Wien Politik in Österreich kann ein schmutziges Spektakel sein – und es zu einem Zeichen von Schlauheit machen, sich weitgehend aus der Tagespolitik herauszuhalten. Genau diese Strategie verfolgt Österreichs Bundespräsident Alexander Van der Bellen, und das eben nicht nur, weil es die Verfassung so mehr oder weniger vorsieht.
Der 77-jährige Politiker, einst Mitglied bei den Grünen und bei den Sozialdemokraten, hat sich in seiner sechsjährigen Amtszeit als ruhender Pol in einem turbulenten Umfeld bewährt. Das gestehen ihm selbst Kreise zu, die politisch weder links noch grün sind.
Auch für bürgerlich gesinnte Österreicher ist Van der Bellen kein Tabu-Kandidat. Die Herkunft des ehemaligen Wirtschaftsprofessors mag grün und sozialdemokratisch sein, seine politischen Ansichten sind aber so abgeschliffen, dass sie mehrheitsfähig erscheinen.
In Umweltfragen etwa ist Van der Bellen kein Fundamentalist. Stattdessen gibt er sich als Person, der der Klimaschutz und das Tierwohl ein Anliegen sind. Damit kann sich die Mehrheit der Österreicher identifizieren. In Österreich wird der Bundespräsident im Gegensatz zu Deutschland direkt von der Bevölkerung gewählt. Zudem hat der Präsident in Österreich mehr Befugnisse.
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Der Amtsinhaber Van der Bellen liegt in Umfragen aktuell um die 50 Prozent. In der Wahl am heutigen Sonntag stellt sich daher eigentlich nur die Frage, ob er die absolute Mehrheit der Stimmen erhält oder ein zweiter Durchgang nötig sein wird. Auffallend und für das politische Klima Österreichs bezeichnend ist dabei, wer ihn herausfordert und, mehr noch, wer es sein lässt.
Bundespräsidentenwahl in Österreich
Von den drei großen Parteien, der Österreichischen Volkspartei (ÖVP), den Sozialdemokraten (SPÖ) und der Freiheitlichen Partei Österreichs (FPÖ), hat nur die rechtspopulistische FPÖ einen Kandidaten nominiert, den Rechtsanwalt Walter Rosenkranz. Die übrigen fünf Herausforderer Van der Bellens sind politische Randfiguren. Drei von ihnen pflegen wie Rosenkranz rechte und diffuse Ansichten. Die Unzufriedenen haben also die Wahl, die sogenannten Mittewähler dagegen kaum.
Diese Mischung macht es Van der Bellen leicht, die Position des gediegenen „Elder Statesman“ einzunehmen. In manchen Kreisen kam allerdings nicht gut an, dass sich Van der Bellen weigerte, mit den Konkurrenten eine Debatte im Fernsehen zu führen. Das Gespräch wäre wohl polemisch ausgefallen, aber Van der Bellen hätte anders als gewöhnlich mehr preisgeben müssen als präsidiale Ermahnungen und Floskeln.
Hinter Van der Bellen liegen turbulente Jahre
Kritiker halten das Fernbleiben des Amtsinhabers daher für überheblich. Unter ihnen ist der Präsidentschaftskandidat Dominik Wlazny, bekannt als Rockmusiker „Marco Pogo“ und Wiener Lokalpolitiker. „Ich sehe keinen Grund, warum Van der Bellen an der Fernsehdiskussion nicht teilnahm“, sagt der 35-Jährige.
Der Bundespräsident dagegen meinte, die Wähler wüssten, wofür er stehe. Tatsächlich hatte Van der Bellen in den letzten turbulenten Jahren mehrmals Gelegenheit, sich zu beweisen. Österreichs Politiker haben ihm dafür manche Steilvorlage geliefert.
Österreich wählt einen neuen Bundespräsidenten
Heftig erschüttert wurde das Land im Mai 2019, als das „Ibiza-Video“ auftauchte. In dem verdeckt aufgenommenen Material stellte der damalige Vizekanzler Heinz-Christian Strache (FPÖ) Gesprächspartnern Geschäfte im Gegenzug zu Parteispenden in Aussicht. Die „b’soffene G’schicht“, wie sie Strache später zerknirscht nannte, pflügte die politische Landschaft Österreichs um. Obwohl er in keiner Weise in der Affäre verwickelt war, entschuldigte sich Van der Bellen in einer Ansprache bei der Bevölkerung für das schockierende Bild, das die Politik abgegeben hatte.
Frieden zwischen den Institutionen blieb erhalten
Die nächste Krise kam im Oktober 2021. Damals galt es, den Kanzlerwechsel von Sebastian Kurz (ÖVP) zu Alexander Schallenberg (ÖVP) zu bewältigen. Die Korruptionsstaatsanwälte verdächtigten Vertraute von Kurz, mit Inseraten bei einer Mediengruppe eine wohlwollende Berichterstattung erkauft zu haben, wobei der Bundeskanzler sie dazu angestachelt haben soll. Van der Bellen trug maßgeblich dazu bei, die Lage zu klären, indem er alle Vorsitzenden der im Parlament vertretenen Parteien zu Einzelgesprächen in seinen Amtssitz in Wien, die Hofburg, bestellte.
In zumindest einer Hinsicht war Van der Bellen zudem der am meisten beschäftigte Bundespräsident, den Österreich je hatte. In seiner Amtszeit gab es vier Regierungen und auch sonst viele Ministerwechsel. In der Folge musste er in den vergangenen sechs Jahren rund 130 Angelobungen, also Vereidigungen, vornehmen. Die Satirezeitung „Tagespresse“ titelte, dass die Hofburg einen Angelobungsroboter erhalten werde. Das entlaste Van der Bellen von repetitiver Arbeit.
In seiner gesamten Amtszeit ist der österreichische Bundespräsident nie der Versuchung erlegen, sich als Machtfaktor zu inszenieren – und paradoxerweise verleiht ihm gerade das Einfluss. Seine Zurückhaltung nimmt Druck aus Österreichs politischem System, das rasch in Erregung gerät.
Gleichzeitig bleibt der Frieden zwischen den Institutionen gewahrt. Der ehemalige Rechtsprofessor Manfried Welan erklärt: „Je weniger der Bundespräsident macht, desto beliebter ist er bei den großen Parteien ÖVP und SPÖ.“
Nicht einmal der FPÖ-Chef Herbert Kickl wagt es, den Bundespräsidenten hart zu attackieren. Grund dafür hätte es gegeben. In der ersten Regierung Kurz war Kickl Innenminister. Auf Kurz’ Antrag wurde der FPÖ-Politiker von Van der Bellen als Minister im Mai 2019 entlassen. Kickl war das erste Regierungsmitglied in der mehr als siebzigjährigen Geschichte der zweiten Republik, dem dieses Schicksal widerfuhr. Dennoch geriet Van der Bellen nie ins Visier Kickls.
Gleichzeitig kann der Bundespräsident seine Abneigung gegen die FPÖ nur schlecht verbergen. „Die Regierungspartei ÖVP muss Van der Bellen eigentlich dankbar sein“, sagt Staatsrechtler Welan. „Er hält die FPÖ unten.“
Die Herausforderer haben hingegen ein ganz anderes Amtsverständnis als Van der Bellen. So hält Wlazny den Bundespräsidenten für eine moralische Instanz, die häufiger in die Tagespolitik eingreifen sollte als der derzeitige Amtsinhaber.
Der junge Politiker sieht etwa nicht ein, warum der Bundespräsident zu an die Öffentlichkeit gelangten Chat-Nachrichten schwieg, in denen Politiker in teilweise grober Sprache übereinander und die Institutionen herzogen.
Die rechts stehenden Kandidaten verfolgen derweil eine ausgesprochen populistische Agenda. Wenn in Österreich ein Präsident sein Amt antritt, bietet ihm die Regierung der Form halber den Rücktritt an. Präsidentschaftskandidat Michael Brunner von der impfkritischen Kleinpartei MFG sagte, er würde diesen annehmen. Auch der von der FPÖ nominierte Rosenkranz deutete an, dass er als Präsident die Regierung entlassen würde.
Auch in dieser Frage gibt sich Van der Bellen staatsmännisch. „Zu meinem Amtsverständnis gehört es, dass ich mir hundert Mal überlege, ob ich eine Regierung, die eine demokratische Mehrheit im Parlament hat, einfach so entlasse“, sagte er vor Kurzem in einem Interview mit der „Presse“. Die Aufgabe des Bundespräsidenten sei es, für Stabilität zu sorgen.
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