Klaus Regling geht, wie er gekommen ist: leise, ohne großes Aufheben. Zum Abschied schenkten ihm die Finanzminister in der Euro-Gruppe am Montagabend einige Flaschen Wein und viel Schokolade. „Es geht das Gerücht um, dass ich Schokolade mag“, kommentierte Regling gewohnt trocken.
Der verschmitzte Ökonom, der am Tag seiner Abschiedsparty seinen 72. Geburtstag feierte, wird als „Mister Euro-Rettung“ in Erinnerung bleiben. „Er saß schon in der Euro-Gruppe, als sie noch gar nicht Euro-Gruppe hieß“, bemerkte EU-Währungskommissar Paolo Gentiloni. Das war in den späten 1990er-Jahren, als Regling in der EU-Kommission an der Einführung der Gemeinschaftswährung arbeitete.
In der Schuldenkrise vor zehn Jahren wurde der gebürtige Lübecker zum ersten Chef des Euro-Rettungsschirms ESM berufen. Er war verantwortlich für die Milliardenprogramme für die fünf Länder Griechenland, Irland, Portugal, Spanien und Zypern.
Insgesamt hat der Rettungsschirm 300 Milliarden Euro an Krediten vergeben – und damit die Währungsunion zusammengehalten. Aus heutiger Sicht erscheine diese Summe klein, schmunzelt Regling in Anspielung auf die gigantischen Entlastungspakete während der Coronapandemie und im Ukrainekrieg.
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Ein oder zwei Länder seien damals kurz davor gewesen, ausgeschlossen zu werden, erzählt Regling. Dass es nicht so weit gekommen ist, sieht er als seinen größten Erfolg an. Wenn auch nur ein Land die Euro-Zone hätte verlassen müssen, „hätte das uns alle geschwächt“, betont er. Jede kleinere Krise hätte dann dazu geführt, dass die Anleger an den Finanzmärkten auf den nächsten Austritt gewettet hätten.
Vier Nachfolge-Kandidaten sind durchgefallen
Diese Gefahr ist aus seiner Sicht gebannt – auch wenn zu seinem Abschied schon wieder über eine neue Euro-Krise spekuliert wird. Die durch den Ukrainekrieg getriebene Inflation treibt die Zinsen nach oben. Dennoch hält Regling eine Schuldenkrise in den nächsten Jahren für unwahrscheinlich, weil mittelfristig die Zinslast in allen Ländern tragfähig sei.
Aber die nächste Krise komme bestimmt, sagt er. Und man wisse nie, woher. Sein Rat an den Nachfolger lautet daher: agil bleiben, immer vorbereitet sein. „Wir haben die Fähigkeit entwickelt, mit allem umzugehen, was kommen mag.“
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Der Nachfolger oder die Nachfolgerin steht immer noch nicht fest, dabei ist am Freitag Reglings letzter Arbeitstag. Als Interimslösung stünde sein Stellvertreter bereit. Doch der Druck auf die 19 Euro-Finanzminister wächst, sich endlich auf einen neuen Direktor zu einigen. Vier Kandidaten sind schon durchgefallen, neue Namen noch nicht bekannt.
Am Donnerstag wollen die Finanzminister in einer Videoschalte den nächsten Versuch unternehmen. Es sei „enttäuschend“, dass es noch keinen Nachfolger gebe, sagt Regling. Aber man solle das auch nicht „überdramatisieren“. Für die Finanzmärkte sei wichtig, dass der ESM weiter handlungsfähig sei, und dafür sei gesorgt.
Institution mit massiver Sinnkrise
Der Neue findet eine Institution vor, die zwar geräuschlos funktioniert, aber auch eine massive Sinnkrise durchlebt. Seit 2018 wurde der Fonds nicht mehr angezapft. Die ESM-Kredite werden verschmäht, weil sie in vielen Ländern mit einem Stigma des Versagens behaftet sind: Wer zum ESM geht, hat keine Alternative mehr. Stattdessen gibt es nun den Corona-Wiederaufbaufonds, der den Ländern bessere Konditionen bietet.
Überflüssig sei der ESM trotzdem nicht, argumentiert Regling. Im Unterschied zum Wiederaufbaufonds sei er schließlich ein Krisenfonds, der in akuten Fällen einspringe. So habe man auch in der Pandemie Mittel bereitgestellt. Auch wenn diese nicht abgerufen wurden, habe ihre bloße Existenz die Finanzmärkte beruhigt. In der Energiekrise könnte man ESM-Ressourcen für ähnliche Zwecke mobilisieren, sagt er.
Regling ist immer dafür eingetreten, mehr Gemeinschaftsschulden zu machen. Die Euro-Zone brauche mehr sichere Anleihen, das verschaffe zusätzliche Stabilität. Mit diesem Argument trifft er in Deutschland regelmäßig auf Widerstand. Doch selbst die FDP hat inzwischen ihren Frieden mit dem Rettungsschirm gemacht. Das ist nicht zuletzt Reglings steter Überzeugungsarbeit zu verdanken.
Nach seinem Ausscheiden wird er nun von Luxemburg nach München zu seiner Familie ziehen. Nur Rentner will er nicht sein. Er werde sich irgendeine Arbeit suchen, sagt er. „Ich bin sicher, es wird irgendwas mit Europa zu tun haben.“
Mehr: Regierung plant „Abwehrschirm“ von bis zu 200 Milliarden Euro gegen hohe Energiepreise
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