Berlin Immer mehr Städte in China lockern ihre Corona-Restriktionen. So ist es seit Montag in der Wirtschaftsmetropole Shanghai nicht mehr obligatorisch, für die Fahrt mit öffentlichen Verkehrsmitteln einen aktuellen negativen Covid-Test vorzulegen.
Peking hatte entsprechende Lockerungen bereits am Freitag verkündet, die Tech-Metropolen Shenzhen und mehrere Städte in der ostchinesischen Provinz Zhejiang folgten. Wie die Nachrichtenagentur Reuters meldet, soll die Regierung in Peking am Mittwoch neue Lockerungsmaßnahmen verkünden, anknüpfend an die 20 Maßnahmen, die zuletzt Mitte November verkündet wurden.
Einige sahen in der Lockerung auch eine Reaktion auf die landesweiten Proteste von Tausenden Menschen Ende November. Für chinesische Verhältnisse hatten diese eine enorme Größe erreicht.
Für eine Entwarnung ist es jedoch zu früh, mahnen Gesundheits- und Wirtschaftsexperten. Zumal bei Weitem nicht alle Maßnahmen aufgehoben wurden und das Leben der Einwohner vieler Städte weiterhin durch die Restriktionen extrem beeinflusst wird.
So gibt es zwar keine Testpflicht mehr für das Betreten von öffentlichen Verkehrsmitteln – ein 48-Stunden-Test ist jedoch etwa in Peking und auch anderen Städten weiterhin obligatorisch, wenn man ein Büro oder einen Supermarkt betreten will. Weil jedoch viele Testcenter in den vergangenen Tagen geschlossen hatten, bildeten sich sehr lange Schlangen an den wenigen übrig gebliebenen.
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„Die Implementierung der Vorgaben der Zentralregierung und der Umgang mit den jetzigen Ausbrüchen werden lokal sehr unterschiedlich gehandhabt“, sagte Jens Hildebrandt, geschäftsführendes Vorstandsmitglied der Deutschen Handelskammer in China (AHK), dem Handelsblatt. „Während in vielen Städten partiell gelockert wird, werden die Maßnahmen in anderen Gegenden sogar verschärft.“
Nach wie vor belasten die Corona-Restriktionen die Geschäfte der Unternehmen vor Ort. Obwohl es kaum Einschränkungen bei der Produktion gebe, seien die Lieferketten dennoch weiterhin gestört, sagte Hildebrandt. Vertriebs- und Servicemitarbeiter können weiterhin kaum zu ihren Kunden reisen.
An den asiatischen Börsen sorgte die Lockerung der Maßnahmen am Montag dennoch für gute Stimmung. Die Börse in Shanghai schloss 1,8 Prozent im Plus bei 3212 Punkten. Der Index der wichtigsten Unternehmen in Shanghai und Shenzhen gewann 2,0 Prozent und stieg auf 3947 Zähler. Der Hongkonger Hang Seng Index sprang um 4,4 Prozent auf 19.488 Punkte und erholte sich seit seinem Tief am 31. Oktober um 35 Prozent.
Deutsche Unternehmen stellen sich auf Schwierigkeiten ein
„Die nächsten Wochen werden entscheidend sein“, schrieb Yanzhong Huang, Senior Fellow für Globale Gesundheit bei der US-Denkfabrik Council on Foreign Relations, in einem Gastbeitrag für die „New York Times“. „Die lokalen Behörden an vorderster Front stehen unter zunehmendem öffentlichen und finanziellen Druck, die Maßnahmen zu lockern“, so Huang. Ein Mangel an klaren Anweisungen aus Peking könnte jedoch zu einer übereilten und chaotischen Wiedereröffnung und zu mehr Infektionen führen.
„Der Weg raus aus der chinesischen Null-Covid-Politik wird holprig sein“, glaubt auch AHK-Vertreter Hildebrandt. „Darauf sind deutsche Unternehmen eingestellt.“ Rückfälle in alte Muster seien nicht auszuschließen.
Tatsächlich gibt zwar die Zentralregierung in Peking die groben Linien für den Umgang mit der Pandemie vor, allerdings sind diese oft widersprüchlich, und die Umsetzung von Maßnahmen und die Entscheidung hierüber liegen bei den lokalen Stellen.
Oft bestimmen sogar die kleinsten Einheiten der Staatsorganisation, die sogenannten Nachbarschaftskomitees. Diese haben in der Vergangenheit etwa darüber entschieden, ob und wie lange eine Wohnanlage abgeriegelt wird und wie lange die Bewohner ihre Wohnungen nicht verlassen dürfen.
Die Gründe für die Null-Covid-Strategie
Ein Grund dafür, dass China auch im dritten Jahr der Pandemie auf die Restriktionen setzt, ist die zu geringe Impfquote – insbesondere bei der älteren Bevölkerung. Hinzu kommt die nach wie vor schlechte Ausstattung mit Intensivbetten der chinesischen Krankenhäuser.
Ein landesweiter Ausbruch würde zum jetzigen Zeitpunkt sehr gefährlich sein, analysiert Huang. Wenn ein Viertel der chinesischen Bevölkerung innerhalb der ersten sechs Monate der Lockerung infiziert werden würde, könnte dies mit schätzungsweise 363 Millionen Infektionen, etwa 620.000 Todesfällen und „einer potenziellen sozialen und politischen Krise“ enden, schreibt Huang. Und diese Quote erscheint nicht unrealistisch. Sie entspricht dem Pandemieverlauf in den USA und Europa nach dem Auftreten der hochansteckenden Omikron-Variante.
In den ersten zwei Jahren der Pandemie hatte China die Ausbreitung des Virus durch drakonische Maßnahmen recht schnell unter Kontrolle bekommen. Doch mit Omikron häufte sich die Zahl der Corona-Fälle. Die Staatsführung bekam Ausbrüche nicht in den Griff und reagierte mit heftigen Restriktionen.
Ende November hatte der Präsident der EU-Handelskammer in Peking, Jörg Wuttke, noch von einer „katastrophalen Situation“ gesprochen. Selbst wenn die Lockerungen nun ausgeweitet werden – die Wirtschaft wird sich zumindest kurzfristig nicht so schnell erholen.
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Nach Einschätzung der China-Analysten der Deutschen Bank ist eine schrittweise Öffnung in zwei Phasen am wahrscheinlichsten. In der ersten Phase werde die Lockerung der Beschränkungen schrittweise und vorsichtig erfolgen, um einen Ansturm auf die Krankenhausressourcen zu vermeiden, so die Analysten.
Weitere Probleme für Chinas Wirtschaft
Eine schnellere Wiedereröffnung werde wahrscheinlich beginnen, sobald ein stetiger Rückgang der Krankenhauseinweisungen und Todesfälle zu beobachten ist. „Im Einklang mit diesem Wiedereröffnungspfad wird Chinas Wirtschaftstätigkeit unserer Meinung nach in der ersten Hälfte des Jahres 2023 gedämpft bleiben, bevor sie in der zweiten Hälfte rasch wieder anzieht“, heißt es in einem aktuellen Bericht. Die Analysten rechnen unter diesen Voraussetzungen mit einem Wachstum von 4,5 Prozent im Jahr 2023.
Tatsächlich belasten nicht nur die Corona-Restriktionen die chinesische Wirtschaft, betont die Ökonomin Alicia Garcia Herrero von der französischen Investmentbank Natixis. Die Faktoren, die hinter der strukturellen Verlangsamung der wirtschaftlichen Entwicklung Chinas stünden, seien nach wie vor intakt, sagte sie der „Financial Times“, darunter die Immobilienkrise, die alternde Bevölkerung und eine sinkende Produktivität. Das alles belaste die wirtschaftlichen Aussichten des Landes auch weiterhin, selbst wenn die Beschränkungen aufgehoben würden.
Der Konsum in China bleibt bereits seit Monaten auf niedrigem Niveau, vor allem wegen der Restriktionen, der anhaltenden Immobilienkrise und der hohen Arbeitslosigkeit, insbesondere in der jüngeren Bevölkerung.
Chinas Industrie fällt auf Sieben-Monats-Tief
Zuletzt waren die offiziellen Einkaufsmanagerindizes (PMI) für November noch schlechter ausgefallen als erwartet: Sowohl der PMI für die Industrie als auch der für Dienstleistungen fielen unter den Wert von 50, was einen Abschwung anzeigt.
Im Oktober ging auch noch der Export um 0,3 Prozent im Vergleich zum Vorjahresmonat zurück – bislang eine wichtige Stütze der chinesischen Wirtschaft. Am Mittwoch legt die chinesische Zollbehörde die neusten Außenhandelszahlen für November vor. Analysten rechnen im Durchschnitt mit einem Minus von 3,5 Prozent und damit einem noch heftigeren Rückgang der Exporte.
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