Kritis-Verordnung. Darin sind Kriterien festgelegt, ab wann öffentliche Institutionen oder Unternehmen als kritische Infrastrukturen gelten. Datenkabel unterliegen demnach bislang nicht den besonders strengen staatlichen Auflagen an ihren Schutz. Verantwortlich für die Überwachung sowie die Beseitigung von Störungen seien die Betreiber der Leitungswege, heißt es vom Bundesamt für Sicherheit in der Informationstechnik (BSI).
Die Bundesbehörde hat in einer im Februar veröffentlichten Studie die Bedeutung und Widerstandsfähigkeit der Übertragungskabel am Beispiel der transatlantischen Datenleitung, die von Europa bis in die USA reicht, untersucht. Die Verlegung solcher Kabel und ihr Betrieb seien teuer, „deshalb bleibt die Anzahl von Seekabeln in der Regel beschränkt, und der Ausfall eines einzelnen kann zu empfindlichen Einbußen in der Übertragungskapazität zwischen den Kontinenten führen“, heißt es darin.
Die Leitungen bildeten eine „fragile physische Infrastruktur“, welche leicht beschädigt werden könnte. Reparaturen seien teuer und langwierig. In dem Testszenario zeigte das BSI, womit bei einem Schaden an dem transatlantischen Überseekabel zu rechnen sei. Das Ergebnis laut einem Sprecher: Bis zu einem gewissen Ausmaß kann der Ausfall einzelner Leitungen über andere Leitungswege kompensiert werden.
Nato-Szenario: Russische U-Boote könnten Unterseekabel zwischen den USA und Europa kappen
Zu möglichen Angreifern auf die Unterseekabel heißt es zudem in einer aktuellen Studie im Auftrag des Unterausschusses für Sicherheit und Verteidigung des EU-Parlaments: Schon seit 2015 beobachte die Nato verstärkte russische U-Boot-Aktivitäten nahe wichtiger Kabelrouten. Russland zeige offenkundig ein gesteigertes Interesse an der Unterwasser-Infrastruktur von Nato-Staaten, wird ein ranghoher Militär der Allianz zitiert.
Zu den bei der Nato kursierenden Szenarien gehört denn auch, dass russische U-Boote Unterseekabel zwischen den USA und Europa kappen könnten. Attacken dieser Art könnten Teil einer hybriden Kriegsführung sein, also einer Mischung aus offenen und verdeckten Kriegshandlungen.
Der Grünen-Politiker von Notz teilt in dieser Hinsicht die Einschätzung des deutschen Marineinspekteurs Jan Christian Kaack. Der Vize-Admiral hatte kürzlich in einem Interview die Bedeutung der kritischen Infrastruktur auf dem Grund der Ostsee, aber auch im Atlantik betont, darunter Pipelines oder Unterseekabel für IT.
Es gebe „Gefährdungen der globalen Kommunikationsstrukturen, auf die man besonders achten muss“, sagte Kaack der „Welt“. Nach seinen Worten haben sich russische Unter- oder Überwassereinheiten zuletzt über längere Zeit im Bereich dieser Kabel aufgehalten.
Als Konsequenz fordert von Notz, dass die Nachrichtendienste die objektiv bestehenden Gefahren „intensiver als bisher in den Blick nehmen“ müssten. „Darüber hinaus bedarf es endlich eines umfassenden Konzeptes zum Schutz kritischer Infrastrukturen“, sagte der Grünen-Politiker. Das im Koalitionsvertrag vereinbarte „Kritis-Dachgesetz“ müsse nun angesichts gestiegener Bedrohungen „politisch priorisiert umgesetzt“ werden. „Zudem werden wir die Sabotageabwehr entschlossen neu aufstellen müssen.“
Mehr: Verkabelt oder gefesselt? Der Machtkampf um die Datenkabel im Meer.
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