Russland wird sich kaum an die Vereinbarung halten.
(Foto: IMAGO/SNA)
Genf Im Ukrainekrieg oder bei anderen Kampfhandlungen setzen Kriegsparteien wie etwa Russland Raketen, Granaten und anderen Explosivwaffen ein – und terrorisieren damit Zivilisten. Etwa die USA, Deutschland, Österreich und zahlreiche weitere Staaten wollen gegen den Einsatz dieser als besonders gefährlich geltenden Waffen vorgehen.
Am kommenden Freitag schließen die Unterzeichnerstaaten in Dublin eine politische Erklärung ab, die erstmals den Einsatz der Explosivwaffen in Wohngebieten stark eindämmen und so den Schutz der Zivilbevölkerung verbessern soll. Die Konferenz bildet den Abschluss eines dreijährigen diplomatischen Prozesses. Die Vereinten Nationen und das Rote Kreuz sprechen schon von einem „großen Meilenstein“. Die wichtigsten Fragen und Antworten rund um die Munitionsarten – und darüber, was bei der Dubliner Konferenz beschlossen werden soll.
Was sind Explosivwaffen?
Es handelt sich um verschiedene Munitionsarten, die von Waffensystemen abgefeuert werden: Fliegerbomben, Artilleriegeschosse, Raketen, Panzergranaten, Streumunition sowie unkonventionelle oder behelfsmäßige Spreng- und Brandvorrichtungen.
Warum gelten die Waffen als besonders gefährlich?
Explosivwaffen sind für den Einsatz auf offenen Schlachtfeldern konzipiert. Die Explosionen erzeugen enorme Druckwellen, das Verschleudern von Splittern, Hitze und Brände. Sie haben fürchterliche Folgen, wenn sie in bewohnten Gebieten mit ziviler Infrastruktur eingesetzt werden.
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Selbst wenn Militärs mit Explosivwaffen Ziele des Gegners exakt treffen, können Menschen und Einrichtungen in einem großen Umkreis sogenannte Kollateralschäden erleiden.
(Foto: IMAGO/ZUMA Wire)
Trauriges Beispiel: die Attacken der russischen Armee auf Städte und Siedlungen in der Ukraine. Selbst wenn Militärs mit Explosivwaffen Ziele des Gegners exakt treffen, können Menschen und Einrichtungen in einem großen Umkreis sogenannte Kollateralschäden erleiden. Besonders verheerend ist der Gebrauch von veralteten, ungenauen Waffen und von Systemen mit einem weiten Explosions- und Splitterradius.
Zivilisten leiden also besonders unter dem Gebrauch der Munition?
Ja. Jedes Jahr werden nach Schätzungen des Roten Kreuzes Zehntausende Zivilisten durch Bombardierungen und Beschuss in Städten und bewohnten Gebieten getötet, verletzt und traumatisiert. Daten des Internationalen Netzwerks über Explosivwaffen zeigen, dass beim Einsatz von schweren Explosivwaffen in bewohnten Gebieten 90 Prozent der Opfer Zivilisten sind. Das Rote Kreuz schätzte Anfang 2022, also vor dem russischen Einmarsch in die Ukraine, dass rund 50 Millionen Menschen in Siedlungsgebieten die Kriegsführung mit Explosivwaffen erdulden müssen.
Die Kriegsgeräte machen urbane Flächen unbewohnbar und vertreiben die Menschen in die Flucht.
Im vergangenen Jahrzehnt waren 123 Länder oder Territorien vom Einsatz schwerer explosiver Waffen betroffen. Aktuelle Beispiele sind auch Äthiopien und Syrien. Wohnhäuser, Hospitäler, Schulen, Stromnetze, Wasser- und Abwassersysteme werden beschädigt und zerstört. Wer den Beschuss mit Explosivwaffen überlebt, kann in vielen Fällen nicht mit medizinischer Hilfe rechnen. So wurde durch Luftschläge 2015 ein Krankenhaus in Saada, Jemen, zerstört. Rund 200.000 Kinder, Frauen und Männer waren von ärztlicher Behandlung abgeschnitten. Die Kriegsgeräte machen urbane Flächen unbewohnbar und vertreiben die Menschen in die Flucht. So flüchteten zwischen April und Juli 2019 rund 120.000 Zivilisten vor dem Beschuss in Libyens Hauptstadt Tripolis.
Was beinhaltet die neue Erklärung von Dublin?
Die internationalen Gespräche über die Erklärung begannen vor rund drei Jahren auf Initiative Irlands, also vor der russischen Aggression in der Ukraine. Konkret wollen die Unterzeichner sicherstellen, dass ihre Streitkräfte „eine Reihe von Strategien und Praktiken annehmen und umsetzen, die dazu beitragen, Schaden von der Zivilbevölkerung abzuwenden“. Sie sollen den „Einsatz von Explosivwaffen in bewohnten Gebieten einschränken oder gegebenenfalls unterlassen, wenn davon auszugehen ist, dass ihr Einsatz Zivilisten oder zivilen Objekten Schaden zufügen kann“.
Zahlreiche Gebiete in der Ukraine sind vermint.
(Foto: IMAGO/NurPhoto)
Weiter soll den Opfern, einschließlich der Familien der Getöteten und Verletzten, besser geholfen werden. Staaten sollen Daten über zivile Schäden sammeln und die Umsetzung des Abkommens überwachen. Weiterhin gilt aber: Der Einsatz von Explosivwaffen in Siedlungsgebieten ist nicht per se verboten.
Die Deklaration ist aber kein völkerrechtlich verbindlicher Vertrag über ein eindeutiges Verbot der Explosivwaffen in Siedlungsgebieten?
Ja. Im schlechtesten Fall wird die Erklärung keine Wirkung entfalten. Die Vereinten Nationen und das Internationale Komitee vom Roten Kreuz hoffen aber auf eine Stärkung des humanitären Völkerrechts und setzen auf Verhaltensänderungen. Auch Rüstungsgegner sind optimistisch. „Offensichtlich befinden wir uns hier erst am Anfang eines internationalen Prozesses“, heißt es aus dem Internationalen Netzwerk über Explosivwaffen. „Die Vermeidung des Einsatzes dieser Waffen könnte sich langsam zu einem Standard entwickeln. Ein generelles Verbot bleibt aber das Ziel.“
Welche Staaten werden die Erklärung verabschieden?
Laut der Hilfsorganisation Handicap International will eine Reihe von Staaten mitmachen, darunter die USA, Deutschland, Österreich, die Schweiz, Australien, Belgien, Bulgarien, Frankreich, Großbritannien, Japan, Norwegen, Südkorea, Senegal, Schweden und Uruguay. Abseits stehen Russland und China.
Die russischen Streitkräfte in der Ukraine zertrümmern mit Explosivwaffen ukrainische Städte und Dörfer. Werden sich die Einheiten an die Erklärung halten?
Explosivwaffen sind für den Einsatz auf offenen Schlachtfeldern konzipiert.
(Foto: IMAGO/ITAR-TASS)
Es ist auszuschließen, dass Russland sich an die Dubliner Vorgaben halten wird.
Was schreibt das humanitäre Völkerrecht vor?
Die Haager Abkommen von 1899 und 1907 sowie die Genfer Abkommen von 1949 mit ihren Zusatzprotokollen bilden das Fundament des humanitären Völkerrechts. Das humanitäre Völkerrecht soll das menschliche Leid in bewaffneten Konflikten vermindern und baut auf Prinzipien wie der Unterscheidung auf. Danach müssen laut Auswärtigem Amt die Konfliktparteien „jederzeit zwischen Zivilbevölkerung und Kombattanten unterscheiden“. Es darf also nicht „unterschiedslos“ geschossen werden.
Es handelt sich bei Explosivwaffen um verschiedene Munitionsarten, die von Waffensystemen abgefeuert werden.
Weder die Zivilbevölkerung als Ganzes noch einzelne Zivilisten dürfen angegriffen werden. Angriffe dürfen ausschließlich auf militärische Einheiten und Objekte erfolgen. Militärische Ziele können aber in Siedlungsgebieten liegen, und Attacken darauf mit Explosivwaffen sind nicht prinzipiell verboten. Andererseits muss jede Partei ihre Zivilbevölkerung so gut wie möglich vor Angriffen schützen, etwa indem die Menschen von militärischen Zielen entfernt untergebracht werden.
Wieso verbieten die Staaten nicht den Einsatz der Explosivwaffen in besiedelten Gebieten?
Insbesondere die großen Militärmächte sperren sich gegen ein eindeutiges Verbot. Militärs und Politiker dulden keine Einschränkung ihrer operativen Handlungsoptionen in einem Konflikt.
Mehr: Lesen Sie hier die aktuellen Entwicklungen im Ukrainekrieg im Newsblog
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