Berlin Durch das vorhandene deutsche Erdgasnetz könnte aus technischer und wirtschaftlicher Sicht zum Ende des fossilen Zeitalters auch Wasserstoff fließen – der, klimafreundlich erzeugt, als Energieträger der Zukunft gilt. Das zeigen Berechnungen eines Projekts von rund 100 Akteuren aus Forschung und Wirtschaft im Auftrag des Bundesforschungsministeriums. Das Papier liegt dem Handelsblatt vor.
Im Ausbaustadium könnte ein Wasserstoffnetz von 10.000 Kilometer Gesamtlänge Wasserstoff dorthin bringen, wo er gebraucht wird, vor allem durch Leitungen, durch die heute noch Gas fließt. „Die ersten Meilensteine des Projekts ‚TransHyDE‘ bestätigen, dass der Hochlauf einer Wasserstoffwirtschaft in Deutschland aus technologischer und ökonomischer Sicht möglich und sinnvoll ist“, sagte Bundesforschungsministerin Bettina Stark-Watzinger dem Handelsblatt.
Während bisher die befürchteten hohen Kosten ein solches Netz als unrealistisch hätten erscheinen lassen, sei nun klar, „dass Wasserstoff bis zu einer Entfernung von 8000 Kilometern kostengünstig in Pipelines transportiert werden kann“, sagte die FDP-Politikerin.
Erst danach seien andere Transportwege effizienter, vor allem gebunden in Ammoniak. „Diese müssen wir natürlich auch entwickeln, trotzdem ermutigt mich die Erkenntnis, dass wir das Wasserstoffnetz der Zukunft kostengünstig aus dem heutigen Gasnetz heraus entwickeln können“, so Stark-Watzinger.
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Daher gelte es nun, schnell eine Wasserstoffinfrastruktur aus Netzen und Speichern aufzubauen, um die Entwicklung der Wasserstoffwirtschaft „massiv zu beschleunigen“. Denn nur grüner, klimafreundlich hergestellter Wasserstoff biete die „große Chance, Energiesicherheit, Klimaneutralität und Wettbewerbsfähigkeit zu verbinden“.
Die Experten von „TransHyDE“ rund um Koordinator Professor Mario Ragwitz von der Fraunhofer-Einrichtung für Energieinfrastrukturen und Geothermie (IEG) haben ein Modell für ein Wasserstoffnetz des Jahres 2030 entwickelt. Ein Neubau von Leitungen wäre hierfür „nur in geringem Umfang notwendig, da die allermeisten Leitungen Bestandteil des heutigen Erdgas-Fernleitungsnetzes sind“, schreiben sie.
Dieses Netz könnte dann mit dem anderer europäischer Länder verbunden werden und „im Ausbauzustand mit circa 10.000 Kilometer Länge den größten Teil der deutschen Wasserstoffnachfrage abdecken“.
Die Wissenschaftler knüpfen damit an eine Idee an, die die Betreiber der Gasnetze erstmals Anfang 2020 vorgestellt hatten: Sie wollen ein knapp 6000 Kilometer langes Wasserstofftransportnetz aufbauen, das zu über 90 Prozent auf der Nutzung des bestehenden Erdgasnetzes fußt. Es soll die künftigen Erzeugungszentren von Wasserstoff im Norden Deutschlands mit den großen Abnehmern im Westen und Süden verbinden.
Das Konzept der Fraunhofer-Experten geht in eine ähnliche Richtung. Sie gehen dabei von vier Szenarien aus: Diese reichen von der ausschließlichen Nutzung von Wasserstoff in der Stahl- und Chemieindustrie als Basismodell bis hin zur breiten Nutzung in Industrie, Verkehr und Gebäuden.
Das entspreche einer Bandbreite von etwa 300 bis 550 Terawattstunden Wasserstoff für das Jahr 2045. Bis 2030 werde die Stahlindustrie an wenigen Standorten der größte Nachfrager sein – das Netz für deren Anlagen könnte dann Stück für Stück ausgebaut werden.
Testfeld im Emsland für Wasserstofftransport in alten Gasleitungen
Auf einem Testfeld in Lingen im Emsland will „TransHyDE“ nun untersuchen, was zu beachten ist, damit Wasserstoff in umgerüsteten Pipelines sicher transportiert werden kann. Dort soll ab März 2023 die Mengen- und Qualitätsmessung von Wasserstoff „bis auf ein eichamtliches Niveau“ entwickelt werden und so die Basis für ein öffentlich zugängliches Netz liefern.
Voraussetzung für die Nutzung heutiger Gasleitungen ist, dass diese nicht mehr benötigt werden. Den Gasnetzbetreibern würde die Umwidmung der Gas- zu Wasserstoffleitungen das Überleben sichern.
Allerdings ist dies politisch nicht unumstritten. So sieht die EU-Kommission die Querfinanzierung des Wasserstoffnetzausbaus über die Netzentgelte der Erdgasnutzer kritisch. Den Brüsseler Beamten schwebt eine strikte Trennung der beiden Netze vor. In letzter Konsequenz würde das bedeuten, dass die Wasserstoffleitungen komplett neu gebaut werden müssten.
Andere Fragen stellen sich beim Import von Wasserstoff. Da der größte Teil des künftig benötigten grünen Wasserstoffs aus Ländern kommen muss, in denen weit mehr Sonne und Wind zu seiner Herstellung verfügbar sind als in Deutschland, braucht es Lösungen für dessen Transport sowie die Verteilung jenseits von Pipelines.
„TransHyDE“ untersucht dazu vor allem Ammoniak als Trägermedium. Da es zu den weltweit meistproduzierten Chemikalien gehört, gibt es hier jahrelange Erfahrung mit dem Transport.
Ammoniak ist die chemische Verbindung von Stickstoff und Wasserstoff und kann, etwa in der Chemieindustrie, direkt eingesetzt werden. Es kann aber auch nach dem Transport wieder in Stickstoff und Wasserstoff aufgespalten werden. Die Experten befassen sich nun damit, wie Wasserstoff besonders effizient in Ammoniak gebunden und daraus auch wieder herausgelöst werden kann.
Auch das Energierecht muss „Wasserstoff-ready“ gemacht werden
Ein weiteres Ziel ist es, das Energierecht „Wasserstoff-ready“ zu machen. Hier gebe es vor allem bei der Definition von grünem Wasserstoff noch Nachbesserungsbedarf. Aktuell führten uneinheitliche Definitionen zu Rechtsunsicherheiten. Auf EU-Ebene wird vor allem darüber gestritten, ob grüner Wasserstoff nur dann als nachhaltig gilt, wenn er ausschließlich mit Strom aus neuen, eigens dafür gebauten Solar- und Windkraftwerken produziert wird und dabei ausschließlich Überschussstrom eingesetzt wird, für den es zum Zeitpunkt der Wasserstoffproduktion keine andere Verwendung gibt.
Auf dem Weg ins Wasserstoffzeitalter fördert das Forschungsministerium neben „TransHyDE“ zwei weitere Projekte: Beim Projekt „H2Giga“ geht es um die Serienfertigung großer Elektrolyseure, also der Anlagen, die Wasserstoff erzeugen und die Deutschland gern weltweit vertreiben würde.
Bei „H2Mare“ geht es um die Wasserstofferzeugung auf See. Für die drei Projekte stellt das Ministerium bis 2025 rund 700 Millionen Euro bereit.
Mehr: Deutschlands 15-Jahres-Gasdeal mit Katar deckt nur Bruchteil des LNG-Bedarfs ab
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