Oct 26, 2022
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Europa: Scholz will Streit mit Frankreich beilegen – Um diese Konflikte geht es

Written by Gregor Waschinski

Paris Anfang September versammelte sich die Wirtschaftselite aus Deutschland und Frankreich im französischen Alpenstädtchen Évian. Die exklusive Zusammenkunft im Grand Hotel Royal d’Evian-les-Bains hat Tradition: Seit 1992 besprechen hier Konzernchefs vor der Kulisse des Genfer Sees die Geschäftslage in den beiden eng miteinander verknüpften Volkswirtschaften.

Auch Politprominenz ist geladen: Frankreichs Präsident Emmanuel Macron kam zu dem Treffen. Auch Olaf Scholz reiste in den Ort an der französischen Grenze zur Schweiz. Der Bundeskanzler habe in seiner Rede viel über Deutschland, kaum über Frankreich und noch weniger über die deutsch-französische Zusammenarbeit gesprochen, schilderten Teilnehmer.

Von deutscher Seite hieß es, dass Scholz für seinen Vortrag positive Rückmeldungen bekommen habe. Man sei erstaunt über die Kritik am Auftritt des Kanzlers in Évian.

Die Kritik an Deutschland und Scholz hält in Paris seit Wochen an. Sein Auftritt in Évian stehe symbolhaft für das Verhalten eines deutschen Regierungschefs, der in der EU und im Verhältnis zu Frankreich zunehmend auf eine „Germany-first-Politik“ setze. Frankreich ist frustriert und enttäuscht vom Kanzler.

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Nach der bemerkenswerten Absage des deutsch-französischen Ministerrats wird Scholz an diesem Mittwoch zu einem klärenden Gespräch mit Macron im Élysée-Palast erwartet. Darauf, wie groß der Klärungsbedarf ist, deutet schon hin, dass eine ursprünglich von der Bundesregierung angekündigte Pressekonferenz doch nicht stattfindet. Es wirkt so, als trauten sich Scholz und Macron nicht mehr gemeinsam vor die Kameras, um die Differenzen zwischen beiden Regierungen nicht noch offensichtlicher erscheinen zu lassen.

Auch nach einem bilateralen Gespräch Ende vergangener Woche am Rande des EU-Gipfels in Prag verschickte der Élysée-Palast nur eine dürre Erklärung. Scholz und Macron seien übereingekommen, „zu einer Fortsetzung der Diskussionen zwischen französischen und deutschen Ministern zu ermuntern, damit der nächste deutsch-französische Ministerrat so substanziell und ambitioniert wie möglich sein kann.“

Im Gespräch ist ein neuer Termin im Januar. Der Ministerrat ist Ausdruck der besonderen Beziehungen zwischen Deutschland und Frankreich. Im Aachener Kooperationsvertrag ist festgelegt, dass sich die Kabinette beider Länder „mindestens einmal im Jahr“ treffen.

>> Lesen Sie hier: Macron warnt die Bundesregierung vor einer Isolation

Zuletzt fand der Ministerrat 2019 statt. 2020 fiel er wegen der Pandemie aus und 2021 gab es eine Videokonferenz. Das Treffen für diesen Mittwoch wurde angesichts der Differenzen bei einer Reihe von politischen Fragen abgesagt. Nun kommt Scholz alleine, um den Streit beizulegen.

An die Stelle enger Abstimmung zwischen Berlin und Paris auf europäischer Ebene sind eine passiv-aggressive Kommunikation und politische Retourkutschen getreten. Macron verkündete zuletzt in Prag zusammen mit den Regierungschefs von Spanien und Portugal die Pläne für eine Pipeline von Barcelona nach Marseille. Laut dem Kommuniqué würde diese irgendwann grünen Wasserstoff in den Norden der EU liefern – und lediglich „begrenzte Mengen an Erdgas, einer temporären Übergangsenergie“.

Streit um Pyrenäen-Pipeline

Damit bootete der französische Präsident die Bundesregierung aus. Die hatte sich in den vergangenen Monaten für eine Wiederaufnahme des Pipelineprojekts Midcat von Spanien durch die Pyrenäen nach Frankreich starkgemacht.

Auch Berlin argumentierte, dies sei ein künftiger Transportweg für grünen Wasserstoff. Doch dieser Energieträger ist noch Zukunftsmusik. Den Deutschen ging es kurzfristig um eine neue Erdgaslieferroute, um das fehlende russische Gas zu ersetzen.

Macron sperrte sich gegen Midcat. Scholz suchte den Schulterschluss mit Spaniens Ministerpräsident Pedro Sánchez gegen die Franzosen. Von der Volte der Madrider Regierung wurde der Kanzler dann kalt erwischt. Frankreich befand es nicht für nötig, die Bundesregierung in die Mittelmeerpipeline nach Marseille einzubinden.

Sanchez, Macron und Costa

Die drei einigten sich beim vergangenen Gipfel auf ein neues gemeinsames Pipeline-Projekt, ohne Deutschland.


(Foto: IMAGO/Agencia EFE)

Ähnlich groß war die Überraschung in der französischen Regierung, als Scholz Ende August in einer Grundsatzrede zur Zukunft der EU ein neues europäisches Luftverteidigungssystem vorschlug. Paris empfand es als Provokation, dass die Bundesregierung den Plan ohne Beteiligung Frankreichs vorantrieb, aber EU-Aussteiger Großbritannien an Bord holte. Zudem will die Gruppe Raketenabwehrtechnik aus Israel und den USA einkaufen.

Gemeinsame Rüstungsprojekte stocken

In Paris wurde die „European Sky Shield Initiative“ als Zeichen gewertet, dass die Bundesregierung bei ihrer „Zeitenwende“ die gemeinsamen Rüstungsprojekte mit Frankreich hinten anstellt. Zuvor waren die Franzosen bereits verärgert, dass die 100 Milliarden Euro aus dem Sondervermögen für die Bundeswehr für den Einkauf von Kampfflugzeugen und anderen Rüstungsgütern aus den USA verwendet werden.

Macron hatte mit Blick auf die deutsche Beschaffungsstrategie bereits im Frühjahr gemahnt: Eine europäische Verteidigungsgemeinschaft, die auf Rüstungsimporten basiere, „ergebe keinen Sinn“. Die Rufe des Präsidenten nach einer „europäischen Souveränität“, so der Eindruck auf französischer Seite, verhallen auf der deutschen Seite.

Die deutsch-französischen Projekte, allen voran die Entwicklung des gemeinsamen Luftkampfsystems FCAS, stocken derweil. Aufmerksam registriert wurden in Paris auch Einlassungen des Generalinspekteurs der Bundeswehr, Eberhard Zorn, zur europäischen Rüstungszusammenarbeit.

Zorn hatte bei einer Podiumsdiskussion im September gesagt, die Truppe wolle „Sachen haben, die fliegen, die fahren und die auf dem Markt da sind“. Im Klartext: Auf die deutsch-französischen Waffensysteme wolle man nicht warten.

>> Lesen Sie hier: „Wir haben auf die Deutschen gewartet, aber es wurde immer alberner“: Frankreich verlässt Energiecharta

Die Enttäuschung über Scholz ist in Paris auch deshalb so groß, weil die Kanzlerkandidatur des SPD-Politikers wohlwollend beobachtet wurde. In einer Fernsehdebatte im Sommer 2021 gab er auf die Frage, wohin seine erste Auslandsreise gehen würde, anders als die Grüne Annalena Baerbock und der Unionskandidat Armin Laschet die klare Antwort: „Nach Paris.“

Scholz war aus französischer Sicht die vertrauteste Größe der drei Kanzlerkandidaten. Als Finanzminister arbeitete er eng mit seinem französischen Kollegen Bruno Le Maire beim EU-Wiederaufbaufonds in der Coronakrise und bei der weltweiten Mindeststeuer für Unternehmen zusammen. Nun steht seine Sensibilität für die deutsch-französische Zusammenarbeit infrage.

Macron wirbt für europäischen Ansatz

Im deutsch-französischen Verhältnis haben sich in den vergangenen Monaten eine Reihe von Konflikten angesammelt. Von verschiedener Seite ist in Paris die Klage zu hören, dass Berlin „sein eigenes Ding“ mache. Für Unmut sorgten der deutsche Widerstand gegen einen Gaspreisdeckel auf EU-Ebene und das geplante 200-Milliarden-Entlastungspaket der Bundesregierung in der Energiekrise.

Der Vorwurf? Deutschland verschaffe seiner Industrie einen Wettbewerbsvorteil mit Geld, das andere EU-Staaten nicht haben. Besser wäre ein koordiniertes europäisches Vorgehen zum Schutz der Unternehmen vor den hohen Energiepreisen gewesen.

Emmanuel Macron

Der Präsident warnte Deutschland davor, sich in der EU zu isolieren.


(Foto: IMAGO/Le Pictorium)

Ärger braut sich auch in der Chinapolitik zusammen. Die Zeitung „Le Monde“ berichtete, dass Macron gerne gemeinsam mit Scholz nach China gefahren wäre, als Zeichen europäischer Einigkeit. Doch der Kanzler wird mit einer deutschen Wirtschaftsdelegation nach Peking reisen.

Paris sorgt sich, dass Berlin die Lehren aus seiner Abhängigkeit von russischem Gas nicht verstanden habe und statt mehr europäischer Autonomie weiterhin eine Abhängigkeit seiner Wirtschaft von China in Kauf nehmen könnte.

Macron hatte sich kürzlich in einem Interview mit der Zeitung „Les Échos“ grundsätzlich zum Kurs des Nachbarn geäußert: „Deutschland erlebt einen Moment der Veränderung seines Modells, dessen destabilisierenden Charakter man nicht unterschätzen darf“, sagte er. „Aber wenn wir kohärent sein wollen, müssen wir uns eine europäische Strategie geben und keine nationalen Strategien.“

Mehr: Spanien, Portugal und Frankreich einigen sich auf neue Pipeline



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Politik

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