Krebber und Habeck hatten am Dienstag verkündet, RWE werde im Jahr 2030 und damit acht Jahre früher als bisher vereinbart seine Braunkohlekraftwerke abschalten. Parallel sollen mit Blick auf 2030 jetzt neue Gaskraftwerke ausgeschrieben werden, um dann wieder zuverlässige Stromproduzenten am Netz zu haben. RWE werde sich an der Ausschreibung neuer Gaskraftwerke für bis zu drei Gigawatt Leistung beteiligen. Das ist allerdings nur ein Bruchteil der erforderlichen Kraftwerkskapazitäten.
Das Ministerium teilte ergänzend mit, man werde „den Bau flexibler Kraftwerke ermöglichen, die zunächst mit Erdgas, aber bis 2030 mit mindestens 50 Prozent und bis spätestens 2035 zu 100 Prozent mit Wasserstoff betrieben werden können“. Man werde dafür den erforderlichen Rahmen schaffen.
Damit rücken die neuen Gaskraftwerke, die den Kohleausstieg erst möglich machen, wieder in den Fokus der energiepolitischen Debatte. Sie sind künftig die Garanten dafür, dass auch dann ausreichend gesicherte Leistung für das Stromversorgungssystem zur Verfügung steht, wenn kein Wind weht und die Sonne nicht scheint. Mit wachsendem Anteil erneuerbarer Energien wird die Auslastung der Gaskraftwerke kontinuierlich sinken. Dieser Plan macht es für die Betreiber schwer, mit den Kraftwerken Geld zu verdienen.
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Wie die Anreize für den Bau neuer Gaskraftwerke ausgestaltet werden, ist im Moment noch nicht klar. Das Bundeswirtschaftsministerium hat die Expertenkommission zum Monitoring der Energiewende damit beauftragt, Empfehlungen zu erarbeiten.
Wie stark muss der Staat eingreifen?
Die Wirtschaftsweise Veronika Grimm, die der Kommission angehört, warnt davor, zu stark auf staatliches Eingreifen zu setzen. Es gehe vielmehr darum, „den Strommarkt marktorientiert weiterzuentwickeln“, sagte sie. „Je mehr regulatorische Unsicherheit über eine Rückkehr zu ‚mehr Staat‘ auch in der mittleren Frist herrscht, desto weniger wird privatwirtschaftlich investiert“, warnte Grimm. Billiger würde es staatlich organisiert nicht werden, nur sehr wahrscheinlich viel langsamer und ineffizient, so Grimms Prognose.
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David Bothe von Frontier Economics, einem auf energiewirtschaftliche Themen spezialisierten Beratungsunternehmen, fordert, den Kohleausstieg an den verbindlichen Neubau von Gaskraftwerken zu koppeln: „Wir waren in der Vergangenheit immer sehr präzise, wenn es darum ging, Abschalt- und Ausstiegsdaten festzulegen. Beim Ersatz dagegen blieb es immer recht vage.“
Bothe bezweifelt, dass der Markt allein ausreichend Anreize für den Bau von Gaskraftwerken setzt: „Wir hatten in den vergangenen Jahren eine ganze Reihe von Markteingriffen. Wer jetzt Gaskraftwerke baut und vorhält, wird kaum noch auf die reinen Marktkräfte vertrauen. Daher wird es zusätzlicher Anreize bedürfen.“ Das Vorhalten gesicherter Kraftwerksleistung sei von grundlegender Bedeutung. „Dieses Thema muss klar und schnell geregelt werden“, sagte Bothe.
Kerstin Andreae, Hauptgeschäftsführerin des Bundesverbands der Energie- und Wasserwirtschaft (BDEW), mahnt zur Eile. „Investitionen in wasserstofffähige Gaskraftwerke sind Energiewende-Investitionen. Damit sie in der Kürze der Zeit realisierbar sind und die Kriterien, die die EU-Taxonomie setzt, eingehalten werden können, muss die Bundesregierung zeitnah ein ganzes Bündel an Maßnahmen beschließen und umsetzen.“
Dazu zählt Andreae beispielsweise eine Anpassung des Gesetzes zur Kraft-Wärme-Kopplung (KWK). Die darin festgelegten Zuschläge müssten einen wirtschaftlichen Betrieb von neuen KWK-Anlagen mit grünem Wasserstoff ermöglichen. Außerdem müsse das im Koalitionsvertrag festgeschriebene Innovationsprogramm für wasserstofftaugliche Gaskraftwerke rasch vorgelegt werden.
Anzahl benötigter Kraftwerke ist noch unklar
Aus Sicht des Verbands Kommunaler Unternehmen (VKU), in dem die Stadtwerke zusammengeschlossen sind, braucht die Energiewirtschaft „für den Zeithorizont bis 2030 ein Marktdesign, das einen wirtschaftlichen Betrieb neuer Kraft- und Heizkraftwerke trotz geringerer Betriebszeiten ermöglicht“. VKU-Hauptgeschäftsführer Ingbert Liebing pocht außerdem darauf, die Evaluierung des KWK-Gesetzes rasch abzuschließen, „auch um das Wasserstoff-Update für unsere KWK-Anlagen und damit die kommunalen Wärmenetze zu forcieren“.
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Noch sind sich Experten nicht einig, wie viele Gaskraftwerke bei einem vorgezogenen Kohleausstieg zusätzlich gebaut werden müssen. Der Bundesverband der Deutschen Industrie (BDI) und die Boston Consulting Group (BCG) kommen in einer Studie zu dem Ergebnis, dass in Deutschland ein „Nettozubau von 43 Gigawatt (GW) Gaskraftwerken bis 2030 zur Wahrung der Versorgungssicherheit bei gleichzeitigem Einhalten des Emissionsbudgets“ erforderlich sei.
Es handele sich dabei um einen „Zubau in noch nicht da gewesener Größenordnung“, räumt der BDI ein. Zur Veranschaulichung: Der geforderte Zubau von Gaskraftwerken entspricht in etwa der installierten Leistung von 43 Atomkraftwerken oder 43 großen Kohlekraftwerksblöcken. In anderen Studien wird der Wert der erforderlichen Gaskraftwerke deutlich niedriger angesetzt. So hält etwa die Deutsche Energieagentur 15 zusätzliche Gigawatt bis 2030 für ausreichend. Angesichts fehlender Investitionsanreize wird aber selbst dieser Wert schwer zu erreichen sein.
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