Oct 17, 2022
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Großbritannien: Finanzminister Hunt beerdigt Agenda von Premierministerin Truss – Märkte reagieren positiv

Written by Torsten Riecke

Von den ursprünglich von Truss geplanten Entlastungen in Höhe von 45 Milliarden Pfund sammelte Hunt etwa 32 Milliarden (rund 37 Milliarden Euro) wieder ein. Am Montagnachmittag stellte sich der Finanzminister den Fragen der Parlamentarier im britischen Unterhaus. Truss weigerte sich hingegen, die Fragen der Abgeordneten direkt zu beantworten und blieb der Fragestunde fern. Oppositionsführer Keir Starmer warf der Premierministerin vor, sich in ihrem Regierungssitz 10 Downing Street zu verstecken. „Jetzt ist es an der Zeit, dass Politiker die Führung übernehmen. Aber wo ist die Premierministerin? Sie versteckt sich“, sagte der Labour-Chef. Eine sichtlich angeschlagene Truss tauchte später im Unterhaus doch noch auf, schwieg und verließ die Sitzung vorzeitig.

Am Abend äußerte sich Truss jedoch in einem BBC-Interview und entschuldigte sich erstmals für durch ihre Wirtschaftspolitik ausgelösten Turbulenzen entschuldigt. „Ich möchte Verantwortung übernehmen und mich entschuldigen für die Fehler, die gemacht wurden“, sagte sie. Die Regierung sei „zu schnell zu weit“ gegangen, räumte die 47-Jährige ein.

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Das wichtigste Ziel für Großbritannien sei im Moment die Stabilität, sagte Finanzminister Hunt. Die Regierung wolle ihren Teil dazu beitragen. Der frühere Gesundheits- und Außenminister Hunt hatte sein neues Amt erst am Freitag übernommen und sich am Wochenende mit Truss beraten. Zuvor hatte Truss ihren Finanzminister und engen Vertrauten Kwasi Kwarteng entlassen.

Truss und Kwarteng hatten Ende September in einem Mini-Haushaltsentwurf ein „Wachstumsprogramm“ aus Steuersenkungen auf Pump und Deregulierungen vorgestellt. Die Finanzmärkte reagierten geschockt, und die Bank of England musste mit massiven Anleihekäufen eingreifen, um eine Finanzkrise abzuwenden. Das Hilfsprogramm war am Freitag ausgelaufen, was den Handlungsdruck auf die Regierung enorm erhöhte.

Anleger begrüßen Kehrtwende

Die Anleger begrüßten den von Hunt verkündeten Kurswechsel in der britischen Finanzpolitik. Die Zinsen für kurzfristige und langlaufende britische Staatsanleihen gaben 30 und 40 Basispunkte nach, das britische Pfund konnte gegenüber dem Dollar zulegen.

Analysten sind jedoch skeptisch, ob Truss mit dem Kurswechsel das zerstörte Vertrauen an den Finanzmärkten zurückgewinnen kann. „Dieses chronische Glaubwürdigkeitsproblem wird in absehbarer Zeit nicht behoben werden“, warnte Benjamin Nabarro, Chefökonom der US-Großbank Citigroup in London.

Liz Truss

Die britische Premierministerin muss fast ihre gesamte wirtschaftspolitische Agenda begraben.



(Foto: Reuters)

Der Finanzminister beerdigte nicht nur den Plan der Premierministerin für niedrige Unternehmensteuern. Die Körperschaftsteuer soll nun doch von 19 auf 25 Prozent steigen. Auch der Eingangssteuersatz soll nicht mehr wie vorgesehen im nächsten Jahr von 20 auf 19 Prozent sinken. Zuvor hatte die Premierministerin bereits auf Druck ihrer Partei die geplante Senkung des Spitzensteuersatzes von 45 auf 40 Prozent zurücknehmen müssen.

Steuersenkungen erst, wenn die Lage sie erlaubt

Steuererleichterungen werde es erst dann geben, wenn die wirtschaftlichen Umstände das erlaubten, sagte Hunt. Großbritannien werde immer für sich selbst aufkommen, versicherte der Schatzkanzler. Von Truss“ früheren Plänen bleibt nur noch übrig, dass die Beiträge zur staatlichen Sozialversicherung (National Insurance) nicht erhöht und die Freibeträge bei Grunderwerb angehoben werden.

Deutliche Einschnitte soll es auch bei den von Truss versprochenen Energiehilfen geben. Der staatlich finanzierte Preisdeckel für Strom und Gas soll vorerst nur noch bis zum April 2023 gelten und nicht wie ursprünglich vorgesehen für zwei Jahre. Er sei mit Truss übereingekommen, „dass es unverantwortlich wäre, die öffentlichen Finanzen weiterhin der unbegrenzten Volatilität der internationalen Gaspreise auszusetzen“, sagte Hunt.

Erst vergangene Woche hatte Truss es abgelehnt, die Energiehilfen zeitlich stärker zu begrenzen. „Glaubt er, dass die Rentner im März mit sehr hohen Energierechnungen konfrontiert werden sollten?“, fragte sie während der parlamentarischen Fragestunde Oppositionsführer Keir Starmer. Genau das werde passieren, wenn ihre Pläne nicht umgesetzt würden. Nun geschieht es doch.

Weitere Unterstützung für Verbraucher und Unternehmen über das Frühjahr hinaus soll nur noch gezielt gewährt werden, um die Ausgaben dafür zu begrenzen. Die Regierung hatte allein für die ersten sechs Monate rund 60 Milliarden Pfund veranschlagt. Das gesamte Energiehilfspaket hätte nach Berechnungen von Ökonomen abhängig von der Preisentwicklung auf den Märkten rund 150 Milliarden Pfund gekostet. Andere Sozialausgaben ließ Hunt zunächst unangetastet, kündigte aber weitere „schwierige Entscheidungen sowohl bei den Steuern als auch bei den Ausgaben“ an, wenn er Ende Oktober seinen Haushaltsentwurf vorlegen werde.

Nach internen Berechnungen des parteiunabhängigen Office für Budget Responsibility (OBR) klaffte im britischen Haushalt durch die nicht gegenfinanzierten Steuerpläne von Truss eine Lücke von etwa 70 Milliarden Pfund. Allein mit den jetzt angekündigten Wendemanövern lässt sich dieses Loch nicht schließen. Notwendig sind nach Meinung des Instituts for Fiscal Studies (IFS) Kürzungen auf der Ausgabenseite. Das hatte die Premierministerin jedoch noch letzte Woche im Parlament kategorisch abgelehnt – auch weil sie für einen neuerlichen Sparkurs keine Mehrheit in ihrer eigenen Fraktion hat.

Tories planen Sturz der Premierministerin

Mit dem Kahlschlag ihres Finanzministers sind alle Kernelemente von Truss’ wirtschaftspolitischer Agenda vom Tisch, und ihre Autorität als Regierungschefin wird von Parlamentariern ihrer eigenen Konservativen Partei offen infrage gestellt. Vier Abgeordnete haben bereits öffentlich ihren Rücktritt gefordert. In parteiinternen Krisensitzungen wurde bereits über ein Misstrauensvotum und mögliche Nachfolger diskutiert.

Die wahre Macht liege jetzt beim Finanzminister, sagte der konservative Abgeordnete Roger Gale. Kritik kommt auch aus der Wirtschaft: Der frühere Chef des Einzelhandelskonzerns Marks & Spencer bezeichnete Truss als gescheitert.

Nach Berichten britischer Medien könnten in dieser Woche mehr als 100 Tory-Abgeordnete Truss schriftlich das Vertrauen entziehen. Das würde normalerweise für ein parteiinternes Misstrauensvotum reichen. Nach den Parteiregeln darf die Premierministerin jedoch erst nach zwölf Monaten herausgefordert werden. Truss-Kritiker drängen deshalb auf eine Änderung der Statuten. Die frühere Kulturministerin Nadine Dorries brachte neben Neuwahlen auch eine Rückkehr von Boris Johnson an die Regierungsspitze ins Gespräch.

In den Meinungsumfragen sind die Tories fast 30 Prozentpunkte hinter der oppositionellen Labour-Partei zurückgefallen. Nach einer Blitzumfrage des britischen TV-Senders Channel 4 vom Wochenende, fordern rund zwei Drittel der Briten den Rücktritt von Truss.

Mehr: Noch ist sie Premier, aber die Macht hat Liz Truss längst verloren





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