Nov 3, 2022
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Jörg Wuttke: Präsident der EU-Handelskammer in Peking warnt: „Die Stimmung ist nicht gut“

Written by Dana Heide

Berlin Der Präsident der Europäischen Handelskammer Jörg Wuttke ist einer der wenigen Wirtschaftsvertreter in Peking, die bereits seit Jahrzehnten in der Volksrepublik leben. Er kennt sowohl die Wirtschaft als auch das chinesische System wie kaum ein anderer. Und er traut sich, im Namen der europäischen Wirtschaft auch Kritik an der Politik der chinesischen Staatsführung zu üben.

Im Gespräch mit dem Handelsblatt erklärt er, warum er die Reise von Bundeskanzler Olaf Scholz nach China wichtig findet und welche Unternehmen weiter stark auf Geschäfte in der Volksrepublik setzen werden. Zur künftigen Linie im Umgang mit der Volksrepublik sagt er: „Wir können uns China nicht wegwünschen. Der Kanzler muss hier Klartext reden.“

Herr Wuttke, was erwartet die europäische Wirtschaft von dem Besuch von Kanzler Scholz in Peking?
Ich finde es sehr gut, dass Kanzler Scholz kommt. Wir haben jetzt 1000 Tage keinen G7-Regierungs- oder -Staatschef mehr in China gehabt. Wir brauchen in dieser Echokammer, die sich hier seit der Pandemie entwickelt hat, unbedingt eine klare Sprache. Deswegen sind sowohl der Zeitpunkt als auch die Themen gut gewählt, über die man hier miteinander sprechen will: Ukraine, Taiwan, Menschenrechte. Und dann natürlich die Themen Klimaschutz und Biodiversität. Eins ist wirklich wichtig: Wir können uns China nicht wegwünschen. Der Kanzler muss hier Klartext reden.

Muss und kann die Bundesregierung entschlossener gegenüber der chinesischen Staatsführung auftreten?
Ich glaube, dass sie das kann, und ich glaube, dass es wichtig ist, klar zu zeigen, wo unsere Interessen sind – zum Beispiel, dass China im Ukrainekrieg stärker seinen Einfluss auf Russland positiv nutzt. So etwas muss man von Angesicht zu Angesicht besprechen, das geht nicht online. Es ist außerdem gut, dass der Bundeskanzler vor der Fertigstellung der Chinastrategie der Bundesregierung selbst einen Realitätscheck vornehmen kann.

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Es gab viel Kritik daran, dass Scholz eine Wirtschaftsdelegation mitnimmt – ganz so wie in alten Zeiten.
Es ist nicht „business as usual“, es sind andere Zeiten. Ich war in den letzten Jahrzehnten bei sehr vielen dieser Delegationsreisen mit dabei. Die Flieger waren immer voll, viele sind in der Vergangenheit sogar auf eigene Faust angereist. Im Vergleich dazu ist jetzt wirklich nur eine ganz kleine Gruppe dabei. Das ist auch das, was ich hier wahrnehme: Die Top Ten der Firmen werden weiter auf China setzen müssen, dafür ist der Markt zu groß. Es ist aber wichtig, dass der Kanzler auch für die Unternehmen redet, die eben nicht im Flieger sind. Die Mittelständler, die Probleme haben, ins Land zu kommen und ihre Geschäfte zu führen.

Deutsch-chinesischen Handelsbeziehungen

Chinesische und deutsche Flagge: “Es ist nicht business as usual, es sind andere Zeiten.”



(Foto: dpa)

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Wie ist derzeit die Stimmung unter den europäischen Unternehmen in China?
Die Stimmung ist nicht gut. Wir haben das Problem der Immobilienkrise, wir haben das Problem der Lokalverschuldung und dann kommen auch noch die ganzen Covid-Restriktionen dazu. Hinzu kommt eine zusätzliche Unsicherheit durch die neue Führungsschicht in der Kommunistischen Partei, die sich momentan noch nicht in der Regierung widerspiegelt. Die neue Regierung wird erst im März aufgestellt.

Wie blickt die europäische Wirtschaft in China auf den zurückliegenden Parteikongress?
Auf dem Parteikongress zeigte sich eine klare Ausrichtung: Xi Jinping hat klargemacht, wer der Chef ist. Er hat in seiner Rede 15-mal Karl Marx erwähnt und nur dreimal den Markt. Man muss Xi als Leiter der Kommunistischen Partei beim Wort nehmen: Er ist ein starker Ideologe und er will, dass China kommunistischer wird. Die Wirtschaft muss sich damit zurechtfinden, dass die Zeiten von Deng Xiaoping vorbei sind.

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Steht die Ideologie jetzt vor der Wirtschaft in China?
Ja, das haben wir in unserem aktuellen Positionspapier der Europäischen Handelskammer herausgearbeitet: Die Ideologie übertrumpft die Wirtschaft. Das soll aber nicht heißen, dass die Unternehmen sich jetzt zurückziehen müssen oder dass die Aussichten schlechter sind. Es ist vor allem eine Wahrnehmung, dass es sehr viel politisierter zugeht. Es gibt drei Bereiche, wo ich mir nicht vorstellen kann, dass die Unternehmen ihre Investitionspläne zurückschrauben: Maschinenbau, Automobilindustrie und Chemie – diese Firmen müssen weiter am Ball bleiben in China. Aber Unternehmen aus anderen Branchen, gerade auch die Mittelständler, werden sich genau überlegen, unter welchen Bedingungen sie in China noch Geschäfte machen können. Sie werden sich sicher nicht ganz aus China zurückziehen, aber eben auch andere Standorte ins Auge fassen.

Herr Wuttke, vielen Dank für das Gespräch.

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Politik

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