Kiew, Moskau Nach den russischen Raketenangriffen mit massiven Zerstörungen macht die Ukraine Fortschritte bei der Wiederherstellung ihrer Stromversorgung. Präsident Wolodimir Selenski kritisierte allerdings, dass es gerade in der Hauptstadt Kiew nur langsam vorangehe. „Viele Kiewer Bürger waren mehr als 20 oder sogar 30 Stunden ohne Strom“, sagte er am Freitagabend. Er erwarte vom Büro des Bürgermeisters Qualitätsarbeit, sagte er in selten offener Kritik an Stadtoberhaupt Vitali Klitschko.
Noch schwieriger als in Kiew war die Lage in der vor zwei Wochen zurückeroberten Stadt Cherson in der Südukraine. Dort begann die Regierung mit der Evakuierung von Zivilisten. Ein Zug brachte 100 Menschen in die Stadt Chmelnyzkyj im Westen des Landes. Für die Ukraine ist Samstag der 276. Tag im Abwehrkampf gegen die Invasion.
Der russische Präsident Wladimir Putin, der den Krieg vor mehr als neun Monaten befohlen hatte, nahm am Freitag Termine in Moskau wahr. Er sprach mit den Müttern von Soldaten im Ukraine-Einsatz, traf den tschetschenischen Republikchef Ramsan Kadyrow und besuchte das Firmenjubiläum der russischen Rüstungsholding Rostec.
Noch sechs Millionen Verbrauchsstellen ohne Strom
Mit einem Schwarm von etwa 70 Raketen und Marschflugkörpern hatte Russland am Mittwoch die Energie-Infrastruktur der Ukraine beschossen und schwere Schäden angerichtet. Er war die achte derartige Angriffswelle seit Mitte Oktober.
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Am Mittwochabend nach dem Angriff seien landesweit zwölf Millionen Verbrauchsstellen ohne Strom gewesen, sagte Selenski. Freitagabend seien es noch sechs Millionen Verbrauchsstellen. Der Ausfall der Elektrizität bedeutet, dass es an vielen Orten auch kein Wasser und keine Heizung gibt. Internet und Telefon funktionieren schlecht.
Selenski mahnte die Menschen, sparsam zu sein, selbst wenn es Licht gebe. „Wenn Strom vorhanden ist, bedeutet das nicht, dass Sie mehrere leistungsstarke Elektrogeräte gleichzeitig einschalten können.“ Die EU will der Ukraine 40 Generatoren liefern. Das teilte Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen nach einem Gespräch mit Selenski mit. Die Geräte könnten jeweils ein kleines bis mittelgroßes Krankenhaus mit Strom versorgen.
Selenski gegen Klitschko
Bei seiner Kritik nannte der Präsident den Kiewer Bürgermeister Klitschko nicht beim Namen. Er ärgerte sich vor allem darüber, dass es in der drei Millionen Einwohner zählenden Hauptstadt zu wenig Wärmestuben gebe. Klitschko hatte morgens berichtet, 400 dieser Anlaufstellen seien eingerichtet worden. Bei Stromausfällen von mehr als einem Tag sollen sich die Bürger dort aufwärmen können; es soll Strom, Wasser, Erste Hilfe und Internet geben.
„Vor allem in Kiew gibt es viele Beschwerden“, sagte Selenski dagegen. Tatsächlich gebe es funktionierende Wärmestuben nur in den Gebäuden des Zivilschutzes und am Bahnhof. „An anderen Stellen muss noch gearbeitet werden, um es vorsichtig auszudrücken“, sagte der Präsident. „Die Einwohner von Kiew brauchen mehr Schutz.“ Falsche Berichte in dieser Sache seien unverzeihlich.
Selenski und Klitschko haben ihre politische Konkurrenz während des Krieges zurückgestellt. Sie besteht aber weiter, wie die Äußerungen des Präsidenten zeigen.
Zivilisten werden aus Cherson herausgeholt
Wegen der schwierigen Lage in Cherson holte die ukrainische Regierung erste Zivilisten aus der zurückeroberten Stadt heraus. Von 100 Evakuierten seien 26 Kinder und 6 Kranke, teilte das Infrastruktur-Ministerium mit. Sie würden in dem als sicher geltenden Gebiet Chmelnyzkyj untergebracht und erhielten die übliche staatliche Unterstützung für Binnenflüchtlinge.
Unter dem Druck ukrainischer Angriffe hatten russische Truppen Cherson nach über acht Monaten Besatzung Mitte November wieder den Ukrainern überlassen. Die Infrastruktur ist aber zerstört, die Versorgung schwierig. Deshalb rät die Regierung vor allem Müttern mit Kindern zum zeitweiligen Verlassen der Stadt.
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Die über Europa verteilten Flüchtlinge aus der Ukraine werden nach Meinung der EU-Kommissionsvizepräsidenten Dubravka Suica auch nach Kriegsende nicht sofort in ihre Heimat zurückkehren. „Ihre Schulen sind zerstört, ihre Häuser sind zerstört, ihre Arbeitsplätze sind verloren“, sagte Suica dem Redaktionsnetzwerk Deutschland (Samstag). Gastgeberländer wie Deutschland oder Polen müssten sich auf einen jahrelangen Verbleib von Flüchtlingen aus der Ukraine einstellen.
Putin: Erfahrungen im Kampf gegen westliche Waffen nutzen
Die russische Rüstungsindustrie soll nach Worten von Präsident Putin die im Ukraine-Krieg gesammelten Erfahrungen im Kampf gegen moderne westliche Waffen nutzen. Damit ließen sich die Qualität, Zuverlässigkeit und Kampftauglichkeit russischer Waffensysteme verbessern, sagte Putin. Er besuchte in Moskau eine Veranstaltung zum 15. Jubiläum der Staatsholding Rostec. In dieser sind etwa 700 russische Hochtechnologie-Firmen zusammengefasst, vor allem aus dem Rüstungsbereich.
Putin traf auch den Republikchef Kadyrow aus Tschetschenien. Dabei sei es um den Einsatz tschetschenischer Truppen in der Ukraine gegangen, teilte der Kreml mit. Die kleine Teilrepublik stellt mehrere Tausend Mann, deren Kampfwert indes umstritten ist. Der diktatorisch regierende Kadyrow kritisiert aber immer wieder das Versagen der regulären russischen Armee in der Ukraine.
Das wird am Samstag wichtig
Der Export von ukrainischem Getreide über drei Häfen am Schwarzen Meer geht weiter. Zwei Frachter mit Sojabohnen gingen am Freitag auf die Fahrt Richtung Spanien und Türkei, wie das Kontrollzentrum in Istanbul mitteilte. In den türkischen Meerengen warten diesen Angaben nach 28 Frachter auf die Kontrollen zur Fahrt in die Ukraine oder aus der Ukraine. Die Vereinten Nationen und die Türkei ermöglichten in Vereinbarungen mit Kiew und Moskau die Exporte.
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