Oct 15, 2022
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Russlands Angriffskrieg: Putin nimmt Atommeiler ins Visier – Wann bricht das Stromnetz der Ukraine zusammen?

Written by Daniel Imwinkelried


Zerstörte Fenster am Atomkraftwerk Saporischschja

Die Lage rund um das größte Atomkraftwerk Europas ist unvorhersehbar. Sollte es im Winter ausfallen, hat die Ukraine ein akutes Energieproblem.



(Foto: dpa)

Wien Als die russische Armee am vergangenen Montag damit begann, die gesamte Ukraine verstärkt mit Raketen zu beschießen, schien das ein ziemlich wahlloses Unterfangen zu sein. Aber die Russen verfolgen durchaus konkrete Absichten, sagt Artur Lorkowski, Chef der in Wien ansässigen internationalen Organisation Energy Community. Gezielt hätten sie auch die Energieinfrastruktur beschädigt. „Russland will beweisen, wie verletzlich die Infrastruktur und letztlich die ukrainische Bevölkerung ist.“

Wie groß die Schäden sind, hat die ukrainische Regierung nicht offengelegt. Diese Angaben behält sie für sich, vor allem, um dem Feind keine Informationen zu liefern, die ihm einen Vorteil verschaffen könnten.

Energy Community ist eine Organisation der EU und von neun osteuropäischen Ländern, deren Zweck darin besteht, einen paneuropäischen Energiemarkt zu schaffen. Zufällig stellt die Ukraine, die seit 2011 der Organisation angehört, ausgerechnet im Jahr der russischen Großoffensive die Präsidentschaft.

Die Aufgabe von Lorkowski und seinem Team bestünde eigentlich hauptsächlich darin, die Regulierung und die Funktionsweise der osteuropäischen Energiemärkte jener der EU-Länder anzupassen. Aber mit der Eskalation des Ukrainekriegs am 24. Februar hat sich das Tagesgeschäft der Organisation komplett verändert: Nun geht es primär darum, die Ukraine bei der Stromversorgung zu unterstützen.

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Lorkowski kann sich in Wien auch auf ukrainische Spezialisten stützen. Diese seien kurz nach dem russischen Großangriff in den Büros von Energy Community aufgetaucht, erzählt der Manager. Nach wie vor arbeitet eine Handvoll geflüchteter ukrainischer Energiefachleute für die Organisation in Wien.

>> Lesen Sie hier: Schwere Schäden an Strom- und Wasserversorgung – Ukraine mobilisiert internationale Hilfe

Am frühen Morgen des 24. Februars, eine Stunde vor Putins Großangriff, hatte die Ukraine sich vom russischen Stromnetz abgekoppelt. „Die Ukraine wollte der EU beweisen, dass die Elektrizitätsversorgung im Land auch ohne Russland funktioniert“, sagt Lorkowski. Am 16. März sind die Stromnetze der Ukraine und der Moldau dann an das europäische Netz angeschlossen worden.

Gefährdete Energieinfrastruktur

Ukrainische Arbeiter an ihren Arbeitsplätzen im Kontrollraum des Kernkraftwerks Saporischschja.



(Foto: dpa)

Darauf exportierte die Ukraine Strom in die EU und in die Republik Moldau – bis zum 10. Oktober, als Russland den großflächigen Angriff mit Raketen startete. Die Ukraine ist zwar ein kriegsversehrtes Land, weist im Prinzip aber trotzdem einen Stromüberschuss auf. Allerdings hängt auch dieser paradoxerweise mit dem Krieg zusammen: Ein Teil der Industrie ist nicht mehr in der Lage zu produzieren, was die Nachfrage nach Elektrizität dämpft.

Ukraine könnte im Winter zusätzliches Gas und Kohle benötigen

Während des Tages liegt das maximale Handelsvolumen beim Strom zwischen der Ukraine und dem übrigen Europa bei 300 Megawatt. Der Stromexport ist für die Ukraine wichtig, denn er bringt dem Land dringend benötigte Devisen.

Mit der Attacke vom Montag ist dieses Stromgeschäft zumindest vorübergehend zum Erliegen gekommen. Zu groß waren die Schäden, die die russische Armee an Kraftwerken und Leitungen angerichtet hat. Am Freitag waren die Reparaturarbeiten teilweise noch im Gang.

Folgen eines russischen Raketenangriffs

Ein Gebäude in der Nähe das Atomkraftwerks Saporischschja wurde komplett zerstört.



(Foto: dpa)

Je nach Tageszeit stammt rund die Hälfte der ukrainischen Stromproduktion aus vier Atomkraftwerken. Ein Schlüssel für die Energieversorgung ist der riesige Nuklearenergiekomplex Saporischschja. Im und rund um das Werksgelände sind in den vergangenen Monaten immer wieder Bomben und Raketen eingeschlagen, was weltweit Ängste vor einem Nuklearunfall ausgelöst hat. Derzeit produziert das Werk, das sich unter russischer Kontrolle befindet, keinen Strom, und es ist auch nicht mit dem Elektrizitätsnetz verbunden.

Was den kommenden Winter betrifft, spricht Lorkowski von einem optimistischen und einem pessimistischen Szenario für die Ukraine. Falls in Saporischschja Strom produziert wird, werde die Ukraine wieder in der Lage sein, die Wirtschaft und die Bevölkerung der Ukraine mit Strom zu versorgen, diesen aber auch nach Europa auszuführen. Wenn der gegenwärtige Zustand aber anhält, benötigt die Ukraine zusätzliches Gas und mehr Kohle aus dem Ausland, damit die Menschen ihre Wohnungen heizen können. „Das Problem sind der Preis und die Verfügbarkeit von Kohle und Gas“, sagt Lorkowski.

Bombardiertes Kraftwerk in Kiew

Das Satellitenbild zeigt Schäden an der Industrieanlage, verursacht durch russische Raketeneinschläge.



(Foto: dpa)

In Westeuropa klagen die Menschen und die Firmen über die hohen Gas- und Kohlepreise. Die Regierungen können es sich aber wenigstens leisten, finanzielle Unterstützung zu leisten. Die Ukraine ist dazu kaum in der Lage. Die Einnahmen des Staates sind wegen des Krieges geschrumpft, während sich die Ausgaben, besonders für die Verteidigung, vervielfacht haben.

„Ukraine Support Task Force“ soll bei Stromversorgung helfen

Die Ukraine hat allerdings eine gewisse Vorsorge getroffen. Laut den Angaben von Energy Community verfügt das Land über 14 Milliarden Kubikmeter an gespeicherten Gasreserven. Fällt Saporischschja allerdings aus, sind zusätzlich zwei Milliarden Kubikmeter Gas nötig.

Um die Ukraine bei der Stromversorgung zu unterstützen, hat Energy Community die „Ukraine Support Task Force“ geschaffen. Diese kümmert sich darum, dass das Land von anderen Staaten und von Unternehmen Ausrüstungsgüter erhält, um die von der russischen Armee immer wieder unter Beschuss genommene Energieinfrastruktur zu reparieren. Auf diese Weise bekommt die Ukraine Heizkörper, Kabel, Transformatoren oder Generatoren. Bis zu diesem Zeitpunkt hat die Energy Community 640 Tonnen Elektrizitätsausrüstung in die Ukraine geliefert.

Einzelne Länder möchten der Ukraine allerdings keine Güter überlassen, sondern ziehen es vor, Geld zu spenden. Dafür hat Energy Community einen Fonds geschaffen, bei dem sich laut Lorkowski bisher Dänemark, Deutschland, Großbritannien und die Regulierungsorganisation Energy Regulators Regional Association engagiert haben. Der Wert dieser Güter und die Summe der Geldüberweisungen belaufen sich auf fünf Millionen Euro.

Mehr: Welche Abwehrmaßnahmen der Westen nach den brutalen Raketenangriffen auf die Ukraine plant.



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Politik

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