London Großbritannien hat einen neuen Regierungschef – der dritte in drei Monaten. Rishi Sunak hat das Rennen um die Spitze der Konservativen Partei gewonnen und wird damit auch der nächste britische Premierminister. Der 42-jährige frühere Schatzkanzler erhielt als einziger Bewerber die Unterstützung von weit mehr als 100 Tory-Abgeordneten im britischen Unterhaus.
Die 100er-Marke hatte die Tory-Partei als Hürde für alle Kandidaten festgelegt. Seine zuletzt noch verbliebene Rivalin, die konservative Mehrheitsführerin im Parlament, Penny Mordaunt, hatte kurz zuvor ihre Kandidatur zurückgezogen.
Damit erreicht die seit Wochen andauernde Regierungskrise in London einen weiteren Höhepunkt. Notwendig geworden war die parteiinterne Neuwahl nach dem desaströsen wirtschaftspolitischen Fehlstart der noch amtierenden Premierministerin Liz Truss. Sie war am Donnerstag nach nur 44 Tagen im Amt als Parteichefin zurückgetreten und wird am Dienstag King Charles III. um ihre Entlassung als Premierministerin bitten. Kurz danach kann dann Sunak offiziell zum neuen Regierungschef ernannt werden.
Die Finanzmärkte hatten bereits im Vorfeld des Wahlergebnisses positiv auf den sich abzeichnenden Sieg Sunaks reagiert. Das Pfund stieg gegenüber dem US-Dollar und die Zinsen insbesondere für zweijährige britische Staatsanleihen gingen zurück. Darin drückte sich nach Meinung von Analysten auch die Erleichterung darüber aus, dass Ex-Premier Boris Johnson auf eine erneute Kandidatur verzichtet hatte.
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Benjamin Nabarro, Ökonom bei der US-Großbank Citigroup in London, erwartet von einer Regierung unter Sunak, dass die von Finanzminister Jeremy Hunt vergangene Woche verkündete Kehrtwende hin zu einer solideren Finanzpolitik „zementiert“ werde und „eine weitere Straffung der Finanzpolitik in der nächsten Woche bevorsteht.“
Shevaun Haviland, Chefin der Britischen Handelskammern, forderte, die wirtschaftliche Unsicherheit „muss jetzt ein Ende haben“. Citibank-Ökonom Nabarro ist jedoch skeptisch, ob die Ruhe nach dem politischen Chaos lange anhält. „Kann sich eine Regierung bilden, die die nötige Legitimität besitzt, um die aktuellen wirtschaftlichen Herausforderungen zu bewältigen?“, fragt der Ökonom und verweist darauf, dass „die politischen Machenschaften des Wochenendes auf eine gespaltene Partei hindeuteten“.
Labour-Partei fordert Neuwahlen
Die oppositionelle Labour Partei sieht das ähnlich und fordert sofortige Neuwahlen. Labour führt nach den jüngsten Umfragen mit mehr als 30 Prozentpunkten vor den regierenden Tories. Sunak schloss kurzfristige Neuwahlen jedoch aus.
Tatsächlich sind die wirtschaftlichen und politischen Risiken für den designierten Premierminister beträchtlich. Zunächst hat es Sunak mit einer zerrissenen Partei zu tun, in der die Anhänger von Boris Johnson immer noch einen Groll gegen den früheren Finanzminister hegen. Sunak hatte mit seinem Rücktritt im Sommer den Fall von Johnson eingeleitet.
„Solange wir im Parlament niemanden an der Spitze haben, der die Unterstützung und den Respekt der Fraktion genießt, sind wir faktisch unregierbar“, drohte der Johnson-Anhänger Christopher Chope der BBC. Sunak habe kein Mandat vom Land und auch nicht von den Mitgliedern der Konservativen Partei.
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Obwohl sich der neue Premier in den vergangenen Wochen nicht öffentlich geäußert hat, deutet sich bereits an, welchen Kurs er einschlagen wird. Als Schatzkanzler hatte Sunak das Land mit Steuererhöhungen auf einen Sparkurs geführt. Dazu gehörte auch ein Lohndeckel im öffentlichen Dienst unterhalb der zweistelligen Inflationsrate.
Gespannt darf man sein, wie Sunak und Hunt das Haushaltsloch von rund 40 Milliarden Pfund (46 Milliarden Euro) stopfen wollen. Truss musste ihren Plan, die Renten nicht wie geplant mit der Inflationsrate steigen zu lassen, nach dem Widerstand bei den Tories fallen lassen. Klar gemacht hat der neue Premier bereits, dass für ihn der Abbau der Staatsschulden – die Schuldenquote liegt immerhin bei rund 100 Prozent des Bruttoinlandsprodukts (BIP) – und der Kampf gegen die Inflation Vorrang vor Steuererleichterungen haben sollen.
„Ich werde die Steuern nie auf eine Weise senken, die nur die Inflation in die Höhe treibt“, versprach Sunak im Sommer. Als Schatzkanzler hatte er zudem die Steuerfreibeträge für vier Jahre lang eingefroren, was dazu führt, dass viele Briten in die sogenannte „kalte Progression“ höherer Steuersätze geraten.
Die Mehrheit der Tories möchte die Verteidigungsausgaben auf drei Prozent bis 2030 steigern. Verteidigungsminister Ben Wallace droht mit Rücktritt, wenn daran gewackelt wird. Sunak hat sich bislang geweigert, das öffentlich zu versprechen, weil er sparen muss – auch bei der Verteidigung.
Nordirland-Streit: Sunak könnte pragmatischer Vorgehen
Zu Konflikten mit der eigenen Partei könnte auch der künftige Kurs gegenüber der EU führen. Sunak ist zwar ein Brexit-Anhänger der ersten Stunde und hat wie seine Vorgängerin Truss einen radikalen Abbau von EU-Regeln in der Londoner City angekündigt. Dabei geht es insbesondere um die Kapitalvorschriften für Versicherungen (Solvency II).
Zugleich hat er im Streit mit Brüssel über den Handel mit der nordirischen Provinz (Nordirland-Protokoll) mehr Pragmatismus erkennen lassen als der rechte Parteiflügel. „In der Nordirland-Frage drängt die Zeit, da sich das arbeitsunfähige Parlament in Belfast vermutlich am Freitag auflösen und Neuwahlen ausrufen wird“, sagte Tim Bale, Politik-Professor an der Queen Mary Universität in London. Bale geht davon aus, dass Sunak schnell versuchen wird, eine Einigung mit Brüssel zu erreichen.
Die wirtschaftlichen Folgen des Brexit könnten sich als die größte Herausforderung für den neuen Hausherren in 10 Downing Street erweisen, sind doch vor ihm bereits drei andere Premierminister seit dem Referendum 2016 daran gescheitert. Wenn die Tory-Partei ihren Fehler eingestehen und von jemanden geführt werde, „der die intellektuellen Fähigkeiten und die Autorität hat, den Brexit neu zu verhandeln, gibt es eine Möglichkeit, die Wirtschaft umzukrempeln, aber ohne das ist die Wirtschaft dem Untergang geweiht“, warnte der britische Investor Guy Hands, Chef der Private-Equity-Gesellschaft Terra Firma.
Mehr: Rishi Sunak – An den Märkten ist er beliebt, doch das Volk misstraut ihm
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