Salvador Seinen ersten internationalen Auftritt außerhalb Lateinamerikas seit 2018 nutzte Nicolás Maduro wie ein Selfiejäger auf einer Promiparty: Auf der Weltklimakonferenz im ägyptischen Scharm el-Scheich ließ sich der venezolanische Präsident mit jedem Staats- oder Regierungschef ablichten, der ihm über den Weg lief und nicht schnell genug das Weite suchte: Emmanuel Macron aus Frankreich etwa oder António Costa aus Portugal.
Vor EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen stellte sich Maduro wie ein Statist, um über die Bilder in den sozialen Kanälen Nähe zur westlichen Macht zu dokumentieren.
Der US-Klimabeauftragte John Kerry entschuldigte einen Händedruck mit dem Autokraten Maduro damit, dass dieser ihn überraschend abgepasst habe. Die USA haben auf den „Narco-Terroristen“ Maduro schließlich ein Kopfgeld in Höhe von 15 Millionen Dollar ausgesetzt.
2018 hatte der damalige US-Präsident Donald Trump Venezuela, das Land mit den größten Ölvorräten weltweit, zudem mit harten Sanktionen belegt. Jeglicher Handel mit Venezuela in Dollar ist bis heute verboten.
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Maduros Auftritt zeigt, dass der Westen wieder bereit ist, mit dem seit neun Jahren regierenden Autokraten zu verhandeln. Zu verführerisch ist der Erdölreichtum des Landes, nachdem der russische Angriffskrieg gegen die Ukraine zu einer weltweiten Energiekrise geführt hat.
Schon kurz nach Kriegsbeginn in der Ukraine traf eine erste Delegationen aus Washington in Caracas ein, um Verhandlungen aufzunehmen. Im Prinzip geht es Washington darum, von Maduro Zugeständnisse zu erhalten, dass er saubere Wahlen abhalten wird. Im Gegenzug dafür bieten die USA eine schrittweise Auflösung der Sanktionen an.
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Letztlich wollen die USA Venezuela gemeinsam mit der amerikanischen Ölindustrie wieder als verlässlichen Öllieferanten aufbauen – so wie das über fünfzig Jahre der Fall war.
Ein erster Durchbruch: Vermittelt durch Norwegen, beschlossen Delegationen von Regierung und Opposition bei einem Treffen in Mexiko, dass ab sofort nicht nur die US-Ölfirma Chevron, sondern auch die nordamerikanischen Service-Unternehmen der Ölindustrie – Halliburton, Schlumberger, Baker Hughes und Weatherford – in Venezuela wieder Ölanlagen instand setzen dürfen.
Chevron darf sogar Öl in die USA exportieren. Damit sollen die aufgelaufenen Schulden Venezuelas gegenüber dem kalifornischen Unternehmen getilgt werden. Auf die Produktion dürfen keine Steuern, Abgaben an den staatlichen Ölkonzern oder den Staat Venezuelas bezahlt werden.
Es scheine, dass die US-Ölunternehmen als Vorreiter Venezuela wieder als Produktionsstandort herrichten wollten, sagt Mischa Groh, Geschäftsführer der deutschen Außenhandelskammer (AHK) in Kolumbien und Venezuela. Im dem Karibikland ist die Produktion von einst 3,5 Millionen Fass am Tag auf rund 600.000 Fass (je 159 Liter) gesunken. Nach Schätzungen venezolanischer Ölexperten sind Investitionen von jährlich 25 Milliarden Dollar über fast eine Dekade nötig, bis Venezuela wieder ein bedeutender Ölexporteur werden könnte.
Venezuela könnte auch für deutsche Unternehmen wieder interessant werden
Groh sieht die jüngste Annäherung positiv: „Durch die geopolitische Neuordnung bedingt durch den Ukrainekonflikt und die damit ausgelöste Energiekrise könnte Venezuela auch für deutsche Unternehmen wieder interessant werden“, sagt er. Insgesamt ziehe die Nachfrage nach Gütern und Dienstleistungen in Venezuela an.
„Einige der deutschen Firmen vor Ort verzeichnen bereits ein starkes Wachstum im Bereich der lokalen Produktion, Services sowie dem Verkauf und Vertrieb“, beobachtet Groh. Geschäftschancen bestünden in den Sektoren Energie, Telekommunikation, Agroindustrie und Tourismus. „Allerdings bleiben auch noch viele Herausforderungen und Unsicherheiten für die Firmen“, mahnt Groh. „Das Liefergeschäft bleibt durch die Sanktionen weiterhin auf Produkte im Bereich Pharma und Nahrungsmittel beschränkt.“
Doch es ist derzeit völlig offen, ob es zu einer Renaissance Venezuelas als großer Ölproduzent des Westens kommen wird. Entscheidend ist, ob Maduro bereit ist, faire und freie Wahlen abzuhalten. Maduro war bislang nie zu Zugeständnissen bereit. Er verlässt sich zum Machterhalt vollständig auf das Militär und die Repression. Turnusmäßig stehen 2024 Wahlen an, aber die Regierung überlegt jetzt, den Termin vorzuziehen, um auszunutzen, dass die Opposition sehr zerstritten ist.
Doch die Isolation hat die Ölproduktion wegen fehlender Investitionen enorm belastet. Venezuela konnte seine dadurch immer dürftigere Ölproduktion nur mit hohen Abschlägen an risikobereite Abnehmer in Fernost verkaufen.
Die US-Sanktionen umging das Land lange mithilfe russischer Banken, die als Zwischenhändler für Weiterverkäufe nach Indien auftraten. Seit russische Banken sanktioniert werden, ist der Geldfluss nach Venezuela jedoch blockiert.
In Venezuela sind je nach Schätzungen zwischen 25 und 40 Prozent der Bevölkerung auf soziale Hilfen angewiesen, weil sie unter Hunger leiden. In den vergangenen zehn Jahren ist das Bruttoinlandsprodukt um rund 80 Prozent geschrumpft. Sieben Millionen Menschen haben das Land verlassen – ein Viertel der Bevölkerung.
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Maduro sei knapp bei Kasse, sagt Groh. Der Staat habe kein Geld mehr. Pensionen und Beamtenlöhne würden nur in Raten bezahlt. Gleichzeitig steigt die Inflation wieder. Nach der Hyperinflation von vor vier Jahren ist die Teuerungsrate zwar auf 173 Prozent gesunken. Nun nimmt die Inflation aber wieder zu.
So scheint es möglich, dass Maduro versucht sein könnte, auf seine Popularität und die zersplitterte Opposition zu setzen und doch halbwegs saubere Wahlen zu erlauben: Unabhängige Umfrageinstitute schätzen, dass rund 20 Prozent der Bevölkerung zu Maduro stehen. Die Opposition hat mehr als ein Dutzend Bewerber, die sich für die Wahlen aufstellen lassen könnten. Keiner ist der eindeutige Favorit.
Hilfreich für Maduro ist auch der politische Rückenwind, der nun aus Lateinamerika weht. Nicht nur der globale Kontext habe sich verändert, meint Risa Grais-Targow, Lateinamerika-Spezialistin bei der Eurasia Group. „Die gesamte Region ist jetzt links.“
Vor allem die Präsidenten in Kolumbien (Gustavo Petro) und Brasilien (Luiz Inácio Lula da Silva) könnten Venezuela, wie in der Vergangenheit bereits geschehen, zu einer neuen Kooperation in der Region bewegen. Die bisherige Konfrontationspolitik der USA gegenüber Venezuela habe keine Mehrheit mehr in Lateinamerika, sagt Grais-Targow.
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