Nicht nur in Deutschland wird derzeit über das Thema Einbürgerung emotional diskutiert. Auch in Österreich gibt es eine hitzige Debatte. So wollen auch dort die Sozialdemokraten und Liberale die Regeln für den heimischen Pass lockern – und bekommen dafür Gegenwind von der rechtspopulistischen FPÖ. Die Staatsbürgerschaft werde „verschenkt“, so die Kritik, die hierzulande von der AfD kommt.
Umgekehrt läuft es in Schweden: Dort stützt sich die neue Regierungskoalition auf die rechtspopulistischen Schwedendemokraten. Diese haben sich zusichern lassen, dass die Anforderungen an die Staatsbürgerschaft verschärft werden – die bisher im europäischen Vergleich eher locker sind.
Tatsächlich zeigt ein Blick auf die Einbürgerungsregeln in der Europäischen Union: Der Trend geht zur Angleichung. In Österreich ist es bisher sehr schwer, Staatsbürger zu werden. Die Lockerung wäre also eine Normalisierung. In Schweden würde die geplante Verschärfung dagegen eine Annäherung an den europäischen Durchschnitt bedeuten.
Mit dieser Annäherung argumentiert jetzt auch die deutsche Innenministerin Nancy Faeser (SPD). Sie will, dass Ausländer bereits nach fünf statt acht Jahren eine Einbürgerung beantragen können – und erhält dafür Applaus von der Integrationsbeauftragten der Bundesregierung. „Hier wird von einigen so getan, als sei das im Vergleich viel zu kurz“, sagte Reem Alabali-Radovan (SPD) kürzlich im Bundestag. „Dabei ist das in vielen Ländern längst Normalität.“
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Doch ganz so stimmt das nicht. Das Handelsblatt hat sich die Vorschriften in verschiedenen europäischen Länder angesehen. Die Untersuchung belegt: Vor allem in den westeuropäischen und nordeuropäischen Ländern wird man schneller eingebürgert. Anders sieht es im Süden und Osten aus.
Einer der Gradmesser ist der „Mipex-Index“
In Brüssel sitzt das Institut „Migrant Policy Group“, das den sogenannten Mipex-Index erhebt. Er gibt an, wie leicht sich die Staatsbürgerschaft eines Landes erreichen lässt. Dabei spielt die notwendige Dauer des Aufenthalts eine große Rolle. Aber auch die Anforderungen in Aufnahmetests werden untersucht, die Möglichkeit, den alten Pass zu behalten und weitere Bedingungen.
Deutschland erreicht bei diesem Index 42 von 100 möglichen Punkten und liegt damit im Mittelfeld der EU-Staaten. Südliche und östliche Staaten liegen eher darunter, haben also höhere Anforderungen. Westliche und nördliche Staaten haben geringere Anforderungen.
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Portugal und skandinavische Länder sind lockerer als Deutschland
Besonders locker sind die Anforderungen in Portugal und Schweden. In Portugal muss man fünf Jahre wohnen, um Staatsbürger zu werden – das ist in vielen EU-Ländern so. Allerdings ist es für in Portugal geborene Kinder von Einwanderern besonders leicht, den Pass zu bekommen. Das bringt das Land an die Spitze des Rankings. Ähnlich läuft es in Schweden, wobei dort die Bearbeitung des Antrags auf Einbürgerung derzeit ganze 38 Monate dauert, sodass die gesamte Wartezeit deutlich länger als fünf Jahre ist.
In Luxemburg – Platz drei unter den EU-Staaten – wurde die Wartezeit für Einwanderer vor einigen Jahren von sieben auf fünf Jahre verkürzt. Die Reform war insofern also vergleichbar mit dem, was in Deutschland nun geplant ist.
Dänemark liegt wie Deutschland im Mittelfeld der EU-Staaten, ist im Vergleich mit den anderen skandinavischen Staaten aber deutlich restriktiver. Oft wird das kritisiert. 2016 wurde hier das Recht verschärft. Seitdem können in Dänemark geborene Kinder nicht automatisch den Pass bekommen. Aufsehen erregte, dass bei der Einbürgerungszeremonie dem Beamten oder der Beamtin die Hand gegeben werden muss. Einige Muslime sehen das als Affront.
Auch Frankreich gehört zu den Ländern, die liberaler als Deutschland sind. Die Frist liegt dort bei fünf Jahren, den alten Pass darf man behalten. Der Bewerber darf nicht straffällig geworden sein. Seit 2011 muss er mindestens ein schriftliches und mündliches Sprachniveau B1 nachweisen. Zudem sind Kenntnisse über Geschichte, Kultur und Gesellschaft Frankreichs gefragt und eine Zustimmung zu den Werten der Republik, darunter die Gleichheit von Mann und Frau sowie die strenge Trennung von Staat und Kirche.
In Frankreich wird zudem untersucht, ob der Bewerber für sich selbst sorgen kann und wie stabil sein Aufenthalt im Land ist. Auch die Familiensituation wird dabei überprüft. Minderjährige Kinder, die bei dem Bewerber wohnen, können automatisch mit ihm Franzosen werden.
In Großbritannien gibt es eine kontroverse Debatte über die Einwanderungspolitik. Während die harten Brexit-Anhänger strikte Regeln für Arbeitsimmigranten fordern, drängt die Wirtschaft angesichts des Fachkräftemangels auf eine Lockerung. Das Meinungsbild in der Bevölkerung ist ähnlich zwiespältig. Formal können Einwanderer mit einer unbefristeten Aufenthaltsgenehmigung nach fünf Jahren im Land die britische Staatsangehörigkeit beantragen. Um den britischen Pass dann auch tatsächlich zu bekommen, müssen sie weitere Anforderungen wie einen Sprach- und Wissenstest bestehen.
>> Lesen Sie hier: Die Bundesregierung setzt bei der Einwanderung falsche Prioritäten – ebenso die Opposition. Ein Kommentar.
Spanien und Österreich sind strenger als Deutschland
Italien liegt beim Mipex-Index auf einem ähnlichen Niveau wie Deutschland, allerdings mit anderen Regeln. Dort können EU-Bürger nach mindestens vier Jahren mit italienischem Wohnsitz eingebürgert werden. Für Staatenlose sind fünf Jahre Wohnsitz in Italien angesetzt. Alle anderen Ausländer müssen mindestens zehn Jahre ihren Wohnsitz vor Ort haben. Ausnahmen gibt es für Ausländer, die im italienischen Staatsdienst angestellt waren. Hier verkürzt sich die Frist auf fünf Jahre – anrechenbar ist dabei auch eine Stationierung im Ausland.
In Spanien gibt es Sonderregeln für Staatsangehörige der lateinamerikanischen Länder, für Andorra, die Philippinen, Äquatorialguinea, Portugal oder für Personen sephardischer Herkunft. Sie können nach zwei Jahren den spanischen Pass bekommen. Für alle anderen sind es zehn Jahre. Menschen, die als Flüchtlinge anerkannt wurden, müssen fünf Jahren auf eine Chance zur Einbürgerung warten.
Österreich ist eines der restriktivsten Länder innerhalb der Europäischen Union. Bürger der EU müssen sechs Jahre ununterbrochen in Österreich wohnen, um die Staatsbürgerschaft zu bekommen. Für Einwanderer aus anderen Ländern gelten um einiges längere Fristen. Auch einen Pass qua Geburt gibt es nicht.
Antragsteller eines Passes müssen ferner unbescholten sein und eine „bejahende Einstellung zur Republik“ haben. Geringfügige Strafen reichen unter Umständen, damit Ausländern der Pass verwehrt wird. Im Prinzip ist keine doppelte Staatsbürgerschaft möglich. Es gibt allerdings Ausnahmen, etwa wenn die Einbürgerung im besonderen Interesse der Republik liegt.
Die strengen Regeln führten dazu, dass ein substanzieller Teil der in Österreich lebenden Menschen kein Wahlrecht hat. Landesweit sind es rund 18 Prozent, in Wien sogar rund 40 Prozent.
In vielen Staaten gibt es mittlerweile Erleichterungen für Bewerber, die besondere Leistungen gezeigt haben, etwa Hochschulabsolventen oder Künstler und Sportler.
Deutschlands Sonderweg beim Doppelpass
Mit seinen Regeln zur doppelten Staatsbürgerschaft steht Deutschland mittlerweile recht allein da. Wer als Nicht-EU-Bürger Deutscher werden will, muss in der Regel seinen alten Pass abgeben. „Empirische Studien zeigen, dass dies ein großes Hindernis für viele Migranten ist“, sagt der Migrationsforscher Rainer Bauböck. „Viele Staaten haben diese Vorschrift abgeschafft, Deutschland gehört zu einer kleinen Gruppe in Europa, die sich noch nicht an den Trend angeschlossen hat.“
Faeser will Einbürgerung erleichtern
Auch die Verkürzung der Aufenthaltsdauer von acht auf fünf Jahre wäre eine Anpassung an den europäischen Durchschnitt. Bauböck sieht für die Anpassung gute Gründe: Mehrere Studien unter Migranten haben gezeigt, dass die Einbürgerung den Integrationsprozess positiv beeinflusst. Das gilt sowohl vor wie nach dem Einbürgerungstermin. „Das Ergebnis zeigt eindeutig, dass wer in absehbarer Zeit eine Chance auf Einbürgerung hat, mehr Energie darauf verwendet, sich in die Gesellschaft zu integrieren“, sagt Bauböck. „Und auch danach gibt es einen nachweisbaren Effekt auf das Einkommen der Eingebürgerten.“
Um diese Effekte optimal auszuschöpfen, sei eine Einbürgerung nach vier bis sechs Jahren optimal, sagt Bauböck. Bei einer langen Frist von acht bis zehn Jahren verpuffe der positive Effekt.
Mit Daniel Imwinkelried, Tanja Kuchenbecker, Sandra Louven, Torsten Riecke, Helmut Steuer, Christian Wermke
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