Berlin Die SPD hat die Wahl in Niedersachsen gewonnen und hat damit den miesen Umfragewerten im Bund getrotzt. Dennoch kommen auf die Ampel im Bund nach dem Absturz der FDP unruhige Zeiten zu – die Liberalen scheiterten am Sonntagabend knapp an der Fünfprozenthürde. Diese und fünf weitere Lehren aus der Landtagswahl in Niedersachsen:
Bis zur Landtagswahl im Saarland im Mai hatte 13-mal in Folge der Amtsinhaber bei Landtagswahlen gesiegt – bis Saar-Ministerpräsident Tobias Hans (CDU) die Wahl klar verlor. Das Saarland zeigte aber nur: Ausnahmen bestätigen die Regel. Wie fast alle seine Ministerpräsidentenkollegen zuvor profitierte auch Stephan Weil bei der Niedersachsen-Wahl von seinem Amtsbonus.
Der Kandidatenfaktor Weils verdoppelte sich seit 2013 von 19 auf 38 Prozent. 38 Prozent der SPD-Wähler machten ihr Kreuz also vor allem wegen Weil bei den Sozialdemokraten. Weil war auch der Grund dafür, warum das Ergebnis in Niedersachsen ganz gegen den Bundestrend ausfiel. Während die SPD etwa im Bund in Umfragen auf unter 20 Prozent gefallen ist, kam sie in Niedersachsen trotz leichter Verluste immer noch auf mehr als 33 Prozent. Die SPD gewann die Wahl also dank Weil – und trotz der schlechten Umfragewerte von SPD-Kanzler Olaf Scholz.
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2. Absturz der CDU: Die Schwäche der Volksparteien hält an
28,1 Prozent holte die CDU gerade mal noch bei der Niedersachsen-Wahl. Das war das schlechteste Abschneiden der Partei in dem größten norddeutschen Flächenstaat seit 1955. Die Niedersachsen-Wahl war nach NRW ein weiterer Beleg: Die alten Volksparteien können sich ihrer alten Hochburgen nicht mehr sicher sein. So wie die NRW-SPD im Mai das schlechteste Wahlergebnis ihrer Geschichte einfuhr, so geriet die CDU in Niedersachsen unter die Räder.
Die Niedersachsen-Wahl hat die Schwäche der Union deutlich gemacht.
Das schlechte Abschneiden lag zum einen am blassen CDU-Spitzenkandidaten Althusmann, der noch am Wahlabend seinen Rücktritt als CDU-Landeschef erklärte. Aber auch die Aussagen von CDU-Chef Friedrich Merz, Ukrainer würden zwischen der Ukraine und Deutschland pendeln, um Sozialleistungen zu kassieren und „Sozialtourismus“ betreiben, dürfte konservative Wähler in Niedersachsen irritiert haben.
3. Rot-Grün lebt – trotz Grün-Schwäche
Im Sommer noch konnten sich die Grünen Hoffnungen auf ein super Wahlergebnis in Niedersachsen machen. Die Öko-Partei lag bei 20 Prozent, die Union schien in Reichweite. Doch wieder einmal ließen die Grünen, wie so oft, im Verlaufe eines Wahlkampfs kräftig Federn.
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Dennoch kann das Wahlergebnis auch den Grünen Hoffnung machen, denn es zeigt: Rot-Grün lebt. Zumindest in Niedersachsen. Zum ersten Mal seit fast einem Jahrzehnt gab es in einem Flächenland wieder eine Mehrheit für Rot-Grün. Das letzte Mal reichte es für eine rot-grüne Mehrheit 2013 – in Niedersachsen. Und die Niedersachsen-Wahl brachte nicht nur Rot-Grün zurück auf die politische Landkarte der Republik, sie radierte auch ein anderes Bündnis aus: Mit der Wahl ist die letzte Große Koalition aus SPD und CDU in der Republik abgewählt.
4. Die FDP ist die Wahlverliererin
Die FDP ist eindeutig die große Verliererin der Niedersachsen-Wahl. Holte sie bei der Wahl 2013 noch fast zehn Prozent, zeigt das vorläufige Endergebnis, dass es nicht für einen Einzug in den Landtag reicht.
Schon bis zur Niedersachsen-Wahl war 2022 für die FDP ein schlechtes Jahr gewesen. Auch die Wahlen in Schleswig-Holstein und NRW hatte die FDP verloren, in beiden Ländern flog sie aus der Regierung, im Saarland scheiterte die Partei knapp an der Fünfprozenthürde. In Niedersachsen droht nun der Gau.
FDP-Chef Christian Lindner sieht den Grund dafür in der Bildung der Ampelkoalition im Bund. „Wir zahlen dafür gewiss einen Preis bei unserem politischen Profil, weil manche die FDP als liberale Kraft dann nicht erkennen und glauben, wir seien jetzt auch eine linke Partei und keine mehr der Mitte.“
Aber auch über Lindners Kurs könnte eine innerparteiliche Debatte losbrechen. So nimmt der Bundesfinanzminister in diesem Jahr vorbei an der Schuldenbremse 500 Milliarden Euro an Schulden auf, nicht gerade ein Ausweis liberaler Finanzpolitik. Es gibt aber auch Stimmen, die sagen, die FDP hätte sich bei dem Rettungsschirm an die Spitze der Bewegung setzen müssen. So oder so: Durch das Wahldesaster wird der Druck auf die FDP und ihren Parteichef Lindner nochmals deutlich steigen.
5. Die Energiekrise stärkt den rechten Rand
Linke wie AfD haben einen „heißen Herbst“ angekündigt, profitieren von der Energiekrise konnte allerdings nur eine der beiden Parteien. Die Sorgen vor den stark steigenden Energiepreisen haben in Niedersachsen deutlich mehr Wähler in die Arme der Rechtspopulisten getrieben. Kam die Partei 2017 lediglich auf 6,2 Prozent, hat sie ihr Ergebnis mit elf Prozent nun fast verdoppelt. „Die Formel, dass die AfD durch ihre bundesweite Radikalisierung ins politische Abseits driftet, trifft nicht zu“, sagt Populismus-Forscher Marcel Lewandowsky. Ihre Wählerschaft sei nicht nur loyal, die AfD werde sogar „anschlussfähiger“.
Die Energiekrise hat den rechten Rand gestärkt.
Die Linke hingegen verpasste zum dritten Mal hintereinander den Einzug in den Landtag und holte gerade mal rund 2,5 Prozent. Das dürfte die Existenzkrise der heillos zerstrittenen Partei weiter verschärfen.
6. Ampel vor unruhigen Zeiten
Wer vor der Wahl mit Vertretern der Ampelkoalition in Berlin sprach, hörte immer wieder: Wenn niemand mehr Rücksicht auf die Wahl in Niedersachsen nehmen müsse, nehme die Kompromissbereitschaft im Bund wieder zu. Zuletzt hatten Bund und Länder sich nicht auf ein drittes Entlastungspaket einigen können, auch die Ampel war heillos zerstritten.
Sicherlich dürfte sich die Union, deren Ministerpräsidenten über den Bundesrat erheblichen Einfluss nehmen können, nach der Wahl kompromissbereiter zeigen. Allerdings dürften die Fliehkräfte innerhalb der Ampel durch den Absturz der FDP größer werden.
In der liberalen Partei wird man sich noch lauter die Frage stellen, ob die Koalition mit SPD und Grünen zu sehr dem eigenen Profil schadet – und sogar den Wiedereinzug in den Bundestag 2025 in Gefahr bringt.
Die Liberalen stehen nun vor der schweren Aufgabe, in Regierungsverantwortung das eigene Profil gegen zwei linke Parteien zu schärfen. FDP-Chef Lindner hat das zuletzt zwar schon versucht, etwa in der Energiepolitik oder beim Beharren auf das Einhalten der Schuldenbremse im nächsten Jahr, bislang jedoch erfolglos.
Obwohl er als Bundesfinanzminister in diesem Jahr Rekordschulden macht, wird er von SPD und Grünen als Bremser und finanzpolitischer Ideologe attackiert. Gleichzeitig sieht es offenbar für potenzielle liberale Wähler so aus, als ob Lindner einen für FDP-Verhältnisse zu linken Kurs fährt. Am Wahlabend wurden FDP-Politiker bereits gefragt, ob es nicht besser wäre, wenn sich die Liberalen so aufstellen wie SPD und Grüne, den Parteivorsitz und die Regierungsämter voneinander zu trennen.
Doch nicht das schwache Abschneiden der FDP, auch das starke Abschneiden der AfD setzt die Ampel unter Druck. Zwar steht im nächsten Jahr keine Wahl im Osten an, wo die AfD derzeit laut Umfragen stärkste Kraft ist. Doch im nächsten Jahr wird in Bremen, Bayern und Hessen gewählt. Niedersachsen hat gezeigt, die AfD kann auch im Westen auf zweistellige Ergebnisse kommen. Und die Energiekrise hat gerade erst begonnen. Die Ampel wird daher schnell gute Lösungen in der Energiekrise finden müssen.
Mehr: Klarer Sieg für Weil und die SPD – FDP scheitert an Fünfprozenthürde
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