Brüssel Die Reformen bei Twitter könnten nach europäischem Recht rechtswidrig sein. „Wenn Twitter keine Möglichkeit mehr hat, illegale Inhalte zu entfernen, ist das ein klarer Bruch mit den Regeln des Digital Services Act“, sagt Alexandra Geese, die als Europaabgeordnete der Grünen an dem Gesetz mitgearbeitet hat.
Der „Digital Services Act“, kurz „DSA“, wurde über anderthalb Jahre in der EU verhandelt und tritt an diesem Mittwoch in Kraft. Er soll bewirken, dass die mächtigen Onlineplattformen sorgsam mit ihrer Macht umgehen.
Nachdem der Milliardär Elon Musk Ende Oktober Twitter gekauft hatte, wurden Tausende Mitarbeiter entlassen, die für „Content Moderation“ (zu Deutsch: Inhalte-Mäßigung) zuständig waren. Dadurch könnten illegale und jugendgefährdende Inhalte sowie Fake News auf der Plattform unzureichend kontrolliert werden, fürchten Kritiker.
„Twitter muss laut DSA unternehmerische Sorgfaltspflichten einhalten“, sagt Julian Jaursch von der Stiftung neue Verantwortung. „Dazu braucht es Mitarbeitende, die sich mit Beschwerdemanagement, Sicherheit und Transparenz der Empfehlungssysteme beschäftigen.“ Ganz auf die Löschung rechtswidriger Inhalte zu verzichten wäre nach den Regeln des DSA illegal, erklärt er.
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Strafzahlungen von bis zu sechs Prozent des weltweiten Jahresumsatzes
Bei wiederholten Verstößen gegen die DSA-Regeln sieht das Gesetz hohe Strafzahlungen von bis zu sechs Prozent des weltweiten Jahresumsatzes vor. Bei Twitter, das 2021 etwa fünf Milliarden Dollar einnahm, wären das rund 300 Millionen Dollar.
Im DSA werden keine neuen Regeln für Inhalte definiert – was illegal ist und was erlaubt, entscheiden weiterhin die Mitgliedstaaten der EU. Doch der DSA schreibt nun vor, dass Plattformen Risiken analysieren und darauf reagieren müssen.
Konkret heißt das, dass sie ihre Löschregeln und Algorithmen so anpassen müssen, dass Debatten und Wahlen durch diese Systeme nicht manipuliert werden.
Wenn die Massenentlassungen bei Twitter dazu führen, dass inhaltliche Userbeschwerden hauptsächlich von Bots geprüft werden, wird Twitter mit dem DSA rasch in Konflikt geraten. Europaabgeordneter Moritz Körner (FDP)
Die ersten Risikoanalysen müssen die Plattformen wahrscheinlich ab kommendem Sommer anfertigen. Unabhängige Stellen werden überprüfen, ob diese Analysen sorgfältig gemacht werden und ob die Erkenntnisse Konsequenzen haben.
Sich dabei ganz auf die Automatisierung zu verlassen, wie es Musk möglicherweise vorhat, wäre wohl ein Verstoß gegen die Regeln. „Wenn die Massenentlassungen bei Twitter dazu führen, dass inhaltliche Userbeschwerden hauptsächlich von Bots geprüft werden, wird Twitter mit dem DSA rasch in Konflikt geraten“, sagt der Europaabgeordnete Moritz Körner (FDP).
>> Lesen Sie hier: Wahrheit statt Wut: Wie die EU jetzt das Internet zähmt
Weitere Konflikte könnte es in Bezug auf die Datenschutz-Grundverordnung (DSGVO) geben. Dort ist vorgeschrieben, dass Onlineplattformen einen Datenschutzbeauftragten ernennen. Diese Position hatte bis vor Kurzem Damien Kieran inne, der gleichzeitig Chief Privacy Officer war.
Er kündigte nach der Übernahme – ebenso wie viele andere, die für den Posten infrage kämen. Laut „Techcrunch“ ist unklar, ob sich nun noch geeignete Kandidaten für den heiklen Posten finden lassen.
Die Europazentrale von Twitter befindet sich in Irland. Die daher zuständige irische Datenschutzbehörde äußerte bereits öffentlich Besorgnis wegen der Vorgänge. Die DSGVO sieht Strafen von bis zu vier Prozent des weltweiten Jahresumsatzes vor.
Während es mit Konflikten in Bezug auf die DSGVO schon einige Erfahrungswerte gibt, ist die Umsetzung des DSA noch Neuland. Dass eine der ganz großen Plattformen so schnell in Konflikt mit dem DSA geraten würde, war auch kaum abzusehen.
Während in den vergangenen zwei Jahren am Gesetz gefeilt wurde, überboten sich Facebook, Instagram, Twitter, Youtube und Tiktok mit Ankündigungen, mit welchen Methoden sie ihre Nutzer künftig besser schützen würden.
Facebook, Instagram, Twitter, Youtube und Tiktok überboten sich mit Ankündigungen, mit welchen Methoden sie ihre Nutzer künftig besser schützen würden.
(Foto: IMAGO/Revierfoto)
Schwierigkeiten deuteten sich vor allem bei Plattformen wie Telegram an, das sich explizit jeder staatlichen Kontrolle entziehen will, nicht jedoch bei den großen amerikanischen Diensten.
Entsprechend ist der DSA vor allem darauf angelegt, langfristig Verbesserungen in der Funktionsweise der Netzwerke zu erzielen. So sollen Wissenschaftler erforschen können, warum sich Fake News oft schneller verbreiten als echte Nachrichten und ob soziale Netzwerke psychische Erkrankungen verstärken.
Dazu werden die Forscher Zugang zu den bislang gut geschützten Algorithmen der Plattformen bekommen. Schritt für Schritt soll so etwas gegen die manchmal toxische Wirkung von sozialen Netzwerken unternommen werden.
Zuständigkeiten innerhalb der EU müssen geklärt werden
Doch das braucht erstens Zeit. Verzögert wird der Prozess noch dadurch, dass nach dem Inkrafttreten des Gesetzes noch die Zuständigkeiten innerhalb der EU geklärt werden müssen.
Und zweitens ist dazu die Mitarbeit der Plattformen notwendig. „Der DSA kann rechtliche Grenzen setzen, aber nicht verhindern, dass Musk, falls er das will, aus Twitter eine Fake-News-Schleuder macht“, sagt Körner.
Musk teilte kürzlich selbst Fake News von einem verschwörungstheoretischen Onlineportal. Auch beleidigte er andere schon als „Kindervergewaltiger“. Solche Äußerungen könnten auf Twitter künftig als Ausdruck der Redefreiheit toleriert werden. „Der Vogel ist befreit“, hatte Musk nach der Übernahme getwittert.
Aus der EU kam daraufhin eine Kampfansage: „In Europa wird der Vogel nach unseren EU-Regeln fliegen“, schrieb Industriekommissar Thierry Breton. Die zuständige Vizepräsidentin der EU-Kommission, Margrethe Vestager, sagte am Montag allerdings über den DSA, ein solches Gesetz umzusetzen sei wahrscheinlich tausendmal schwieriger, als es zu schreiben.
Einige Beobachter setzen indes darauf, dass sich Musk verspekuliert hat und die Relevanz von Twitter schneller nachlässt, als der DSA Wirkung zeigen kann. „Sollten die Geschäftsbedingungen demnächst vorsehen, dass Hass und Hetze auf der Plattform erlaubt sind, dann ist vorhersehbar, dass viele Menschen die Plattform verlassen werden oder ihre Meinung nicht mehr äußern“, sagt Geese.
Mehr: Die EU reguliert das Internet – und legt das beste Gesetz vor, das dem Digitalen passieren konnte
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