Kiew Eine gewaltige Explosion, lodernde Waggons und ins Meer gestürzte Teile der Krim-Brücke haben Kremlchef Wladimir Putin am Tag nach seinem 70. Geburtstag ein böses Erwachen beschert. Rasend verbreiteten sich am Samstagmorgen Videos von den in Flammen stehenden Treibstoffwaggons eines Güterzugs im Sonnenaufgang über der symbolträchtigen Brücke.
Von drei Toten war die Rede. Putins Herzensprojekt, die von ihm selbst eröffnete 19 Kilometer lange Verbindung zwischen Russland und der 2014 annektierten Halbinsel, ist ins Mark getroffen.
Für einen Moment sah es so aus, als ob die auch für die Versorgung russischer Truppen wichtige Lebensader von Russland zur annektierten Krim zerstört ist. Für die Front im Süden der Ukraine hätte das entscheidende Auswirkungen haben können. Doch nach einigen Stunden ist klar, dass der Schaden wohl weniger schlimm als gedacht ist – und repariert werden kann. Der Verkehr rollt teils schon wieder.
Einen Tag nach der schweren Explosion auf der für Russland strategisch äußerst wichtigen Verbindungsbrücke vom Festland zur annektierten Halbinsel Krim untersuchen Taucher am Sonntag die Schäden an dem Bauwerk. „Die Situation kann bewältigt werden. Sie ist unerfreulich, aber nicht fatal“, sagte der russische Gouverneur der Krim, Sergej Axjonow, zu Journalisten. „Natürlich wurden Emotionen ausgelöst und es besteht ein gesunder Wunsch, Rache zu nehmen.“
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Ein LKW war Samstagmorgen auf der Straßen- und Eisenbahnbrücke explodiert, sieben Treibstoff-Transportanhänger eines Güterzugs fingen Feuer, Teile der Fahrbahn stürzten ein. Die Ursache und ob es sich um einen Unfall oder einen Angriff handelte, steht weiterhin nicht fest. Diskussionen gab es unter Experten, wie ein Sprengsatz in einem Lastwagen gleich an verschiedenen Stellen über mehr als einem Kilometer solch schwere Schäden anrichten kann.
Entsetzen über neuerliches Debakel in Russland groß
Im ukrainischen Fernsehen meinte der nach Kiew geflohene frühere russische Parlamentsabgeordnete Ilja Ponomarjow, es könne sich um eine mehrteilige Spezialoperation gehandelt haben. Ponomarjow hatte schon im August nach dem Autobomben-Attentat auf die Kriegsbefürworterin Darja Dugina von einer Untergrundorganisation proukrainischer Partisanen gesprochen, die angeblich gezielt größere Anschläge verübe.
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Doch so oder so ist nach einer Vielzahl an Niederlagen das Entsetzen in Russland über das neue Debakel groß. Die 19 Kilometer lange Brücke führt über die Straße von Kertsch, eine Meerenge zwischen dem Schwarzen und dem Asowschen Meer – und vor allem: Sie ist ein Prestigeprojekt des russischen Präsidenten, Wladimir Putin selbst hatte sie 2018 – vier Jahre nach Russlands völkerrechtswidriger Annexion der Krim – eröffnet.
Für Moskaus Kriegseinsatz in der Ukraine spielt die Brücke eine entscheidende Rolle, denn über sie wird vom russischen Festland ein erheblicher Teil des Nachschubs für die Soldaten auf der Krim und in der größtenteils besetzten südukrainischen Region Cherson geliefert. Die Krim war in den vergangenen Monaten wiederholt Ziel ukrainischer Gegenangriffe. Unter anderem war dabei ein wichtiger Flugplatz getroffen worden.
Der Autoverkehr auf der Kertsch-Brücke war für etwa zehn Stunden nach der Explosion eingeschränkt. Nach Angaben des russischen Verkehrsministeriums fahren seit Sonntagvormittag nun auch wieder Güter- wie Fernverkehrspassagierzüge gemäß Fahrplan.
Nach Angaben des russischen Verteidigungsministeriums reichen die Treibstoffvorräte auf der Krim für einen Monat. Lebensmittel seien für mehr als zwei Monate ausreichend vorhanden. Die russischen Truppen in der Südukraine könnten zudem vollständig über bestehende Land- und Seewegsrouten versorgt werden. Putin ordnete verstärkte Sicherheitsvorkehrungen an.
Ukraine feiert den Anschlag auf die Krim-Brücke als neuen Triumph
Politik-Experten wie James Nixey von der britischen Denkfabrik Chatham House zeigten sich jedoch skeptisch. Die Russen könnten die Brücke zwar reparieren. „Aber sie können sie nicht verteidigen, während sie einen Krieg verlieren“, sagte er.
Derweil feiert die Ukraine den Anschlag auf die Brücke als neuen Triumph – ähnlich wie den Untergang des russischen Kriegsschiffs „Moskwa“ im Frühjahr. „Zu diesem Feiertag bringen wir eine neue Marke heraus mit der Krimbrücke – oder vielmehr mit dem, was von ihr übrig ist“, kündigte der ukrainische Postchef umgehend an. Der Sekretär des ukrainischen Sicherheitsrats kombinierte Aufnahmen des teils zerstörten Bauwerks mit einem Video, in dem Hollywood-Legende Marilyn Monroe das Geburtstagsständchen „Happy Birthday, Mr. President“ singt.
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Trotz unzähliger Drohungen Moskaus, bei einem Angriff auf die Krim-Brücke hart zurückzuschlagen, hielt sich Putin zunächst zurück. Er setzte eine Untersuchungskommission und einen neuen Befehlshaber für die russischen Truppen in der Ukraine ein, wies eine strengere Bewachung der Brücke an. Neue Drohungen? Fehlanzeige.
Der Machtapparat reagierte wohl auch deshalb betont nüchtern, um die Zehntausenden russischen Touristen auf der im goldenen Herbst weiter extrem beliebten Ferienhalbinsel nicht in Panik zu versetzen. Es sei für alles gesorgt, sagte Krim-Chef Sergej Aksjonow. Er meinte, die Urlauber sollten auf Staatskosten länger bleiben dürfen. Immer wieder wurde die subtropische Schwarzmeer-Idylle in diesem Sommer von Anschlägen erschüttert. Es gab mehrere Zwischenfälle mit Drohnen – auch um den Küstenort Kertsch, an dem die Krim-Brücke anlandet.
Putin habe Übung darin, Niederlagen runterzuspielen und wegzustecken, schrieb die russische Politologin Tatajana Stanowaja. Putin schlage oft mit großer Verzögerung zurück. Dabei sehen ihn viele Experten im Krieg als Getriebenen, der die Lage nicht mehr unter Kontrolle habe.
Was der Anschlag für Putins Krieg in der Ukraine bedeutet
Einig sind sich alle, dass die Bilder von der brennenden Krim-Brücke, die zu den am besten gesicherten Bauwerken in Russland gehört, verheerend sind für Putins Großmachtstreben. Der Militärexperte Juri Fjodorow sagte, dass durch die Schäden an der Brücke die Versorgung der russischen Truppen in den besetzten südukrainischen Gebieten Cherson und Saporischschja erschwert werde. Das könne der Ukraine helfen, bei ihrer Offensive dort effektiver anzugreifen.
Schon im Sommer war auf der Krim durch die Explosion auf einem Munitionsdepot im Gebiet Dschankoje der Zugverkehr vorübergehend eingestellt. Immer wieder werden bei den Anschlägen für die Versorgung der russischen Truppen wichtigen Bahnanlagen getroffen.
Fjodorow wies auch darauf hin, dass die Strecken vom russischen Gebiet Rostow in die besetzte Region Donezk im Raum Mariupol ebenfalls stark beansprucht seien für die Lieferung von Nachschub. Und auch dort gilt das Risiko ukrainischer Angriffe als hoch.
Die Analysten sehen aber allem einen psychologischen Effekt, weil die explodierte Krim-Brücke nicht nur als „Zeichen einer Schwäche Putins“ gelte. „Das alles führt zu einer massiven Schwächung der Loyalität der Sicherheitsstrukturen gegenüber der politischen Führung des Landes“, sagte der Politologe Abbas Galljamow. Es könne zu Zwietracht im Machtapparat kommen und die Gefahr eines Putsches erhöhen.
Galljamow sah wenig Spielraum für eine scharfe Reaktion von russischer Seite auf den Brückenanschlag. Einen zuletzt immer wieder diskutierten möglichen Einsatz einer taktischen Atomwaffe erwarte er nicht, weil das weder effektiv sei noch einen Vorteil bringe. Der Anschlag auf die Brücke sei vor allem ein weiteres Zeichen, dass Russland den Krieg verlieren werde. Er sagte: „Es muss die Niederlage eingeräumt werden und ein Friedensvertrag unterzeichnet werden.“
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