Nov 29, 2022
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Satelliten gegen Propaganda: Digitale Trutzburg: So wappnet sich Taiwan für den Cyberkrieg

Written by Roman Winkelhahn


Düsseldorf, Tokio, New York Die größte Bedrohung für die Sicherheit Taiwans nennt Digitalministerin Audrey Tang nur indirekt, nie wörtlich: die Volksrepublik China. „Wir planen auch für schwerere, von Menschen verursachte Katastrophen, die alle unterseeischen Internetkabel Taiwans kappen“, sagt sie im Gespräch mit dem Handelsblatt. Es ist eine Anspielung auf die umfassenden Militärmanöver Chinas im Sommer in der Meerenge vor Taiwan, wo eben diese Kabel entlanglaufen.

Tangs Aufgabe ist es, das hochdigitalisierte Taiwan vor chinesischen Cyberattacken und Angriffen auf die IT-Infrastruktur zu schützen. Die kommunistische Führung in Peking betrachtet Taiwan als abtrünnige Provinz und hat unter Präsident Xi Jinping mehrmals damit gedroht, die demokratisch regierte Insel mit rund 23,5 Millionen Einwohnern notfalls mit militärischer Gewalt einzunehmen. Zur Selbstverteidigung Taiwans gehören nicht nur Luftabwehrraketen und U-Boote, sondern auch digitale Abwehrmaßnahmen gegen Cyberangriffe und Desinformationen.

Dabei schaut Taiwan genau auf die Ukraine in diesem Jahr. „Beim Thema Sicherheit stützen wir uns auf die Erfahrungen der Ukraine im Widerstand gegen den brutalen Angriffskrieg Russlands“, sagt Tang.

Man solle sich Russlands Angriff auf die ukrainische Hauptstadt Kiew ohne Internetverbindungen vorstellen. „Dann hätte die internationale Gemeinschaft keinen Weg gehabt, von Russlands brutalem Aggressionskrieg zu erfahren oder die täglichen Ansprachen von Präsident Wolodimir Selenski zu sehen.“ Stattdessen hätten Falschnachrichten und russische Propaganda regiert – und womöglich die Hilfsprojekte anderer Länder untergraben.

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Demokratie, Toleranz und Freiheit ließen sich nur bewahren, wenn Taiwan im Ernstfall kommunikationsfähig bleibe, warnt Tang, die erste Digitalministerin Taiwans. Sie arbeitet aus der Not heraus an einer digitalen Trutzburg, die zeigt, wie die Zukunft der digitalen Kommunikation aussehen könnte: Satelliten ersetzen Internet-Seekabel, Feuerwehrautos liefern im Notfall 5G-Empfang, und die Nation bildet ein Heer von Bürgerjournalisten zu Faktencheckern aus. Noch stecken Tangs Pläne in den Anfängen, doch die Zeit drängt. Viele Chinaexperten halten einen Angriff in den kommenden Jahren für möglich bis wahrscheinlich.

Die Unterseekabel sind Taiwans wunder Punkt

Bisher ist Taiwan durch 15 Unterseekabel mit dem Weltnetz verbunden. Aufgrund der Erdbebengefahr in der Region laufen die Kabel an verschiedenen Küstenabschnitten zusammen. „Die Unterseekabel sind ein massiver wunder Punkt“, sagt Ostasienexperte Eberhard Sandschneider. Wie leicht sich eine derartige Infrastruktur zerstören lasse, habe die Sabotage an der Nord-Stream-Pipeline in der Ostsee gezeigt.

Taiwanesische Soldaten bei einer Militärübung

China hat bereits mehrfach gedroht, das Land notfalls mit militärischer Gewalt einzunehmen.


(Foto: NurPhoto/Getty Images)

Um einen Ausfall der Internetversorgung zu verhindern, setzt Ministerin Tang auf Satelliten – eine Technologie, die sich bereits in der Ukraine bewährt hat. Das ukrainische Militär und die Bevölkerung haben seit März Zugang zum Satellitennetzwerk Starlink. Der Internetanbieter von US-Milliardär Elon Musk betreibt rund 3600 Satelliten im niedrigen Erdorbit, die eine Datenverbindung herstellen können. Fragile Infrastrukturen wie Funktürme und Unterseekabel könnten dadurch ersetzt werden.

Erste Projektentwürfe, die Tang im September angekündigt hat, sehen 700 Bodenstationen vor, die das Internetsignal aus dem Erdorbit empfangen. Das Besondere: „Einige dieser Stationen könnten mobil sein und auf Booten oder Lastwagen oder sogar Drohnen montiert werden“, erklärt sie. Für eine erste Testphase sind rund 18 Millionen US-Dollar veranschlagt.

Tangs Projekt soll in zwei Bereiche aufgeteilt sein: die kommerzielle Infrastruktur und das Krisen-Internet. Für die kommerzielle 5G-Versorgung durch Satelliten haben die Ausschreibungen bereits begonnen. Dieses System soll vor allem die neun Prozent der Bevölkerung erreichen, die noch keine regelmäßige Internetversorgung haben, etwa in sehr ländlichen Gegenden. Die Infrastruktur für den Krisenfall soll ab Frühjahr aufgebaut werden. Die geschätzten Kosten dafür nennt Tang nicht.

Notfallplan

700

Bodenstationen

sehen erste Projektentwürfe vor, um einen Ausfall der Internetversorgung zu verhindern.

Taiwans Satellitenpläne seien „strategisch logisch“, meint Sandschneider. „Ein Angriff auf diese neue Infrastruktur wäre für China kein leichtes Spiel.“

Die Feuerwehr funkt über 5G-Netz

Die taiwanischen Technologiekonzerne wie Pegatron oder Foxconn sollen in den Aufbau des neuen Kommunikationsnetzes eingebunden werden. Die Regierung setzt darauf, dass die Chip- und IT-Konzerne ebenfalls investieren, weil sie auf der Infrastruktur auch kommerzielle Dienste anbieten würden. So solle das weltweite Vertrauen in taiwanesische Chips ebenso steigen wie die Cybersicherheit der Branche, sagt Tang. Und es hält die Kosten der öffentlichen Hand niedrig.

Ein Projekt in der taiwanischen Stadt Hsinchu gilt als Vorreiterprojekt für das kommende Notfall-Internet. Hier wurden Feuerwehrwagen mit 5G-Empfängern ausgestattet.

„Die Idee ist, dass bei einem schweren Brand, der Glasfaserkabel oder Funktürme zerstört, die Feuerwehr mit ihren Fahrzeugen in die Nähe fährt und eine Verbindung zu den Satelliten in der Erdumlaufbahn herstellen kann“, erklärt Tang. Serviceanbieter ist der luxemburgische Satellitenbetreiber SES. Drei seiner geostationären Satelliten sowie weitere Geräte im mittleren Erdorbit decken Taiwan ab. Ihr Signal könnte auch im Falle einer chinesischen Invasion genutzt werden.

Doch ein Modell mit nur einem Betreiber reicht der Digitalministerin nicht aus. Zum Zuge kommen müssten diverse Anbieter, um eine mögliche Abhängigkeit zu verhindern. „Je heterogener unser System ist, desto unwahrscheinlicher ist es, dass alle Übertragungswege gleichzeitig ausgeschaltet werden“, so Tang. „Wir sind bereit, mit jedem Versorger, der unseren Cybersicherheitskriterien entspricht, zusammenzuarbeiten.“

Was droht, wenn sich ein Land zu sehr von einem Anbieter abhängig macht, zeigt das Beispiel der Ukraine: Medienberichten zufolge hat Starlink-Chef Musk mehr als 1000 Empfangsgeräte im Kriegsgebiet abschalten lassen. Zuvor hatte sich der Unternehmer in einem Brief an die US-Regierung über die hohen Betriebskosten des Systems beschwert.

Zusammenarbeit mit mehreren Software-Anbietern: „Stärke durch Vielfalt“

Doch nicht nur das Betreibermodell treibt Tang um: Genauso wichtig sei eine resiliente Software, die das System koordiniert. Peking lässt bereits Methoden entwickeln, um das Satelliteninternet von Anbietern wie Starlink auszuhebeln, wie aus öffentlich verfügbaren Dokumenten hervorgeht. Und auch Russland arbeitet an entsprechenden Hackerattacken, wie Ausfälle in der Ukraine zeigen.

Um einen Erfolg solcher Angriffe zu verhindern, will Tang mit verschiedenen Softwareanbietern kooperieren, die jeweils unterschiedliche Abschnitte der taiwanesischen Cyberfestung sichern sollen. Fachleute nennen den Ansatz Zero Trust Architecture. „Vielleicht wird eine Ebene von Microsoft betreut, eine von Amazon, eine von Google, eine von VMWare. Und so kümmern sich diese großen IT-Unternehmen jeweils um die Bereiche, mit denen sie am besten vertraut sind, und beteiligen sich so an einer gemeinsamen Cyberverteidigung“, erläutert die Ministerin. Ziel sei „Stärke durch Vielfalt“.

>> Lesen Sie hier: Satellitensystem Starlink für ukrainisches Militär fällt über Front aus

Die Homepage des eigenen Ministeriums sei bereits über zwei Netzwerke abgesichert: „Sie wird sowohl auf Cloudflare als auch auf IPFS gehostet. Wer unsere Website mit einem Cyberangriff lahmlegen will, muss auch Cloudflare lahmlegen.“ Dieses versorge so ziemlich alle großen Social-Media-Websites, die NFT-Börsen und die Kryptowelt. Wer Cloudflare lahmlege, erkläre somit fast allen den Krieg.

Tang: Jeder Bürger soll Faktenchecker werden

Die offene taiwanische Gesellschaft – sie basiere vor allem auch auf Information, glaubt Tang. Um zu verhindern, dass Desinformationen Pekings das Grundvertrauen der taiwanischen Gesellschaft untergraben, sollen die Taiwaner im Umgang mit Informationsquellen geschult und motiviert werden, Bürgerjournalisten zu werden. Sie sollen auf einen sicheren Internetzugang zugreifen können – gerade auch in Krisenzeiten. „Das macht die Gesellschaft widerstandsfähiger.“

Erste Digitalministerin Taiwans

Audrey Tang will Taiwans IT-Infrastruktur gegen Angriffe absichern.



(Foto: Reuters)

Tang, die 41 Jahre alte Planerin der digitalen Trutzburg Taiwans, ist eine Pionierin. 2016 wurde sie die jüngste Ministerin Taiwans. Als erstes Regierungsmitglied trat sie offen non-binär auf, also als weder dem männlichen noch dem weiblichen Geschlecht zugehörige Person.

Früh in ihrem Leben kam sie mit der chinesischen Demokratiebewegung in Kontakt: Ihr Vater hatte 1989 als taiwanischer Korrespondent auf dem Tian’anmen-Platz gestanden, wo die chinesische Führung die nach Freiheit dürstenden Studentenproteste gewaltsam niederschlagen ließ. Auch die Mutter war Journalistin.

Als Tang elf Jahre alt war, zog die Familie ins deutsche Saarbrücken, wo Tangs Vater über die Kommunikation der Protestler vom Tian’anmen-Platz promovierte. Schon früh interessierte sich Tang für die Chancen der Digitalisierung. Als Kind brach die Hochbegabte die Schule ab, ging mit 19 Jahren als Jungunternehmerin ins Silicon Valley, arbeitet als Hackerin und Programmiererin.

Sie versteht sich selbst als „individualistische Anarchistin“. Lange habe sie nicht glauben wollen, dass auch der öffentliche Sektor Innovationen schaffen könne. Inzwischen sei sie anderer Meinung. Schließlich sind es Innovationen, die Taiwan am Tag X die Freiheit retten könnten.

Mehr: Chinas Rivalen: Sieben Grafiken zeigen, wie sich gerade das Kräfteverhältnis in Asien verschiebt



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