San Francisco „Wo ist Nancy? Wo ist Nancy?“ Gegen 2.30 Uhr am Freitagmorgen war ein Mann in San Francisco in das Haus von Paul und Nancy Pelosi eingedrungen. Er suchte die Sprecherin des Repräsentantenhauses der USA. Doch nur der Ehemann war zu Hause. Der Eindringling erklärte laut Nachrichtenagentur CNN, dann werde er warten, bis sie nach Hause komme. Pelosis Sprecher teilte mit, der Mann habe das Leben von Paul Pelosi bedroht.
Es kam zu einem Handgemenge, bei dem Paul Pelosi durch Hammerschläge schwer verletzt wurde. Vorher hatte er noch heimlich einen Notruf bei der Polizei absetzen können. Als erste Beamte eintrafen, kämpften die Männer noch und der 42-Jährige Angreifer wurde überwältigt.
Die Nachricht verbreitete sich wie ein Lauffeuer in San Francisco und im politischen Washington DC. Der Anschlag kommt nur wenige Tage vor den anstehenden „Midterm“-Wahlen, bei denen wichtige Positionen in Bundesstaaten, Senat und Repräsentantenhaus besetzt werden. Der Wahlausgang entscheidet auch über das politische Schicksal von Präsident Joe Biden.
Gewinnen die Republikaner beide Kammern des Kongresses, ist er eine „lame duck“, eine lahme Ente, die kein Gesetz mehr gegen die Republikaner durchsetzen kann. Die Angst: Kippt der ohnehin schon hitzig geführte Wahlkampf jetzt endgültig von der verbalen in die physische Aggression?
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„Der unfassbare Anschlag ist nur ein weiteres Beispiel für die Konsequenzen von spaltender und hasserfüllter Rhetorik, die Leben aufs Spiel setzt und unsere Demokratie gefährdet“, so Kaliforniens Gouverneur Gavin Newsom. „Diejenigen, die ihre Plattformen einsetzen, um Gewalt zu provozieren, müssen zur Verantwortung gezogen werden.“
Der republikanische Gouverneur von Virginia, Glenn Youngkin, sagte laut CNN auf einer Wahlkampfveranstaltung, es habe einen Einbruch bei den Pelosis gegeben. Es gebe „keinen Platz für Gewalt, nirgendwo“, fügte er an. Nur um dann zu versprechen: „Aber wir werden sie (Nancy) zurück nach Kalifornien schicken, damit sie mit ihrem Mann zusammen sein kann. Das ist das, was wir machen werden.“
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Obwohl die Details des Einbruch-Anschlags noch zu klären sind, beängstigt die Ähnlichkeit zu den Vorgängen vom 6. Januar 2021 im Kapitol in Washington: „Wo ist Nancy“, skandierte damals ein Mob, der später auch Pelosis Büro stürmte, immer wieder. Eine 59-Jährige aus Pennsylvania mit Trump-Mütze postete ein Selfie-Video aus dem Kapitol: „Wir sind drin! Wir haben unseren Teil gemacht! Wir haben nach Nancy gesucht, um ihr in den Kopf zu schießen. Aber wir haben sie nicht gefunden.“ Die Frau wurde später zu einer Haftstrafe verurteilt.
Im August 2022 war ein anderer Teilnehmer der Erstürmung des Kapitols in Washington zu sieben Jahren Haft verurteilt worden. Er hatte eine Schusswaffe mitgebracht und Drohungen gegen Pelosi ausgestoßen.
Nancy Pelosi – die glühende Verfechterin der Demokratie
Die 1940 in Baltimore, Maryland, geborene Nancy Patricia D’Alesandro Pelosi ist wie kaum eine andere Figur des politischen Washington Kristallisationspunkt für rechten Hass und Gewalt geworden.
Die demokratische Politikerin ist seit 2019 Sprecherin des Repräsentantenhauses, eine Position, die sie bereits von 2007 bis 2011 innehatte. Sie ist die dritthöchste politische Figur des Landes. Damit würde sie auch die Regierung der USA übernehmen, falls Präsident und Vize-Präsidentin gleichzeitig nicht in der Lage sein sollten, die Regierungsgeschäfte zu führen.
In ihrer langen politischen Karriere war sie verantwortlich oder mitverantwortlich für zahlreiche Gesetze. Sie war aktive und mächtige Unterstützerin der großen Gesundheitsreform unter Präsident Barack Obama („Obamacare“), die von der republikanischen Partei bis heute vehement bekämpft wird.
Mit zunehmendem Alter ist die heute 82-Jährige zudem nicht milder geworden. Immer wieder erweist sie sich als glühende Verfechterin von Demokratie und Verfassung der USA. Im Jahr 2019 startete die demokratische Fraktion des Repräsentantenhauses unter ihrer Führung Untersuchungen zur Einflussnahme ausländischer Kräfte bei den Präsidentschaftswahlen, bei denen Donald Trump an die Macht kam.
Danach hinterfragte sie Trumps Anordnung, zugesagte Hilfsgelder an die Ukraine nicht auszuzahlen. Die Untersuchungen führten zum ersten Amtsenthebungsverfahren gegen Donald Trump. Pelosi wurde später treibende Kraft hinter dem Untersuchungsausschuss zu den Vorfällen rund um das Kapitol in Washington DC, das von fanatischen Trump-Anhängern gestürmt worden war.
Angriff auf Ehemann von Nancy Pelosi
Auch mit der eigenen Partei legt sie sich an. Auf einer Asienreise dieses Jahr schob sie kurzfristig noch einen umstrittenen Zwischenstopp in Taiwan ein, was nicht nur die chinesische Regierung in Peking massiv verärgerte, sondern auch in der demokratischen Partei auf deutliche Kritik stieß. Sie heize die Stimmung nur unnötig an.
Im Mai besuchte sie die Ukraine. Mitte Oktober stellte sie sich vehement gegen Forderungen des republikanischen Fraktionsführers im Repräsentantenhaus, Kevin McCarthy, die Ukraine-Hilfen der USA zu kürzen. Das werde man machen, sobald man in den Midterm-Wahlen die Mehrheit erreicht habe, verspricht McCarthy.
Kritik gegen Pelosi wegen angeblichem Insiderhandel
Pelosi ist seit 1963 mit dem erfolgreichen Investmentbanker Paul Pelosi verheiratet. Sie gelten als eines der wohlhabendsten und einflussreichsten Politikerpaare im US-Kongress. Die Pelosis haben eigene Fangruppen auf Onlineseiten wie Reddit, wo ihre Investmenterfolge gefeiert werden. Aber immer wieder werden auch – unbelegte – Anschuldigungen laut, Nancy Pelosi und ihr Mann betrieben schwunghaften Insiderhandel aufgrund von Informationen, die sie in ihrem Amt erlange. Anschuldigungen, die sie klar zurückweist, die aber in rechten Online-Foren regen Zuspruch finden.
Trotzdem macht sie sich gerade hier immer mehr Feinde, selbst in der eigenen Partei. Noch Mitte September verkündete sie, man habe ein Gesetz zur stärkeren Regulierung des Wertpapierhandels durch Mitglieder von Haus und Senat praktisch finalisiert und werde es noch im September zur Abstimmung bringen. Doch dann kam der Rückzieher. Nun kann das Gesetz frühestens nach den für die Demokraten wichtigen Midterm-Wahlen passieren.
Auch am Abend der Erstürmung des Kapitols fachte sie den unbändigen Hass ihrer Gegner an. Zusammen mit anderen Politikern hatte sie darauf bestanden, dass der Kongress trotz aller Sicherheitsbedenken der Polizei in verwüsteten Räumen wieder zusammenkommen und die Zertifizierung der Präsidentenwahl abschließen müsse. Am nächsten Morgen war Joe Biden offiziell als neuer Präsident der Vereinigten Staaten festgestellt. Zum ersten Jahrestag der Erstürmung erklärte Pelosi dann: „Da machen wir uns nichts vor: Unsere Demokratie stand am Abgrund. Aber die Demokratie hat gewonnen.“
Zumindest hat sie damals einen Teilsieg errungen. Die anstehenden Midterms in wenigen Tagen müssen erst beweisen, ob die Drahtzieher im Hintergrund des versuchten Staatsstreichs tatsächlich besiegt wurden oder stärker denn je auftrumpfen werden.
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