Washington Die ersten Wahllokale waren gerade geschlossen, da startete Joe Biden seinen Telefonmarathon. Der US-Präsident rief einen Wahlgewinner nach dem anderen an: Virginia, Colorado, Massachusetts im ersten Schwung. Rhode Island, Illinois, Pennsylvania im zweiten und so weiter, quer durch die Landkarte der USA.
Biden hatte viele Kandidatinnen und Kandidaten zu beglückwünschen, denn seine Partei konnte bei den wichtigen Kongresswahlen entscheidende Wahlkreise und Bundesstaaten verteidigen. Normalerweise wird die Partei des amtierenden Präsidenten bei den Halbzeitwahlen, den Midterms, abgestraft.
Doch nun sieht es so aus, als könnten die Demokraten den Schaden in Grenzen halten – und zum Unmut der Republikaner viele Achtungserfolge einfahren.
„Das ist definitiv keine republikanische Welle, so viel steht fest“, sagte der republikanische Senator Lindsey Graham dem Fernsehsender NBC. Noch sind viele Stimmen nicht ausgezählt, die Kontrolle über die beiden Abgeordnetenkammern des Kongresses, das Repräsentantenhaus und den Senat, ist offen – und es kann einige Zeit dauern, bis ein vollständiges Bild entsteht.
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Doch schon jetzt ist klar, dass die Wahl nicht so verläuft, wie es die Republikaner erwartet haben. „Die Wahlnacht zeigt für die Republikaner viel engere Ergebnisse als erwartet“, sagte der politische Stratege Matt Dole dem Handelsblatt. „Die Partei hatte von einem massiven Erfolg geträumt. Jetzt kann sie froh sein, wenn sie eine Kammer im Kongress erobert.“
US-Präsident Joe Biden spricht bei einer Wahlkampfveranstaltung in Pennsylvania.
Was bedeuten die ersten Ergebnisse? Drei Erkenntnisse der Wahlnacht:
1. Inflation drückt auf die Stimmung – schadet den Demokraten aber nur in Maßen
Die Midterms sind die wichtigsten Abstimmungen zwischen zwei Präsidentschaftswahlen. Tausende wichtige Positionen in den Bundesstaaten werden besetzt sowie Mandate im Senat und im Repräsentantenhaus, den beiden Kammern des US-Kongresses.
Bislang kontrollieren die Demokraten das Repräsentantenhaus mit einem kleinen Vorsprung. Der Senat ist genau fifty-fifty geteilt, aber dank der Extrastimme von Vizepräsidentin Kamala Harris können die Demokraten dort Gesetze beschließen. Vermutlich werden die Demokraten das Repräsentantenhaus verlieren, doch die Verluste dürften sich nach den ersten Ergebnissen in Grenzen halten.
Eigentlich hatte der Wahlabend in den USA mit einem „Wow-Effekt“ für die Republikaner begonnen: Sie zementierten den Status des 22 Millionen Einwohner zählenden Floridas als tiefrote Hochburg.
>> Lesen Sie dazu auch: Der Republikaner, den Trump fürchtet – Wer ist Floridas Gouverneur Ron DeSantis?
Doch gleichzeitig färbte sich die politische Landkarte blauer und blauer. Im strategisch wichtigen Bundesstaat Pennsylvania holte der Demokrat John Fetterman den Senatssitz. Er setzte sich knapp gegen den von Donald Trump unterstützten Fernseharzt Mehmet Oz durch – was angesichts eines emotionalen Wahlkampfs spektakulär ist.
Fetterman hatte im Wahlkampf einen Schlaganfall erlitten, seine Sprache ist seitdem eingeschränkt. Biden und die Demokraten hatten maximale Unterstützung und Millionen in das Rennen gepumpt – und das zahlte sich aus.
Er hat den umkämpften Bundesstaat Pennsylvania für die Demokraten gewonnen.
Mit Pennsylvania haben die Demokraten jetzt deutlich bessere Chancen, ihre knappe Mehrheit im Senat zu halten – oder sogar auszubauen. Joe Biden wäre dann der erste demokratische Präsident seit John F. Kennedy, der bei Zwischenwahlen Sitze im Senat dazugewinnt.
Vorentschieden ist die Senatswahl aber noch nicht. In Georgia zum Beispiel, das zentral für die Mehrheit der Kongresskammer ist, könnte es im Dezember in die Stichwahl gehen. „Die Demokraten haben eine echte Chance, den Senat zu halten und ihre Verluste im Repräsentantenhaus zu begrenzen“, twitterte der frühere Präsidentschaftskandidat Joe Walsh. „Im Vergleich zu seinen Vorgängern scheint Biden eine verdammt erfolgreiche erste Halbzeit für einen amtierenden Präsidenten zu haben.“
Midterms – US-Zwischenwahlen – Worum geht es?
Repräsentantenhaus
Bei den Zwischenwahlen am 8. November wählen die US-Amerikaner sämtliche 435 Abgeordnete im Repräsentantenhaus neu. Die Amtszeit der Abgeordneten ist grundsätzlich auf zwei Jahre beschränkt. Bisher haben die Demokraten dort 222 Sitze, die Republikaner 213. Zusammen mit dem Senat bildet das Repräsentantenhaus den Kongress.
Senat
Im Senat wählen die Amerikaner bei den Midterms nur ein Drittel der 100 Sitze neu – insgesamt 35. Von den nun zur Wahl stehenden Sitzen sind 14 bisher von Demokraten und 21 von Republikanern besetzt. Derzeit verfügen die Republikaner im Senat über 50 Stimmen, die Demokraten über 48 und die Unabhängigen über zwei. Zusammen mit den Unabhängigen und der Stimme der Vizepräsidentin haben die Demokraten dennoch die Mehrheit.
Gouverneursposten in den Bundesstaaten
In 36 der insgesamt 50 Bundesstaaten wird am 8. November auch der Gouverneursposten neu gewählt, also die Staats- und Regierungschefinnen und -chefs der einzelnen Bundesstaaten. Von den Staaten mit Gouverneurswahlen sind bisher 20 von Republikanern geführt und 16 von Demokraten.
Zu den am heißesten umkämpften Staaten, die die Machtverhältnisse in Washington verschieben könnten, gehören Arizona, Florida, Georgia, Kansas, Nevada, New Hampshire, North Carolina, Ohio, Pennsylvania und Wisconsin.
Angesichts von Bidens schlechten Zustimmungswerten und Rekordinflation waren sich die meisten Demoskopen im Vorfeld sicher, dass die Demokraten deutliche Verluste hinzunehmen hätten. Laut dem Fernsehsender NBC spielten jedoch Themen wie das Recht auf Abtreibung fast eine ebenso große Rolle wie der Zustand der US-Wirtschaft.
Und die schlechte Performance vieler Trump-Kandidaten deutet darauf hin, dass allzu radikale Bewerber zwar in Vorwahlen erfolgreich sind – aber die Hürde, tatsächlich ins Amt gewählt zu werden, für sie hoch ist.
2. Donald Trump hat sich womöglich überschätzt
Zumindest ist Donald Trumps Unterstützung, so eine Lehre der Midterms, kein Garant für einen Sieg. Trump hatte aus seinem Anwesen in Mar-a-Lago fast 300 Kandidatinnen und Kandidaten unterstützt. Seine Kundgebungen waren brechend voll, Trump ist nach wie vor der größte Spendensammler der Republikaner.
Doch seit seiner verlorenen Präsidentschaftswahl 2020 kamen in der Partei immer wieder Zweifel auf: Ist er mehrheitsfähig? Lässt sich der Fanatismus seiner Fans in Stimmen umwandeln?
„Die Republikaner müssen ihren zukünftigen Weg eingehend prüfen – dazu gehört auch die Führungsfrage“, sagt der politische Stratege Dole. Laut NBC sinkt der Anteil der republikanischen Anhänger, die sich mit Trump identifizieren. Und wie die „Huffington Post“ berichtete, würde der republikanische Hedgefonds-Milliardär Ken Griffin nicht noch einmal für einen Präsidentschaftskandidaten Trump spenden.
Donald Trump hat zahlreiche republikanische Kandidaten unterstützt.
(Foto: IMAGO/USA TODAY Network)
Immer wieder deutete Trump zuletzt an, dass er 2024 noch einmal für das Weiße Haus kandidieren werde. Am 15. November nun will er „eine große Ankündigung“ in seinem Golfklub in Florida machen, wie er am Montag mitteilte. Damit stimmten die Amerikaner am Dienstag implizit auch über Trump ab.
Strategen aus beiden Parteien waren sich in der Nacht zu Mittwoch einig, dass es für Trump schlechter lief, als dieser es sich gewünscht hätte: In New Hampshire zum Beispiel gewann die demokratische Senatorin Maggie Hassan gegen den von Trump unterstützten Herausforderer Don Bolduc. Und auch Blake Masters, ein vom deutschen Investor Peter Thiel geförderter Trumpist, wird im Senatsrennen in Arizona wohl abgehängt.
„Die große Erkenntnis des Abends: Die von Trump unterstützten Kandidaten tun sich schwer in Rennen, die eigentlich einfach zu gewinnen gewesen wären“, sagte Dan Eberhart, CEO des Öl-Dienstleisters Canary aus Denver, der seit Jahren für die republikanische Partei spendet.
Bidens frühere Regierungssprecherin, Jen Psaki, räumte ein, dass die Demokraten zwar ein Problem in Florida hätten, wo die Republikaner mit überwältigenden Mehrheiten gewonnen haben. „Doch die Republikaner haben ein Trump-Problem, und das ist viel schwieriger zu lösen“, betonte sie.
Planmäßig lief es für Trump unter anderem in Ohio, wo sich Trumps Kandidat J.D. Vance gegen den demokratischen Senator Tim Ryan durchsetzen konnte. Vance war vor einigen Jahren auch in Deutschland bekannt geworden, mit seinem Bestseller „Hillbilly Elegy“, der als Erklärbuch für den Trump-Erfolg bei der weißen Arbeiterschicht gilt.
Auch ins Repräsentantenhaus ziehen viele Abgeordnete ein, die Trump treu zur Seite stehen und unter anderem den Sturm auf das Kapitol vom 6. Januar 2021 als „Demo“ herunterspielen. Rechte Kandidatinnen und Kandidaten wie Marjorie Taylor Greene oder Matt Gaetz, echte „Maga-Republikaner“ (Make-America-Great-Again-Republikaner), verteidigten ihre Sitze mit großem Abstand.
In Colorado wiederum hat es Trumps Kandidatin Lauren Boebert überraschend schwer, ihren Sitz im Repräsentantenhaus erneut zu gewinnen – alles in allem legt Trumps Kandidatengruppe eine gemischte Performance hin.
Zumal ein parteiinterner Rivale von Donald Trump, der republikanische Gouverneur Ron DeSantis, in Florida einen regelrechten Triumph feiern konnte. Er gewann seine Wiederwahl mit zweistelligem Vorsprung. DeSantis gilt als aussichtsreicher Bewerber für die Präsidentschaftswahlen 2024 – und als konservative Firewall. Florida sei der Bundesstaat, „wo Wokismus sterben wird“, rief er bei seiner Siegerrede. Mit „Wokismus“ wird die erhöhte Aufmerksamkeit gegenüber Diskriminierung und Missständen bezeichnet.
3. Die USA bleiben unberechenbar
Verkompliziert werden die Midterms dadurch, dass die Auszählungen Tage oder gar Wochen dauern könnten. Sollte es im Bundesstaat Georgia tatsächlich in die Stichwahl gehen, kennt man die genaue Verteilung im Senat erst am 6. Dezember.
Das Repräsentantenhaus, das gilt weiterhin als wahrscheinlich, könnte an die Republikaner gehen. „Es ist klar, wir werden das Repräsentantenhaus zurückerobern“, rief der Republikaner Kevin McCarthy in der Wahlnacht. McCarthy will Nancy Pelosi beerben, die momentan die demokratische Mehrheit in der Kammer anführt.
Doch die Republikaner hatten auf eine bequeme zweistellige Mehrheit gesetzt. Das ist nun alles andere als sicher, womöglich werden es nur wenige Sitze Vorsprung.
Kevin McCarthy möchte Sprecher des Repräsentantenhauses werden.
(Foto: AP)
Die Republikaner könnten zum großen unberechenbaren Faktor im Repräsentantenhaus werden, sollten sich ihre Fraktionen aus radikalen „Maga-Republikanern“ und moderateren Abgeordneten gegenseitig blockieren, mit wenig Spielraum für Abweichler.
So oder so wird es für Joe Biden ungemütlich, wenn die Opposition eine oder beide Kongresskammern dominiert. Die Republikaner drohen mit einem Amtsenthebungsverfahren wegen des chaotischen Afghanistanabzugs oder der Flüchtlingskrise an der Grenze zu Mexiko. Außerdem können sie Biden mit Ermittlungen gegen dessen Regierung und Familie vor sich hertreiben.
Die Zwischenwahlen könnten auch bei der Außenpolitik ihre Spuren hinterlassen: Die Republikaner haben im Wahlkampf mit einem Stopp der Ukrainehilfen gedroht.
Unabhängig vom Wahlausgang ist die Stimmung in den USA angespannt, die republikanische Partei drohte noch in der Wahlnacht mit Klagen gegen das Ergebnis. „Blutbad!!!!“ twitterte Donald Trumps Sohn Don Jr.
Was potenzielle Aggressionen anheizte, waren vereinzelte Pannen in Wahllokalen: Im bevölkerungsreichen Wahlkreis Maricopa County in Arizona war am Dienstag jede vierte Stimmzettelmaschine von Störungen betroffen. Ausgerechnet dieser Wahlkreis stand schon 2020 im Zentrum von Mühen der Republikaner, die Präsidentschaftswahlen für ungültig zu erklären.
In rechtskonservativen Kreisen gehen Behauptungen über angeblichen Wahlbetrug viral. „Jetzt geht das schon wieder los?“, wütete Trump auf seinem sozialen Netzwerk Truth Social. „Die Leute werden das nicht dulden!!!“
Unabhängige Wahlbeobachter der OECD halten sich in den USA auf. Eine Lehre der Midterms ist, dass das Misstrauen in den demokratischen Prozess inzwischen tief verankert ist.
Mehr: Zwischenwahlen in den USA – Alle Grafiken, Daten und Fakten
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