Capstadt Wer von der südafrikanischen Wirtschaftsmetropole Johannesburg nach Osten in Richtung Krüger-Nationalpark fährt, passiert nach zwei Autostunden eine Reihe trister Industriestädte. Zwischen Middelburg, Witbank und Belfast befindet sich das sogenannte Highveld, ein sonnenverbranntes Hochplateau, das mit Minen und Schornsteinen von Kohlekraftwerken übersät ist.
Fast 80 Prozent der südafrikanischen Kohle wird hier im „coal belt“ gewonnen. Schätzungen zufolge liegen unter dem östlichen Highveld 60 Milliarden Tonnen an abbaubaren Kohlereserven. Einfacher könnte die Energieversorgung des Landes eigentlich kaum sein – allerdings auch nicht dreckiger und klimaschädlicher.
Bei der Weltklimakonferenz in Ägypten rückt Afrikas rußige Energiewirtschaft in den Fokus. Die Strategie des Westens, so betonen die EU und die USA in Scharm el-Scheich, sei klar: Es gelte, Afrika bei der Wende hin zu grünen Energien zu unterstützen. Man werde dazu beitragen, dass die „sauberen Energien in Südafrikas Wirtschaft gedeihen“, ließ US-Präsident Joe Biden Anfang der Woche übermitteln.
Tatsächlich haben einige reiche Länder, darunter auch Deutschland, zu Jahresbeginn den Aufbau von Energiepartnerschaften beschlossen, um die Energiewende in ausgewählten Schwellenländern voranzutreiben.
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Südafrika soll dabei als Leuchtturmprojekt fungieren: 8,5 Milliarden Dollar stellen die USA, Großbritannien und die Europäische Union (EU) dem Land am Kap in den kommenden fünf Jahren zur Verfügung, um die dort bislang klar dominante Kohle durch Windturbinen und Solaranlagen zu ersetzen. Eine Milliarde Euro davon kommt aus Deutschland.
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Die Initiative, die unter dem Namen „Just Energy Transition Partnership“ (JETP) firmiert, hofft, das Projekt später auf weitere Schwellenländer auszudehnen. Vor allem Indonesien und Vietnam wären Staaten, die ihre Treibhausgasemissionen durch den Umbau ihrer Energieerzeugung drastisch reduzieren könnten. An diesem Freitag werden auf der Weltklimakonferenz weitere Details des Programms vorgestellt werden.
Doch der grünen Vision des Westens steht eine rußige Realität gegenüber, wie Klimaschützer vorrechnen: Ausgerechnet Europas Stromerzeuger zählen zu den Topkunden am südafrikanischen Kohlegürtel um Middelburg, ausgerechnet europäische Kunden bescheren den dort aktiven Minenkonzernen hohe Profite.
Seit die Erdgaspreise im Zuge des Ukrainekrieges massiv gestiegen sind, bemühen sich westliche Regierungen verstärkt um Kohle aus Südafrika, deren Abbau sie eigentlich stoppen wollen. Als Anfang August das Kraftwerk im niedersächsischen Mehrum bei Hannover wieder hochgefahren wurde, stammte der Brennstoff dafür – aus Südafrika.
Angesichts der plötzlichen Energieengpässe gewinnen fossile Brennstoffe massiv an Bedeutung. Deutschland zum Beispiel erhöht gerade massiv seine Kohleimporte aus Südafrika: Bezog es 2021 noch etwas mehr als eine Million Tonnen von dort, steigt der Bedarf in diesem Jahr noch einmal drastisch an, wie etwa Zahlen vom April dieses Jahres zeigen.
Deutlich höhere Kohleausfuhren in die EU
Allein in diesem Zeitraum kam es zu einer Verzehnfachung des Volumens im Vergleich zum Vorjahresmonat. Der wichtigste Kohle-Exporthafen Südafrikas in Richards Bay verschiffte im April 2022 nach Informationen des Datenanbieters VesselsValue mehr als 2,4 Millionen Tonnen Kohle, wovon 560.000 Tonnen für Europa bestimmt waren. Im gleichen Zeitraum des Vorjahres hatte nur ein einziger Frachter Richards Bay in Richtung Europa verlassen, beladen mit knapp 60.000 Tonnen Kohle.
In Südafrika selbst wird die ambivalente Politik der Europäer mit Verblüffung registriert. „Während die Industriestaaten uns auffordern, unsere Kohlekraftwerke auslaufen zu lassen, fahren sie diese bei sich selbst gerade wieder hoch“, kritisiert Südafrikas Umweltministerin Barbara Creecy.
Der neue Deal zum schnelleren Umstieg auf Erneuerbare könnte Südafrika künftig noch in Bedrängnis bringen. Würde die Regierung des Landes derzeit auch nur ein einziges Kohlekraftwerk abschalten, könnte die eigene, schwer angeschlagene Energieversorgung womöglich kollabieren.
Seit 15 Jahren wird das Land am Kap wegen eines auf null zusammengeschrumpften Strompuffers von Blackouts geplagt. Erst im September wurde mit Ausfällen von bis zu zehn Stunden am Tag ein neuer Tiefpunkt erreicht.
Zudem kämpft das Land seit Langem mit enormen logistischen Problemen beim Abtransport seiner Kohle aus den Gruben der Provinzen Mpumalanga und Kwazulu-Natal. Dem staatlichen Transportriesen Transnet fehlen Lokomotiven, Güterwaggons und ausgebildetes Personal. Auch sind der Vandalismus am Schienennetz und der Diebstahl von Kupferkabeln derart eskaliert, dass Transnet seine Lieferverpflichtungen seit Längerem nicht mehr einhalten kann – und diese zeitweise sogar völlig aussetzen musste.
Angesichts der ohnehin desolaten Energieinfrastruktur dürfte es umso schwieriger sein, den „Kohle- Junkie“ vom Kap auf Entzug zu setzen, meint Umweltministerin Greecy. Ganz ausgeschlossen sei dies allerdings auch nicht. „Es ist durchaus möglich, den Energiemix allmählich zu verändern und gleichzeitig den Anteil der Erneuerbaren zu steigern“, sagt sie.
Gleichwohl ist sie davon überzeugt, dass ihr Land mittelfristig auf Kohle angewiesen bleibt. Deren Ablösung werde nur gelingen, wenn am Ende eine ganze Industrie samt Zulieferern rund um erneuerbare Energien entstünde. Für einen so umfassenden Strukturwandel dürften die 8,5 Milliarden Dollar der Industrieländer allerdings längst nicht reichen. Zumal ein großer Teil des Geldes auf Krediten basiert.
Forscher der Universität Stellenbosch beziffern die Kosten für die südafrikanische Energiewende auf rund 250 Milliarden Dollar – fast das Dreißigfache dessen, was über die nächsten fünf Jahre dafür ins Land fließen könnte.
<< Den vollständigen Artikel: Weltklimakonferenz: EU fördert Südafrikas grüne Energiewende – und kauft dort immer mehr Kohle ein >> hier vollständig lesen auf www.handelsblatt.com.