Berlin Kaum jemand nutzt sie – und sie kann fast nichts: Die elektronische Patientenakte (ePA) ist das Sorgenkind von Gesundheitsminister Karl Lauterbach (SPD). 2021 gestartet, ist sie Kern der Digitalagenda des SPD-Politikers.
Sie soll Röntgenbilder auf CD, Papierakten und Faxe überflüssig und medizinische Daten für die Forschung verfügbar machen. In Ländern wie Israel ist das selbstverständlich, in Deutschland noch Zukunftsmusik.
Ändern soll dies ein fundamentaler Strategiewechsel, den die Ampelparteien in ihrem Koalitionsvertrag vereinbart haben und den Lauterbach nun auf den Weg bringt. Derzeit müssen sich gesetzlich Versicherte aktiv für eine ePA entscheiden. Das soll sich mit dem Opt-out-Verfahren ändern: Nur wer widerspricht, bekommt damit keine digitale Akte.
„Einen entsprechenden Gesetzentwurf für diese Grundsatzentscheidung werden wir zeitnah vorlegen“, sagte Lauterbach dem Handelsblatt. Die Teilnahme bleibe zwar freiwillig. „Aber prinzipiell soll jeder gesetzlich Versicherte in Deutschland eine elektronische Patientenakte erhalten, die Nutzung wird somit der Regelfall.“
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Nur so könnten Behandlungsinformationen hinterlegt und für weitere Diagnostik und Therapie genutzt werden. Dafür soll die für die Digitalisierung des Gesundheitswesens zuständige Firma Gematik am Montag per Beschluss von der Gesellschafterversammlung beauftragt werden, die technischen und organisatorischen Voraussetzungen zu prüfen.
In der Beschlussvorlage, die dem Handelsblatt vorliegt, heißt es dazu: „Um die Opt-out-ePA schnellstmöglich umzusetzen, ist eine zeitliche Parallelisierung von Gesetzgebung und Konzeption der technischen wie organisatorischen Maßnahmen erforderlich.“
Ziel ist die Umsetzung des Verfahrens im Jahr 2024. Die gilt als schwierig. Insbesondere der Bundesdatenschutzbeauftragte Ulrich Kelber (SPD) hatte sich in der Vergangenheit kritisch zum Opt-out-Verfahren geäußert. Zu dem aktuellen Verfahren wollte Kelber sich auf Anfrage nicht äußern.
Elektronische Patientenakte: Vier Entscheidungsstufen
Kelber soll bei der Prüfung des Verfahrens miteinbezogen werden, ebenso wie die Krankenkassen als ePA-Betreiber, das Bundesamt für Sicherheit in der Informationstechnik (BSI), die umsetzende Industrie und die Gesellschafter der Gematik. Dazu zählt das Bundesgesundheitsministerium als Mehrheitseigner.
Aus der Beschlussvorlage geht auch hervor, wie das Opt-out-Verfahren geregelt werden soll, also an welchen Stellen Versicherte widersprechen können. Konkret soll es vier Entscheidungsstufen geben. Sofern Versicherte nicht widersprechen, wird in der ersten Stufe automatisch eine ePA für den Patienten angelegt und bereitgestellt.
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In der zweiten Stufe kann die Akte durch den behandelnden Arzt befüllt werden und in der dritten zu Behandlungszwecken vom Arzt eingesehen werden. In der vierten Stufe können die Gesundheitsdaten schließlich in anonymer Form zu Forschungszwecken gespendet werden.
Insbesondere von dieser letzten Stufe erhofft sich Gesundheitsminister Lauterbach einen großen Mehrwert für die Medizin. Damit aussagekräftige medizinische Forschung und Vorsorgemodelle durch moderne Ansätze wie Künstliche Intelligenz überhaupt möglich werden, muss der Pool an Daten möglichst groß und vollständig sein.
„Nur wenn wir die Chancen der Digitalisierung nutzen, können wir weiterhin eine moderne Gesundheitsversorgung für alle garantieren“, sagte Lauterbach. Die Medizin werde besser und effizienter.
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Zudem sollen sowohl die elektronische Patientenkurzakte (ePKA) als auch der elektronische Medikationsplan (eMP) in die digitale Akte integriert und nicht mehr als eigenständige Anwendungen umgesetzt werden.
Die gesetzlichen Krankenkassen müssen seit 2021 eine elektronische Akte anbieten. Laut dem TI-Dashboard der Gematik haben derzeit allerdings nur 556.000 der insgesamt 74 Millionen gesetzlich Versicherten in Deutschland eine digitale Akte.
Grund für die geringe Nutzerzahl sind nicht nur die begrenzen Funktionen. Die sollen nach und nach ausgebaut werden. Perspektivisch sollen in der Akte etwa Daten wie Röntgenbilder und Medikamentenpläne abgelegt werden können.
Laut dem Technikradar 2022 der Körber-Stiftung sieht ein großer Teil der Bevölkerung die ePA grundsätzlich skeptisch. Jeder Fünfte gab an, die Akte nicht nutzen zu wollen. Grund sind Bedenken beim Datenschutz (50 Prozent) und Unklarheiten darüber, wer welche Daten einsehen kann (53 Prozent).
Der Chef der Techniker-Krankenkasse Jens Baas lobte deswegen den Vorstoß von Lauterbach. „Es ist richtig, dass die Umsetzung des Opt-out unter gleichzeitiger Wahrung der Freiwilligkeit jetzt höchste Priorität bekommt“, sagte er dem Handelsblatt. „Die Pandemie hat gezeigt, wie wichtig die Verfügbarkeit und Vernetzung von Gesundheitsdaten sind.“ Deshalb sei es wichtig, dass mit der Konzeption des Opt-out begonnen werde – „damit wir keine Zeit verlieren“, sagte Baas.
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