Berlin Oliver Riek hat lange in der Spitzengastronomie in Hamburg gearbeitet. Befristete Verträge, kaum planbare Wochenenden, wenig Verdienst trotz edler Speisekarte. Der Gast solle mit seinem Trinkgeld den Geiz der Betriebe subventionieren, schimpft der Restaurantfachmann. Irgendwann reichte es ihm und er wechselte in die Systemgastronomie.
Riek ist kein Einzelfall. Rund 300.000 Beschäftigte haben dem Gastgewerbe im Zuge der Coronapandemie zumindest zeitweise den Rücken gekehrt und sich etwas anderes gesucht – rund zwei Drittel davon Minijobber. Der Fachkräftemangel, der schon vor Corona bestand, hat sich dadurch noch verschärft.
Das werde auch nicht anders werden, solange sich die Arbeitsbedingungen in der Branche nicht grundlegend änderten, glaubt Guido Zeitler, Chef der Gewerkschaft Nahrung-Genuss-Gaststätten (NGG): „Wir müssen damit rechnen, dass die Abwanderung weiter voranschreitet, wenn nicht gegengesteuert wird.“ Die Zahl der sozialversicherungspflichtig Beschäftigten in der Branche lag im Juni noch um gut vier Prozent unter dem Vergleichsmonat des Vorkrisenjahres 2019.
Was aus Sicht der Gewerkschaft im Argen liegt, zeigt eine Onlineumfrage unter rund 4000 Beschäftigten aus Gastronomie, Hotellerie und Catering, deren Ergebnisse Zeitler am Dienstag präsentierte. Demnach kann sich gut ein Drittel der Befragten, von denen ein Großteil schon länger als zehn Jahre in der Branche tätig ist, nicht vorstellen, noch lange im Gastgewerbe zu arbeiten. Nur 37 Prozent beantworten die Frage mit einem klaren Ja, der Rest ist unentschlossen.
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Personalmangel, Zeitdruck, Stress und eine kurzfristige Änderung der Arbeitszeiten werden als am stärksten belastend empfunden. Acht von zehn Befragten, die sich nicht vorstellen können, noch länger in der Branche zu arbeiten, nennen als Grund die zu niedrige Entlohnung.
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Die tariflichen Einstiegslöhne für Fachkräfte im Gastgewerbe liegen zwischen 2076 Euro brutto im Monat in Mecklenburg-Vorpommern und 2535 Euro in Rheinland-Pfalz. In der Tourismushochburg Mecklenburg-Vorpommern liege eine Fachkraft damit nur auf Mindestlohnniveau, sagte Zeitler.
Zwar hat die Gewerkschaft zuletzt fast flächendeckend Tarifverhandlungen geführt und dabei teils beachtliche Entgeltsteigerungen durchgesetzt, die in den unteren Lohngruppen an die 30 Prozent heranreichten. Ein Grund war die Anhebung des Mindestlohns auf zwölf Euro ab Oktober, von dem sich die Tarifparteien abheben wollten.
Doch arbeiten nach den jüngsten verfügbaren Daten des Statistischen Bundesamts nur 23 Prozent der Beschäftigten im Gastgewerbe nach Tarif. 2010 hatte die Quote noch bei 37 Prozent gelegen.
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Das, was die Gewerkschaft tarifvertraglich regele, komme bei einem Großteil der Menschen überhaupt nicht an, sagt Zeitler. Aus seiner Sicht ist die sinkende Tarifbindung vor allem darauf zurückzuführen, dass der Arbeitgeberverband Dehoga auch Mitglieder aufnimmt, die sich keinem Tarif unterwerfen. Allerdings weist das Institut für Arbeitsmarkt- und Berufsforschung (IAB) für 2020 eine deutlich höhere Tarifbindung von fast 40 Prozent aus.
Zeitler beklagt zudem, dass die Zahl der abgeschlossenen Ausbildungsverträge im Gastgewerbe sich zwischen 2007 und 2021 auf zuletzt gut 43.000 mehr als halbiert hat. Auch diese Entwicklung verschärft den Arbeitskräftemangel in der Branche.
Gastgewerbe ist gewerkschaftlich schwer zu organisieren
Dieser sei bereits allerorten zu spüren, sagt der NGG-Chef. Restaurants führten zusätzliche Ruhetage ein oder strichen die Speisekarte zusammen, Hotels könnten nicht alle Zimmer belegen, weil Personal fehle. Um das zu ändern, hat die NGG eine Reihe von Forderungen aufgestellt. So macht sie sich dafür stark, dass eine Fachkraft im Gastgewerbe mindestens 3000 Euro brutto im Monat verdienen soll.
Auf ihre eigene Kraft, dies durchzusetzen, vertraut die Gewerkschaft dabei allerdings nicht. Die Branche ist sehr kleinteilig – 80 Prozent der Betriebe haben weniger als zehn Beschäftigte – sowie von hoher Fluktuation und einem großen Minijobber-Anteil geprägt.
Das erschwert die Gewerkschaftsarbeit. Der Organisationsgrad der NGG im Gastgewerbe liegt nach einer Studie des Wirtschafts- und Sozialwissenschaftlichen Instituts (WSI) der gewerkschaftsnahen Hans-Böckler-Stiftung bei weniger als zehn Prozent.
Zeitler verlangt deshalb, dass der Staat Tarifverträge durch eine erleichterte Allgemeinverbindlichkeit stärkt. Außerdem sollen öffentliche Aufträge, also beispielsweise das Catering in Behörden, nur noch an tarifgebundene Unternehmen vergeben werden.
Die Arbeitsbedingungen und die Bezahlung in der Branche müssten flächendeckend kontrolliert werden. Und die Politik solle die Hände vom Arbeitszeitgesetz lassen. Denn wenn die tägliche Arbeitszeit, wie vom Dehoga gefordert, auf bis zu zwölf Stunden ausgeweitet werde, wirke dies mit Blick auf die Abwanderung von Personal wie ein „Brandbeschleuniger“.
„Das Gastgewerbe muss dringend umsteuern, um wieder an Attraktivität zu gewinnen“, sagt auch Restaurantfachmann Riek. Sonst drohe der Branche ein Exodus.
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