Berlin, Brüssel Es wirkte wie eine Kampfansage, als Ursula von der Leyen Anfang Oktober sagte, die EU sei nicht mehr bereit, jeden aufgerufenen Preis für Gas zu bezahlen. Seit Monaten fordern große EU-Staaten, dass Brüssel die Preise deckelt, und es wurden immer mehr. Die Kommission schien liefern zu wollen.
Sie müsste das an diesem Dienstag tun. Denn am Mittwoch und Donnerstag treffen sich die Staats- und Regierungschefs in Brüssel. Wenn der Gipfel keine Antwort findet, könnte der Streit eskalieren.
Was die Kommission nun vorlegen wird, ist aber kaum geeignet, die beiden Positionen miteinander zu versöhnen. Der Entwurf ihres Vorschlags liegt dem Handelsblatt vor.
Und die einzige Form von Gaspreisdeckel, die sich in den Dokumenten findet, ist eine Übergangslösung für vielleicht nur wenige Wochen, die fachlich umstritten und nach Einschätzung von Experten schlecht ausgearbeitet ist.
Möglich werden soll das durch einen Eingriff in die Geschäfte, die über die Title Transfer Facility (TTF) abgewickelt werden. Die TTF ist ein virtueller Handelspunkt, betrieben vom niederländischen Gasnetzbetreiber Gasunie. Neben der TTF gibt es viele weiter Möglichkeiten, Gas zu handeln.
Der dort ermittelte Preis galt aber lange Zeit als repräsentativ für den gesamten Gashandel in Europa. Darum hat er eine besondere Bedeutung: In langfristigen Gaslieferverträgen wird oft auf den TTF-Kurs Bezug genommen.
Seit Russland seine Gaslieferungen gedrosselt hat und Europa mehr durch Flüssiggas versorgt wird, ist das Marktgeschehen aber viel komplizierter geworden. Durch die Bindung an den TTF-Kurs ist in einigen Ländern das Gas nun teurer, als es notwendig wäre.
Die deutsche Bundesregierung bremst die Pläne seit Wochen. Ein Gaspreisdeckel sei unter den vielen schlechten Vorschlägen einer der schlechtesten, hieß es vor dem neuen Vorschlag aus der Kommission in Regierungskreisen.
Berlin befürchtet Verschärfung der Energiekrise
Das Problem bei Preisdeckeln ist, dass sich die Anbieter typischerweise andere Wege suchen, um den Deckel zu umgehen. Sie könnten ihr Gas also an Kunden außerhalb Europas verkaufen oder den Handel außerhalb der TTF abwickeln, womit die EU-Kommission keinen Zugriff mehr hätte.
In diesem Fall riskiere man, dass beispielsweise norwegisches Gas künftig nicht mehr in der EU lande, heißt es in Berlin. Dies würde die Energiekrise eher verschärfen, da sowohl der Import in die EU schwieriger wird und sich auch der Wettbewerb zwischen EU-Staaten um Gasimporte verschärft.
„Ich bin skeptisch, ob der Vorschlag der Kommission so umsetzbar ist“, sagt Energie-Experte Lion Hirth von der Hertie School in Berlin. „Da fehlt mir wohl die Kreativität.“ Die Kommission sei offensichtlich getrieben von den Forderungen der Mitgliedstaaten, die aber nicht immer Sinn ergäben. „Preise zu deckeln kann einen Zusammenbruch des Marktes bewirken“, sagt er.
Gaspreisdeckel: Vorschlag der EU soll Gasverbrauch nicht erhöhen
Zwar will die Kommission gesetzlich festschreiben, dass ihr Markteingriff nicht die Versorgungssicherheit gefährdet, nicht den Gasverbrauch erhöht, nicht den Gasfluss innerhalb der EU stört und nicht das Funktionieren der Märkte beeinträchtigt. Wie das klappen soll, ist dort allerdings nicht ausgeführt. Würde das Gesetz so verabschiedet, läge es in der Hand der Kommissionsbeamten, diese Punkte zu berücksichtigen.
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Die TTF-Preise zu begrenzen hätte auch einen Effekt auf bestehende, langfristige Gasverträge. Denn wie viel Geld im Rahmen dieser langfristigen Verträge gezahlt wird, leitet sich oft vom TTF-Preis ab.
EU-Kommission arbeitet an Index für Gaspreis
Das neue Instrument soll nur für eine Übergangszeit zur Verfügung stehen, und diese könnte recht kurz sein. Denn wenn die Kommission tatsächlich in den Markt eingreifen soll, müssten die EU-Staaten dazu ein Gesetz erlassen. Bis es in Kraft tritt, könnten noch einige Wochen vergehen.
Gleichzeitig arbeitet die Kommission aber an einem eignen Gaspreisindex, der die neuen Realitäten auf dem Gasmarkt besser abbildet als der TTF-Preis. Dieser Index soll Ende 2022 eingeführt werden und den Preisdeckel dann überflüssig machen.
Ob sich die Befürworter eines Gaspreisdeckels mit dieser Übergangslösung zufriedengeben, wird sich auf dem Gipfeltreffen am Mittwoch und Donnerstag zeigen. Allerdings hatte eine Mehrheit von 17 der 27 Staaten deutlich mehr gefordert, etwa einen verbindlichen Preisdeckel im Großhandel für Gas oder zumindest einen Preisdeckel auf Gas, das zur Stromerzeugung verwendet wird. Dies schlägt die Kommission den durchgesickerten Dokumenten zufolge nicht vor. Auch von einem gedeckelten Importpreis ist bisher nicht die Rede.
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„Das spanische Modell eines fixen Preisdeckels ist vom Tisch, und das ist richtig gut“, kommentierte der Grünen-Energiepolitiker Michael Bloss. „Damit hätten wir dem Gasverbrauch Tür und Tor geöffnet.“ Der Korrekturmechanismus sei immerhin flexibler und biete die Möglichkeit, Gas zu höheren Preisen zu erwerben, sollte ein Mangel drohen.
EU-Kommission will Notfallregeln für leere Gasspeicher
Ein weiterer umstrittener Punkt sind Vorkehrungen für den Fall einer Gasknappheit. Die Kommission will verbindliche Regeln, dass sich die EU-Staaten im Falle leerer Speicher gegenseitig aushelfen sollen. Dies soll eigentlich seit Jahren in bilateralen Verträgen zwischen den Staaten vereinbart werden. Insbesondere Deutschland hatte aber Probleme, sich mit seinen Lieferländern Niederlande und Belgien zu einigen.
Worauf sich die Staaten wohl festlegen werden, ist eine gemeinsame Beschaffung von Gas auf den Weltmärkten. Eine Plattform dafür gibt es seit dem Frühjahr, nun will sich die EU-Kommission per Gesetz zusätzliche Kompetenzen geben lassen, um die Idee ans Laufen zu bringen. Die EU-Staaten sollen sicherstellen, dass mindestens 15 Prozent des Gases, mit dem sie ihre Speicher befüllen, über die gemeinsame Plattform eingekauft werden. Deutschland hatte sich dagegen gewehrt, den Widerstand zuletzt aber aufgegeben.
Gasunternehmen sollen darüber hinaus Konsortien gründen dürfen, um auf dem Weltmarkt geschlossen aufzutreten und bessere Preise verhandeln zu können.
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