Oct 22, 2022
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USA: „Ich hätte nie gedacht, dass wir gewinnen können“: New Yorker Taxi-Fahrer erkämpfen Schuldenerlass

Written by Sarah Sendner


New York Richard Chow ringt um Worte. Er steht vor seinem Taxi in der ikonischen New Yorker senfgelben Farbe. An den Scheiben sind Protestplakate angebracht. „Ich bin einfach überglücklich“, sagt Chow schließlich schlicht. „Und mein Bruder wäre der Glücklichste“, fügt er sichtlich angefasst in gebrochenem Englisch hinzu.

Die Stadt New York hat Chow gerade rund 219.000 Dollar an Schulden erlassen. Das ist auch sein persönlicher Verdienst. Zusammen mit der New Yorker Taxi-Gewerkschaft NYTWA hat er einen langen Kampf angeführt – gegen die Stadt, gegen die Kreditgeber, die Politik und letztlich gegen ein System, das zahllose Taxi-Fahrer in den finanziellen Ruin getrieben hat und neun von ihnen – darunter Chows Bruder – in den Suizid.

New York erlässt Tausenden Taxi-Fahrern einen Teil der immensen Schuldenlast, die viele auf sich genommen haben um die begehrten Taxi-Lizenzen zu finanzieren. Insgesamt überreicht die Stadt den Fahrern, die sich an einem sonnigen Freitag auf dem Vorplatz des New Yorker Rathauses versammelt haben, einen symbolischen Scheck über 250 Millionen Dollar.

Zu den Unterstützern der Taxifahrer gehört der New Yorker Senator und Führer des Repräsentantenhauses Chuck Schumer. „Es geht um wirtschaftliche Gerechtigkeit – so einfach ist das”, sagt der Demokrat, als er an jenem Freitag vor dem Rathaus zum Rednerpult tritt.

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Die Einigung zwischen der Stadt, der Taxi-Gewerkschaft und einem der größten Kreditgebern, Marblegate, sieht im Wesentlichen einen Schuldenerlass auf eine Summe von 200.000 Dollar für die Fahrer vor – zusätzlich steuert die Stadt 30.000 Dollar in bar bei. Der Zinssatz soll maximal 7,3 Prozent auf höchstens 25 Jahre betragen, die monatlichen Zahlungen maximal 1234 Dollar.

Und: Die Stadt übernimmt die Garantie für die Kredite. „Ich muss mir keine Sorgen mehr machen, dass mir mein Zuhause, meine Besitztümer genommen werden,“ äußert Chow seine Erleichterung. Und Schumer fügt hinzu: „Kredite werden immer noch abbezahlt. Aber es sind Kredite, mit denen man leben kann.“

Wie konnte es soweit kommen?

Die „Medallions“ die auf jedem New Yorker Taxi an der Motorhaube angebracht sind, sind eine Menge Geld wert. In Spitzenzeiten wechselten sie zu Preise von bis zu einer Million Dollar den Besitzer. Anfang 2015 treten App-basierte Fahrdienste wie Uber oder Lyft unreguliert in den New Yorker Markt ein. Es folgte der große Crash – der Wert der Lizenzen sank auf unter 200.000 Dollar. Viele Taxi-Fahrer stehen vor dem Nichts. 2022 beträgt die durchschnittliche Schuldenlast nach Angaben der NYTWA noch 550.000 Dollar, während Taxi-Lizenzen aktuell nur für rund 100.000 Dollar gehandelt werden.

Die gelben Taxis waren lange Zeit die einzige Option für eine Mitfahrgelegenheit in der Metropole. Die Anzahl der Taxilizenzen und damit der Taxis, die auf der Straße sind, ist verbindlich festgelegt und beträgt aktuell 13.587. Die Lizenzen wechseln über ein Auktionssystem den Besitzer.

Die Preise für die verknappten Taxilizenzen stiegen in den Jahren bis 2014 stetig. Die New York Times beschreibt ein System, in der Banken und Kreditgeber kräftig an dem überheizten Markt verdienen – und zahlreiche Warnungen vor einer Bubble ignoriert werden.

Die Stadt habe die zusätzliche Einnahmen unterdessen genutzt, um Budgets aufzustocken, berichtet die Times. Dabei verdiente die Stadt offenbar kräftig an den Medallion-Preisen: Nach Angaben der Gewerkschaft NYTWA schöpfte New York einen Profit von 850 Millionen Dollar ab.

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Uber und Lyft sind auf das Lizenz-System jedoch nicht angewiesen, um Passagiere zu transportieren. Zwar haben nur die gelben Taxis das Recht, Passagiere vom Straßenrand einzusammeln, doch scheinen New Yorker die Order per App ohnehin zu bevorzugen, wie die Zahlen zeigen: Bereits gegen Jahresende 2016 überholten die App-Fahrdienst die Taxis bei den täglich Fahrten. In den folgenden Jahren stieg die Nutzung rasant. Kurz vor der Pandemie kamen die App-Dienste auf mehr als 749.000 Trips am Tag, die Taxis auf nur noch 217.000.

Fahrer und Medallion-Besitzer geraten in finanzielle Not

Hinter dem Geschäftsmodell der gelben Taxis steht nun ein großes Fragezeichen. Der Wert der Taxilizenzen sinkt rapide. Viele Fahrer finanzierten ihre Lizenzen aber mit dem Kalkül, diese in ein paar Jahren mit Gewinn zu verkaufen.

Auch die Einnahmen der Taxis sinken stetig. Fahrer beklagen Probleme, ihre Familien zu ernähren, während viele von ihnen zusätzlich noch Kredite im oberen sechsstelligen Bereich bedienen müssen. In den Aufzeichnungen über die Lizenztransfers ab 2017 findet sich nun immer häufiger der Beisatz „Zwangsvollstreckung“.

Die finanzielle Aussichtslosigkeit trieb im Folgejahr neun Fahrer in den Tod, drei von ihnen besaßen Medallions. Quasi alle beklagten zuvor ihre finanzielle Not, berichtete die New York Times im Jahr 2018. Die Stadt sprach von einer „Epidemie“.

Einer der Fahrer war Kenny Chow. Er und sein Bruder Richard wanderten aus Myanmar ein und wollten sich, wie so viele anderer Fahrer auch, mit einer Taxi-Lizenz den amerikanischen Traum erfüllen. Richard ersteigerte im Jahr 2006 eine Taxi-Lizenz für 410.000 Dollar. Sein Bruder Kenny nahm 2009 bereits einen Kredit von mehr als 700.000 Dollar auf, um seine Lizenz zu finanzieren.

Taxi-Medallion

Die Medallion wird bei jedem New Yorker Taxi auf der Motorhaube angebracht.


(Foto: AP)

„Es ist einfach nicht richtig“, sagt Richard Chow immer wieder, wenn er über seinen Bruder und über die Lage der Taxi-Fahrer in New York spricht. Er beschloss, zu kämpfen. Es ist ein langer Kampf, der sich über Jahren hinziehen wird. „Ich hätte nie gedacht, dass wir gewinnen“, sagt Chow selbst.

Die Taxi-Fahrer organisierten sich, brachten Spitzenpolitiker wie Schumer auf ihre Seite. Schließlich unterbreitete die Stadt ein Angebot für einen Schuldenerlass mit einem Umfang von insgesamt 65 Millionen Dollar. Doch den Fahrern reichte das nicht. Sie forderten eine Garantie der Stadt, einzuspringen, sollte ein Fahrer zahlungsunfähig sein.

Ein Hungerstreik für den Etappensieg

„Wir mussten weiter eskalieren“, erklärt Chow. 2021 trat er in den Hungerstreik. Zusammen mit anderen Fahrern und Politikern harrte er 15 Tage lang vor dem Rathaus aus. Dann schließlich, weißer Rauch: Der Deal, den die Taxi-Fahrer heute feiern, steht im Grundsatz. Die Stadt lenkte bei der Garantieübernahme ein.

Mit Marblegate ist der größte Kreditgeber auf das Angebot der Stadt eingegangen, weitere sollen folgen, hofft die Taxi-Gewerkschaft. Auch sind Kreditnehmer mit mehr als fünf Lizenzen von dem Programm ausgenommen.

Am Tag der Registrierungs-Deadline, um den Schuldenerlass wahrzunehmen, hatten mehr als 1000 Kreditnehmer ihre Papiere erhalten. Marblegate selbst geht davon aus, dass rund 2000 Kredite die Bedingungen für das Programm erfüllen.

Für die Fahrer ist dies also nur ein Zwischensieg. Die Plakate auf Chows Taxi haben die Aufschrift „Alle Kreditgeber, alle Kredite! Werdet Teil der Lösung.“ Auch New Yorker Bürgermeister Eric Adams äußert die Hoffnung, dass mehr Finanzinstitute sich dem Programm anschließen. „Dies ist eine Chance“, sagt er.

Chow will weiterfahren, sagt er. Ein paar Jahre noch, dann würde er in Rente gehen, sein Taxi an einen anderen Fahrer vermieten.

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