Kosice Roman Gabor und Slavo Hada sind aus der Armut herausgekommen. Zwar verrichten sie für das Entsorgungs- und Recyclingunternehmen Kosit in der ostslowakischen Stadt Kosice nur einfache Arbeiten im Gebäudeunterhalt, etwa Rasenmähen oder Schneeschaufeln. Aber sie haben eine feste Anstellung, besitzen außerhalb von Kosice ein Haus, leben in stabilen Familienverhältnissen – und sind damit in ihrer Gemeinschaft eher die Ausnahme.
Gabor und Hada gehören zur Minderheit der Roma, von denen viele in der Slowakei und in anderen Ländern Osteuropas in armseligen Verhältnissen leben.
Laut einer Statistik der EU Agency for Fundamental Rights hatten im Jahr 2021 in der Slowakei nur 33 Prozent der Roma eine bezahlte Stelle; 60 Prozent der 16- bis 24-Jährigen gingen weder einer Arbeit nach, noch befanden sie sich in einer Ausbildung oder einem Trainee-Programm.
Wirtschaftlich ist das für das Land eine Belastung. Die Kosten der mangelnden Integration seien beträchtlich, warnen slowakische Forscher. Trotzdem verbessert sich die Lage der Roma nur langsam. Das zeigt sich am Arbeitsmarkt.
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In der Slowakei herrscht Arbeitskräftemangel. Dieser dürfte sich wegen der schlechten Wirtschaftslage zwar etwas entschärfen, letztlich handelt es sich aber um ein strukturelles Phänomen.
Integration der Roma wird immer schwieriger
Die Universität von Bratislava bringe zwar viele Ökonomen hervor, beklagt Richard Biznar, der Finanzchef von Kosit, dem Arbeitgeber von Gabor und Hada. Es fehle aber an Mitarbeitern, denen „on the job” Fertigkeiten beigebracht werden könnten und die sich dann in fabrikationsnahen Branchen hocharbeiteten. Angebot und Nachfrage am Arbeitsmarkt passen nicht zusammen.
Sozialforscher Abel Ravasz sieht einen Lösungsansatz darin, „die große Roma-Bevölkerung endlich zu integrieren“, sagt der Sozialforscher Abel Ravasz. „Dafür ist es höchste Zeit.” Die Ansprüche an die Arbeitnehmer stiegen laufend. Deshalb werde die Integration immer schwieriger, je länger das Land sie versäume.
Die Roma und Sinti gelten als die größte ethnische Minderheit Europas. Es gibt stark unterschiedlich Schätzungen, wie viele Menschen der Bevölkerungsgruppe angehören. Der Europarat ging vor einigen Jahren von zehn bis zwölf Millionen Menschen aus.
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In der Slowakei gibt es rund 500.000 Roma, das sind ungefähr neun Prozent der Bevölkerung. In den Jahren des Kommunismus vor 1989 waren sie ins Erwerbsleben integriert. Arbeiten war im Ostblock Pflicht. Nicht jeder Job war zwar wirtschaftlich sinnvoll, aber solche Stellen hatten sowohl Slowaken als auch Roma inne.
Minderheit
500
Tausend
Roma leben in der Slowakei.
Als in der Slowakei zu Beginn der 1990er-Jahre die Marktwirtschaft eingeführt wurde, zählten die Roma zu den Verlierern dieses Umbruchs. Industriefirmen strichen Tausende Stellen, und die Arbeitslosenquote schnellte in die Höhe. Die Roma waren davon besonders betroffen, doch der Staat blieb untätig.
Ein Symbol dieses Versagens ist Lunik IX, ein schlecht erschlossenes Plattenbauquartier in Kosice. In den 1970er-Jahren errichtete es der Staat vor allem für Armeeangehörige, Polizisten und Roma. Nach der Wende zogen die Soldaten und Polizeikräfte weg. Zurück blieben die Roma, es entstand ein typisches Ghetto.
In heruntergekommenen Wohnblocks leben die Menschen in bedrückender Armut. Fortschritte gibt es zwar. So stapelt sich der Abfall nicht mehr wie früher vor den Häusern, sondern wird entsorgt. Zu verdanken ist das Initiativen der Bewohner und von Sozialarbeitern. Andererseits sind an der nahe gelegenen Autobahn primitive Hütten entstanden, in denen ebenfalls Roma wohnen. Das Wasser holen sie in Behältern bei einer nahe gelegenen Leitung.
Ähnlich zäh wie bei der Wohnsituation ist der Fortschritt in der Arbeitswelt. Die slowakischen Unternehmen machten lange Zeit keine Anstalten, Roma als Mitarbeiter zu rekrutieren. Das Problem des Arbeitskräftemangels lösen sie nach wie vor auf andere Weise. Vermittler beschaffen für die Firmen Arbeitskräfte in der Ukraine, in Serbien, in Rumänien oder in Südostasien. „Die Agenturen liefern genau die Zahl und Art Mitarbeiter, welche die Unternehmen wünschen“, sagt Wissenschaftler Ravasz.
Erst vor rund zehn Jahren wurde einzelnen Firmenverantwortlichen bewusst, welches ungenutzte Potenzial in den Roma-Gemeinschaften steckt. Dabei handelte es sich fast nur um ausländische Unternehmen, die einst wegen der niedrigen Löhne in die Slowakei gekommen waren. US Steel, der Haushaltsgerätehersteller Whirlpool oder der italienische Gartengeräteproduzent Stiga initiierten Programme, um Roma in die Belegschaft zu integrieren, und wurden dafür ausgezeichnet.
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Zu Beginn stellten die Unternehmen Roma aber in erster Linie an, wenn beim Arbeitsvolumen saisonale Spitzen anfielen, bei Stiga etwa im Sommer. Feste Ganzjahresstellen blieben die Ausnahme.
Mittlerweile betonten gewisse Firmen aber, wenn sie Roma beschäftigten, sagt Ravasz. Das gibt ihnen ein aufgeschlossenes Image. Andere dagegen behandeln das Thema weiterhin diskret, weil sich Vorurteile gegenüber den Roma hartnäckig halten. Fast immer betonen Firmenvertreter, was für ein heikles Thema das sei. Am liebsten reden sie allgemein über ihre inklusive Mitarbeiterstrategie. Das Wort Roma scheuen sie hingegen, obwohl es genau um diese Bevölkerungsgruppe geht.
Hohe Fluktuation unter den Roma-Angestellten
Die Firma Kosit ist eine Ausnahme. Finanzchef Biznar weiß nicht mehr, warum seine Firma damit begann, Roma anzustellen. „Die Menschen fanden bei uns eine Stelle, weil das andernorts aus verschiedenen Gründen nicht möglich war“, sagt er. Von den rund 800 Angestellten stammen 200 aus der Roma-Gemeinschaft.
Gabor und Hada hatten bei Kosit zu Beginn wie viele eine Saisonstelle. Seit zwei Jahren sind sie fest angestellt. Vorher waren sie bei Autozulieferern tätig gewesen. Die Pandemie setzte dem Sektor zu, sodass es zu Entlassungen kam. Betroffen waren auch Gabor und Hada. Die Arbeit bei Kosit sei zwar etwas schmutziger als jene beim Autozulieferer, dafür weniger monoton, sagt Gabor.
Unser Schulsystem vergrößert die Unterschiede unter den Kindern, statt sie zu reduzieren. Sozialforscher Abel Ravasz
Finanzchef Biznar sagt, seine Firma sei „für viele Roma der erste Ort, wo sie mit einer Corporate Culture in Kontakt kommen“. In den ersten zwölf bis 24 Monaten ist die Fluktuation unter den Angestellten aus der Gemeinschaft daher überdurchschnittlich hoch. Dann geht sie aber auf ein normales Maß zurück.
Allerdings verrichten die Roma auch bei Kosit fast nur manuelle Arbeiten, im Büro und im Management sind sie kaum vertreten. „Das verhältnismäßig niedrige Ausbildungsniveau behindert den Aufstieg in besser bezahlte Stellen“, sagt Biznar.
Die Benachteiligung vieler Roma beginnt schon im Kindesalter. Ein Hindernis ist die Sprache. Viele Roma-Kinder sprechen beispielsweise zu Beginn der Schulzeit nicht besonders gut Slowakisch. Sie werden deshalb in eine Spezialschule versetzt und geraten so erst recht ins Hintertreffen. Sozialforscher Ravasz sieht das kritisch: „Unser Schulsystem vergrößert die Unterschiede unter den Kindern, statt sie zu reduzieren.“ Viele Roma schaffen es nicht, die obligatorische Schulzeit von neun Jahren zu beenden.
Veronika Fricova, Managerin bei der Carpathian Foundation in Kosic, fordert für die Kinder aus der Minderheit „eine besondere Betreuung“. Dafür sei das Schulsystem der Slowakei aber nicht gerüstet.
Die Stiftung verfolgt diverse Schwerpunkte. Ein Projekt besteht darin, Roma-Frauen auf die Erfordernisse des Arbeitsmarkts vorzubereiten. „Frauen stehen hier vor noch höheren Hindernissen als Männer“, sagt Fricova.
In marginalisierten Roma-Gemeinschaften gehen nur wenige Frauen einer bezahlten Beschäftigung nach. Teenager-Schwangerschaften sind verbreitet, und viele junge Frauen können nicht selbst über die Zahl ihrer Kinder bestimmen. „Marginalisierten Menschen kann nur mit einem umfassenden Ansatz geholfen werden“, sagt Fricova.
Dafür sind die Zeiten aber gerade schlecht. Die Folgen der Pandemie, des Ukrainekriegs und die Inflation treffen benachteiligte Menschen besonders hart. Die Daten der EU Agency for Fundamental Rights deuten jedenfalls darauf hin, dass Roma wieder mehr Schwierigkeiten haben, eine Beschäftigung zu finden. Die Integration sei schwieriger geworden, schreibt die Organisation in einem im Oktober erschienenen Bericht.
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