Berlin Digitale Angebote für Patienten spielen in Deutschland eine immer größere Rolle. „In den vergangenen zwölf Monaten waren einige Fortschritte zu verzeichnen“, heißt es in dem E-Health-Monitor 2022 der Unternehmens-Beratungsgesellschaft McKinsey, der am Dienstag vorgestellt wird und dem Handelsblatt exklusiv vorab vorliegt.
Die Studie misst die Digitalisierung des Gesundheitswesens in Deutschland anhand von 30 Indikatoren. „Sie bleibt eine Mammutaufgabe, aber es geht spürbar voran“, sagt Studienautor und McKinsey-Partner Tobias Silberzahn. Als Beispiel führt der Report die sogenannten Apps auf Rezept auf. Das sind zugelassene Digitale Gesundheitsanwendungen (DiGA), die von den gesetzlichen Krankenkassen für Patienten erstattet werden.
33 solcher Apps auf Rezept sind derzeit verfügbar, dazu zählen Therapien bei Depressionen, Diabetes und Tinnitus. Im ersten Halbjahr 2022 gab es 62.000 Verschreibungen einer App auf Rezept, was einem Bruchteil der Zahl der insgesamt verschriebenen Rezepte von rund 500 Millionen darstellt. „Allerdings kommen die Apps auf Rezept bei den Patienten sehr gut an“, sagt Silberzahn.
Für das kommende Jahr rechnet der McKinsey-Report mit 125.000 verordneten Apps. Dies entspricht bei einem Durchschnittspreis von 458 Euro je App einem Marktvolumen von rund 57 Millionen Euro.
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Das Angebot kommt offenbar gut bei den Versicherten an. 86 Prozent würden einer Umfrage der Techniker Krankenkasse zufolge bei einer Erkrankung erneut eine DiGa nutzen. Die gesetzlichen Krankenkassen sehen die Apps auf Rezept wegen der Ausgaben hingegen kritisch. Auch sonstige digitale Gesundheitsservices würden zunehmend genutzt, etwa Online-Apotheken oder Apps zur Prävention und Diagnose.
Als weiteres Positivbeispiel führt der E-Health-Monitor die Videosprechstunde an. 61 Prozent der Hausarztpraxen bieten laut der Kassenärztlichen Bundesvereinigung (KBV) mittlerweile digitale Angebote an. Die Videosprechstunde ist mit 37 Prozent das mit Abstand weit verbreitetste, gefolgt von Online-Terminvereinbarungen, die 21 Prozent der Praxen anbieten. Insgesamt wurden im vergangenen Jahr rund 3,5 Millionen Videosprechstunden abgerechnet, ein Anstieg von 29 Prozent im Vergleich zum Vorjahr.
„Die Patienten haben also Gewohnheiten wie die Video-Sprechstunden aus dem Coronajahr 2020 beibehalten und weiter genutzt“, sagte Silberzahn. Offen aber bliebe, wie lange der Pandemieeffekt noch anhält, da viele Praxen das Angebot im Zuge der Coronalockerungen wieder reduzierten. Zudem lohnt sich die Videosprechstunde für viele Anbieter nicht. Das schwedische Unternehmen Kry verlässt im Dezember den deutschen Markt.
Patientenakte und E-Rezept mit Problemen
Gleichzeitig zeigt die Studie, welche Herausforderungen Gesundheitsminister Karl Lauterbach (SPD) bei der Digitalisierung des Gesundheitswesens noch bevorstehen. Aktuell nutzen weniger als ein Prozent der gesetzlich Versicherten die elektronische Patientenakte (ePA), eines der wichtigsten Digitalvorhaben von Lauterbach. Zudem sind die meisten Akten noch leer, werden also nicht genutzt.
Ändern soll dies das Opt-out-Verfahren, das die Bundesregierung im November auf den Weg gebracht. Nur, wer widerspricht, soll dann keine elektronische Akte mehr erhalten. „Das ist ein wichtiger Schritt, aber entscheidend wird auch sein, schnell die Funktionalitäten der ePA zu erweitern“, sagt Silberzahn. „Die elektronische Patientenakte muss echten Nutzen für Bürger und Gesundheitsberufe liefern und muss einfach zu nutzen sein.“
Ähnlich beurteilt er das elektronische Rezept, ein ähnlich wichtiges Digitalvorhaben für Lauterbach. Eigentlich soll es seit diesem Jahr flächendeckend verfügbar sein, die Einführung aber stockt. Erst vor wenigen Wochen stieg die einzige Pilotregion aus dem Vorhaben aus.
>> Lesen Sie mehr: Rückschlag für Lauterbachs Digitalprojekt – Pilotregion stoppt E-Rezept-Testphase
Lauterbachs Ministerium plant den flächendeckenden Start nun Mitte 2023 mit einer rudimentären Lösung über die elektronische Versichertenkarte, auf der die Rezepte hinterlegt werden sollen. „Ich persönlich hätte mir eine zeitgemäßere Lösung ohne Steckkarte gewünscht“, sagt Silberzahn. „Das E-Rezept kann nur Erfolg haben, wenn wir Sicherheit, Schnelligkeit und Nutzungskomfort in Einklang bringen.“
Länder wie Dänemark, Schweden und Israel zeigten, wie es geht. In Schweden werden 99 Prozent der Rezepte digital eingelöst, in Deutschland liegt der Anteil im Promillebereich. „Ähnlich wie in Dänemark ist das E-Rezept in Schweden mit der nationalen elektronischen Patientenakte verknüpft, in der auch der Medikationsplan hinterlegt ist – ein weiterer Erfolgsfaktor für die nahezu vollständige Marktdurchdringung“, heißt es im E-Health-Monitor.
Einen Effekt hatte das E-Rezept in Deutschland offenbar schon. 99 Prozent der Apotheken waren im Juni 2022 an die Telematik-Infrastruktur (TI) angeschlossen. Im Vorjahr waren es noch 75 Prozent. Die TI bildet die technologische Basis für den Datenaustausch zwischen Pharmazeuten, Kliniken und Arztpraxen. Letztere Gruppe war zu 96 Prozent an die TI angeschlossen.
Mehr: Jeder soll automatisch E-Patientenakte erhalten: Lauterbach bringt Opt-out-Verfahren auf den Weg
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