Berlin In der Metall- und Elektroindustrie wird es ab Samstag erste Warnstreiks geben. Das Angebot, das die Arbeitgeber am Donnerstag in der Tarifrunde für die 3,9 Millionen Beschäftigten vorgelegt haben, gehe an wesentlichen Stellen nicht auf die Forderung der Gewerkschaft ein, sagte IG-Metall-Chef Jörg Hofmann im Interview mit dem Handelsblatt. So bleibe offen, wie die Entgelte der Beschäftigten nachhaltig erhöht werden sollen.
Sollte die Gewerkschaft sich auf diese lange Laufzeit einlassen, könne man auch über eine Tabellenerhöhung reden, also eine dauerhafte Prozentanhebung der Löhne und Gehälter.
Die IG Metall hatte schon im Vorfeld klargemacht, dass für sie eine dauerhafte Erhöhung besonders wichtig ist. Dass die Arbeitgeber bereit sind, darüber zu reden, sei gut, betonte Hofmann. „Aber ich würde gerne auch eine konkrete Zahl hören.“ In der Nacht zu Samstag werde in einigen Werken bereits die Nachtschicht die Arbeit niederlegen, heißt es aus den Tarifbezirken.
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Die Arbeitgeber hätten noch Gelegenheit, ihr Angebot bis zur vierten Verhandlungsrunde in der zweiten Novemberwoche nachzubessern, bemerkte der IG-Metall-Chef. Passiere das nicht, werde die Gewerkschaft entscheiden, wie es weitergehe. „Wir können dann zu 24-Stunden-Warnstreiks aufrufen oder in einzelnen Bezirken auch zu einer Urabstimmung in der Fläche“, warnt Hofmann.
Lesen Sie hier das vollständige Interview mit IG-Metall-Chef Jörg Hofmann:
Die Arbeitgeber haben in der dritten Runde ein Angebot vorgelegt. Ist es jetzt nicht an der Zeit, geplante Warnstreiks abzusagen?
Nein, weil das Angebot an wesentlichen Stellen nicht auf unsere Forderung eingeht: Es ist weiter unklar, wie die Entgelte der Beschäftigten nachhaltig erhöht werden sollen.
Die Arbeitgeber haben immerhin gesagt, dass sie sich bei langer Laufzeit auch eine Prozenterhöhung vorstellen können …
Die Imagination der Arbeitgeber ist beachtlich, aber ich würde gerne auch eine konkrete Zahl hören. Sie hatten seit Juli Zeit, sich mit unserer Forderung auseinanderzusetzen. Und wenn sie das nicht ernsthaft tun, dürfen sie sich nicht wundern, wenn sich diese Tarifrunde aufheizt.
Nun sind 3000 Euro ja nicht wenig …
Bei den unteren Lohngruppen entspricht das ziemlich genau den von uns geforderten acht Prozent. Auf zwölf Monate wäre das also schon eine gute Geschichte, wenn es das jedes Jahr gäbe. Aber auf 30 Monate verteilt und ohne dauerhafte Wirkung, entpuppt sich die Zahl als Scheinriese. Leider gilt dies nicht für die Teuerungen, unter denen die Haushalte leiden. Wir brauchen daher eine Erhöhung der Entgelte, die bleibt.
Sie rufen zu Warnstreiks auf. Wird es auch direkt 24-Stunden-Streiks geben?
Die vierte Verhandlungsrunde beginnt in der zweiten Novemberwoche. Wenn dann kein vernünftiges Angebot vorliegt, werden wir entscheiden, wie es weitergeht. Wir können dann zu 24-Stunden-Warnstreiks aufrufen oder in einzelnen Bezirken auch zu einer Urabstimmung in der Fläche.
Die Chemie-Tarifparteien sind Ihnen zuvorgekommen. Es gibt eine zweistufige Tariferhöhung von insgesamt 6,5 Prozent und zwei steuerfreie Sonderzahlungen von je 1500 Euro. Könnte das nicht die ideale Blaupause für einen Metall-Abschluss sein?
Die wirtschaftliche Lage und die Betriebsstruktur in der Chemiebranche sind andere als in der Metall- und Elektroindustrie. Wir brauchen eine Lösung, die für uns passt. Vergleichen Sie die Ergebnisse der energieintensiven Chemieindustrie im dritten Quartal mit den Ergebnissen, die in diesen Tagen von großen Playern der Metallindustrie kommen, dann sehen Sie den Unterschied.
Nach einer Gesamtmetall-Umfrage sieht sich jeder sechste Betrieb durch gestiegene Energiekosten in einer existenzgefährdenden Situation. Macht Ihnen das keine Sorgen?
Natürlich macht uns Sorgen, dass es Betriebe gibt, die die gestiegenen Preise nicht weitergeben können und damit in eine schwierige Lage kommen. Für die müssen wir eine Lösung finden. Aber die Kasse im Lebensmittelladen macht keinen Unterschied, ob der Arbeitgeber eine schlechte Marktstellung hat oder nicht. Wir können die Tarifrunde nicht an problembehafteten Betrieben ausrichten, wenn es der Branche im Ganzen durchaus noch sehr erträglich geht.
>> Lesen Sie hier das Interview mit Gesamtmetall-Chef Stefan Wolf: „Auftragsbestände schmelzen wie Eis in der Sonne“
Im letzten Tarifvertrag wurde vereinbart, dass Betriebe mit einer Nettoumsatzrendite von weniger als 2,3 Prozent Zahlungen aufschieben oder ausfallen lassen konnten. Die Arbeitgeber wollen diese automatische Differenzierung festschreiben. Machen Sie mit?
Bei den Problemfällen, über die wir reden, würde eine Verschiebung von Tarifbestandteilen den Kern des Problems nicht lösen. Deshalb plädiere ich dafür, dass wir uns in den Betrieben in wirtschaftlicher Existenznot – und die lässt sich nicht allein an der Umsatzrendite ablesen – genau anschauen, was der Beschäftigungssicherung am besten dient. Und dafür haben wir das bewährte Pforzheim-Verfahren. (Im Pforzheimer Abkommen einigten sich die Metall-Tarifparteien im Jahr 2004, dass Abweichungen vom Flächentarif unter bestimmten Bedingungen möglich sind – aber nur, wenn die IG Metall zustimmt, Anm. d. Red.)
Die Arbeitgeber wollen, dass aus einer Tariferhöhung eine Nullrunde wird, wenn es zu einer Gasmangellage kommt. Werden Sie sich darauf einlassen?
Wir werden bereit sein zu reden – wie auch in der Vergangenheit in vergleichbaren Situationen. Einen Automatismus, dass einfach etwas wegfällt, wird es mit uns nicht geben.
Sie stört die lange Laufzeit von 30 Monaten. Sie wissen aber selbst, dass es mit zwölf Monaten nichts wird, weil Sie dann vor Ihrem Gewerkschaftstag im Oktober 2023 erneut verhandeln müssten …
Wichtig ist, dass lange Laufzeiten den Nachteil haben, beide Seiten für eine Zukunft vertraglich zu binden, die im hohen Maße ungewiss ist. Also gilt: Je kürzer die Laufzeit, desto besser. Ob es am Ende zwölf Monate werden oder ein Schnaps obendrauf – das sehen wir dann.
Aber 30 Monate machen Sie nicht mit?
Wer sich bei den Arbeitgebern zutraut, die Prozentzahl abzuschließen, die wir als IG Metall für 30 Monate bräuchten, dem wünsche ich viel Fortune in seinem Verband.
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Kommen wir zur Politik. Die Gaspreiskommission wird bald ihren Abschlussbericht vorlegen. Was erwarten Sie?
Ich erwarte, dass es für große industrielle Bezieher von Gas ab Januar eine deutliche Reduzierung des Gaspreises gibt. Das muss aber an Konditionen geknüpft werden, beispielsweise Zusagen zur Standort- und Beschäftigungssicherung sowie Perspektiven für die Transformation. Die europarechtlichen Bedenken, die noch geäußert werden, scheinen mir überwindbar. Es gibt aber eine bedenkliche Entwicklung.
Woran denken Sie?
Es gibt in der Gaspreiskommission Vertreter, die die Gelegenheit nutzen wollen, den Ausstieg aus fossilen Energien extrem zu beschleunigen und den Überbrückungscharakter von Gas, der bei aller Anstrengung für Teile der Industrie mittelfristig weiter notwendig ist, infrage zu stellen. Nur so kann man auf die abenteuerliche Idee kommen, Firmen zu erlauben, Produktion stillzulegen und nicht verbrauchte Gaskontingente zu einem günstigen Preis an andere Unternehmen weiterzuverkaufen. Das sichert zwar den Profit, kostet aber Arbeitsplätze und Wertschöpfung, Kurzarbeit ist ausgeschlossen. Dass damit kein Kubikmeter Gas eingespart ist, sondern an anderer Stelle mit dem günstigen Gas mehr produziert wird, macht diese Idee völlig absurd.
Aber knappes Gas wird anders verteilt …
Wenn es lukrativer ist, Gaskontingente am Markt zu verkaufen, statt weiter zu produzieren, dann löst das spekulative Stilllegungen aus, mit denen wir leider schon konfrontiert sind. Das trifft auch Unternehmen, die für die Wertschöpfungskette hohe Relevanz haben. Wir provozieren ein neues Lieferkettenproblem, dessen Dimension noch niemand richtig auf dem Schirm hat.
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Sowohl die Gas- als auch die Strompreisbremse sind bisher nur Ankündigungen. Brauchen wir mehr Tempo?
Wenn es nicht gelingt, die Gas- und Strompreisbremse vorzuziehen – so wie es Olaf Scholz angedeutet hat – dann brauchen wir neben der jetzt vorgesehenen Dezember-Abschlagszahlung weitere Entlastungen der Verbraucher und Unternehmen für Januar und Februar.
Macht Wirtschaftsminister Robert Habeck momentan einen guten Job?
Ich möchte nicht mit ihm tauschen. Die Aufgaben sind enorm. Darunter leiden Projekte, die deutlich im Verzug sind. Wir warten immer noch auf Maßnahmen zur Entbürokratisierung von Energiekostenzuschüssen für die Betriebe, die vor ein paar Wochen angekündigt wurden. Aber es müssen gerade viele Räder gleichzeitig bewegt werden und vieles bewegt sich auch in die richtige Richtung.
Herr Hofmann, vielen Dank für das Interview.
Mehr: Höchste Tarifforderungen seit Jahren: Droht nun die Lohn-Preis-Spirale?
<< Den vollständigen Artikel: Metall-Tarifrunde: IG-Metall-Chef Jörg Hofmann kündigt Streiks an: „Die Arbeitgeber gehen nicht auf unsere Forderungen ein“ >> hier vollständig lesen auf www.handelsblatt.com.