Oct 4, 2022
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Energiekrise: „Sturm peitscht bereits durch die Industriegebiete“ – Unternehmen warten auf Berlin

Written by Daniel Delhaes

Berlin Der Druck auf die Bundesregierung steigt, den angekündigten 200 Milliarden Euro schweren Abwehrschirm gegen die Energiekrise schnell aufzuspannen. Vor allem aus der Wirtschaft, aber auch von den Regierungschefs der Länder wird Tempo gefordert. Der Schutzschirm sei so etwas wie eine „Wundertüte“, sagte Nordrhein-Westfalens Ministerpräsident Hendrik Wüst (CDU), „keiner weiß, was drin ist, aber jeder freut sich.“

Die Umsetzung des Mega-Rettungsschirms für Bürger und Wirtschaft war Hauptthema beim Treffen von Kanzler Olaf Scholz (SPD) und den Ministerpräsidenten am Dienstagabend. Doch konkrete Ergebnisse konnten Scholz, Wüst und Niedersachsens Ministerpräsident Stephan Weil (SPD) nach dem Treffen nicht mitteilen.

Bund und Länder sind sich immer noch nicht einig, wie sie sich die Kosten für das dritte Entlastungspaket aufteilen wollen. Vor allem aber fehlte für Entscheidungen eine wichtige Grundlage: Schließlich berät die von der Bundesregierung eingesetzte Expertenkommission noch über die genaue Ausgestaltung der Gaspreisbremse.

Es braucht „eine Lösung, die sitzt“, sagte Scholz. „Ich gehe davon aus, dass wir nächste Woche Ergebnisse haben werden.“ Auch Weil forderte, das es bei der angekündigten Strompreis- und Gaspreisbremse „so schnell wie möglich“ Klarheit geben müsse. Es brauche ein Konzept, „das die Erwartungen der Bürger und Wirtschaft erfüllt“.

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Nordrhein-Westfalens Ministerpräsident Wüst zeigte sich verärgert über das ergebnislose Bund-Länder-Treffen. Man sei „nur ganz wenige Schritte vorangekommen“. Für die Länder sei wichtig, dass man nun „Klarheit und Tempo“ in die Sache bekomme.

Der CDU-Politiker hatte dabei auch die Unternehmen im Blick, die derzeit unter den hohen Energiekosten leiden. Die Firmen müssten planen können, so Wüst, „da zählt jeder Tag.“

Wirtschaft ist erleichtert über das Ende der Gasumlage

Die Hilferufe aus der Wirtschaft werden immer lauter. Die Bundesregierung habe „den Ernst der Situation für die Industrie und Volkswirtschaft Deutschlands offensichtlich erkannt“, sagte Carsten Franzke, Geschäftsführer der Stickstoffwerke Piesteritz, kurz: SKW, mit Blick auf die versprochene Unterstützung. Es komme jetzt „auf Schnelligkeit und Qualität“ an. Für ihn darf es sich nur „um wenige Tage oder Wochen handeln, nicht um Monate“.

Explodierende Gaspreise und die ursprünglich geplante Gasumlage, die das Unternehmen aus der Lutherstadt Wittenberg 30 Millionen Euro kosten würde, bewog SKW zum vorübergehenden Runterfahren der Produktion. In der vergangenen Woche traf der Firmenchef Sachsen-Anhalts Ministerpräsident Reiner Haseloff (CDU) und schilderte die Lage. Haseloff dürfte in der Bund-Länder-Runde mit Scholz zu denen gehört haben, die Druck machten.

>> Lesen Sie hier auch: „Spät, aber nicht zu spät“ – Unternehmer drängen auf schnelle Umsetzung des Energie-Abwehrschirms

Laut einer Umfrage des Verbands der Familienunternehmen geht es vielen Firmen so wie SKW. „Draußen in der Fläche unserer Wirtschaft peitscht der Sturm bereits durch die Industriegebiete“, sagte Verbandspräsident Reinhold von Eben-Worlée. Die bislang von der Wirtschaft erbrachte Einsparung von zwölf Prozent des Gasverbrauchs sei nicht das Resultat reiner Sparsamkeit. „Ein großer Teil resultiert aus Drosselung und sogar kompletter Einstellung von Produktionen“, sagte Eben-Worlée.

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Prozent von 700 befragten Familienunternehmen stufen ihre Situation als existenzbedrohend ein oder sehen ihre Wettbewerbsfähigkeit in Gefahr.

Der Verband hat eine Umfrage unter mehr als 700 Mitgliedsfirmen gemacht. Fast ein Viertel der Befragten stufte die Situation ihres Unternehmens durch die Energiekrise als existenzbedrohend ein oder hält sie für eine Gefährdung der Wettbewerbsfähigkeit. 27 Prozent der Unternehmen reagierten demnach kurzfristig durch temporäre oder dauerhafte Drosselung oder Einstellung der Produktion.

Die Gasumlage hat Wirtschaftsminister Robert Habeck (Grüne) mittlerweile „in die Annalen der Geschichte“ geschickt, wie er sagte. Das sorgt für Erleichterung in der Wirtschaft. Nur: Wie genau die weitere Entlastung von den hohen Energiepreisen aussehen soll, das ist bisher unklar.

Ministerpräsidenten-Beratung

Hendrik Wüst (CDU, 2.v.l.), Ministerpräsident von NRW, und Malu Dreyer (2.v.r., SPD), Ministerpräsidentin von Rheinland-Pfalz, diskutieren mit ihren Länderkollegen über die Energiekrise.



(Foto: dpa)

Laut der Ökonomin Isabella Weber von der US-Universität Massachusetts Amherst, die schon im Februar ein Konzept für eine Gaspreisbremse vorgelegt hatte, soll das Instrument noch in diesem Jahr wirken. „Auch eine rückwirkende Entlastung für die ersten Herbstmonate ist denkbar“, sagt sie. Ob dieser Zeithorizont realistisch ist, ist allerdings unklar und hängt vor allem von dem Konzept ab, das die von der Regierung berufene Expertenkommission erarbeitet.

Fonds soll auch Liquiditäts- und Eigenkapitalhilfen zur Verfügung stellen

Fraglich ist, was in der Übergangszeit passiert. Die Bundesregierung hatte bereits vor einigen Monaten ein Hilfspaket für die Wirtschaft gestartet. Wichtigstes Instrument ist ein Zuschussprogramm für die Energiekosten. Dieses ist bislang auf die energieintensive Industrie beschränkt, soll nun aber auf kleine und mittelgroße Unternehmen erweitert werden.

Allerdings sollen Firmen es weiterhin nur nutzen können, wenn sie mindestens eine Verdopplung ihrer Energiekosten nachweisen können. Zudem gibt es Beschwerden aus der Wirtschaft, dass die Behörden Wochen für die Bearbeitung der Anträge bräuchten.

Für allgemeine Liquiditätshilfen ist nach Ansicht des Ökonomen Stefan Kooths jetzt aber ohnehin nicht die Zeit. „Grundsätzlich müssen Unternehmen die höheren Energiekosten überwälzen, auf diese Weise wird gesamtwirtschaftlich der beste Umgang erreicht“, sagt der Vizepräsident des Kiel Instituts für Weltwirtschaft. Das Überwälzen gelinge den Firmen durchaus. Kooths verweist auf die stark gestiegenen Preise, die Firmen von ihren gewerblichen Kunden verlangen.

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Selbst mit dem Start der Gaspreisbremse werden aber nicht alle Probleme gelöst sein. Gerade größere Industrieunternehmen schließen oft eigene Belieferungsverträge für Gas und setzen nicht auf Energieversorger. Über die Versorger soll die Bremse aber voraussichtlich umgesetzt werden. Für die Unternehmen mit eigenen Verträgen könnte der direkte Weg über den Wirtschaftsstabilisierungsfonds (WSF) daher eine Lösung werden.

Die Ampelspitzen haben auch beschlossen, dass aus den 200 Milliarden Euro nicht nur die Gaspreisbremse finanziert werden soll. Der WSF soll außerdem seine eigentliche Funktion als direkte finanzielle Stütze für Firmen zurückerhalten. „Den Unternehmen, die nicht in ausreichendem Ausmaß von der Strom- und Gaspreisbremse erfasst werden, stehen Liquiditäts- und Eigenkapitalhilfen zur Verfügung“, heißt es im Beschluss der Ampelkoalition.

Ohne Düngemittelproduktion gibt es auch kein Adblue

Auch der Chef der Stickstoffwerke Piesteritz, Franzke, verhandelt seit Wochen mit den Beamten im Berliner Wirtschaftsministerium. SKW ist systemrelevant, wie es so schön heißt. Ohne Ammoniak keine chemische Produktion, keine Impfampullen, keine Batterien für Elektroautos, keine Kohlensäure für Mineralwasser und Bier. Ohne Düngemittelproduktion auch kein Adblue, das jedes moderne Dieselfahrzeug schlucken muss.

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SKW wartet aber immer noch auf eine Antwort aus Berlin. Es soll Hilfen geben. Konkrete Zusagen aber fehlen. Eine der zwei Anlagen soll dann wieder Ammoniak und Adblue produzieren, so der Plan. Zugleich würde das Unternehmen so die Hälfte seines Gasverbrauchs einsparen. Im Vertrauen auf das Wort ist Franzke längst in Vorleistung gegangen, fuhr eine Anlage wieder „warm“, um schnell die Produktion hochfahren zu können.

Die warmgelaufene Anlage produziert inzwischen minimal. Trotz der weiter hohen Gaspreise wird SKW daher „in einem begrenzten Umfang mit Lieferungen beginnen“, wie Franzke sagt. Entwarnung aber klingt anders. „Wie lange wir produzieren können, ist noch ungewiss und hängt von der konkreten Lösung der Politik und den geeigneten Rahmenbedingungen ab.“

Mehr: Weber und Fuest im Streitgespräch – was bewirkt die Gaspreisbremse?



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