Tel Aviv Die Proteste im Iran entwickeln sich zu einer Massenbewegung. Zahlreiche Geschäftsleute haben am Montag ihre Läden geschlossen gehalten und sind damit offenbar einem Aufruf zu einem dreitägigen Generalstreik gefolgt.
Der Twitter-Account 1500tasvir mit 380.000 Followern, der die Proteste eng begleitet, zeigte Videos, auf denen verrammelte Geschäfte in Innenstädten zu sehen waren, wie etwa im Basar in der Hauptstadt Teheran und anderen Städten wie Karaj, Isfahan und Schiraz. Zeugen berichteten von einer massiven Präsenz der Basidsch-Miliz im Zentrum Teherans.
Die halbamtliche Nachrichtenagentur Fars berichtete, ein Juweliergeschäft des früheren Fußballstars und Bayern-München-Spielers Ali Daei sei von den Behörden abgeriegelt worden nach der Ankündigung, für den dreitägigen Generalstreik geschlossen zu bleiben.
Die kurdisch-iranische Menschenrechtsgruppe Hengaw teilte mit, 19 Städte im Westen Irans, wo die meisten Kurden des Landes leben, hätten sich dem Streik angeschlossen. Mit dem Streik wollen die Regimekritiker die Liquidität im iranischen Bankensystem austrocknen und den ökonomischen Nerv des Regimes treffen.
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Weil die Proteste in der vergangenen Woche „signifikant“ nachgelassen haben, sei die Befolgung des Streikaufrufs für die Protestbewegung ein „kritischer Test“, sagt der Tel Aviver Iran-Experte Raz Zimmt.
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Für Aufsehen hatten am Wochenende zwei Zitate des iranischen Generalstaatsanwalts Mohammad-Jafar Montazeri gesorgt. Er war Sonntag während einer Konferenz von Geistlichen mit der Frage konfrontiert worden, ob die Sittenpolizei aufgelöst werde. Seine Antwort war interpretationsbedürftig.
Die Auflösung der 2005 gegründeten Sittenpolizei sei von einem Ausschuss von Regierungsbeamten beschlossen worden, sagte er, ohne Einzelheiten zu nennen. Die islamischen Gerichte des Landes würden aber weiterhin das öffentliche Verhalten überwachen, fügte er hinzu. Zuvor hatte Montazeri im Parlament angekündigt, dass das Gesetz, das Frauen zum Tragen des Hidschabs verpflichtet, überprüft werden soll.
Er unterließ es indessen zu sagen, wie das Hidschab-Gesetz, das laut Montazeri „die Trennlinie zwischen dem Westen und der islamischen Kultur darstellt“, künftig durchgesetzt werden soll. Offen ließ er auch, ob die Befugnisse der Sittenpolizei auf andere Polizeieinheiten übertragen werden sollen.
Beobachter sehen dies nicht als Indiz dafür, dass die Sittenpolizei abgeschafft und der Kopftuchzwang aufgehoben wird. Montazeris Äußerungen wurden denn auch prompt relativiert. So bestätigte das Innenministerium, dem die Sittenpolizei untersteht, die Abschaffung der Sittenpolizei nicht. In staatlichen Medien hieß es zudem, die Justiz sei nicht für die Aufsicht über die Moralpolizei zuständig.
Westliche Medien, die die Äußerungen Montazeris als „Rückzug der Islamischen Republik“ in den Fragen des Hidschabs und der Moral dargestellt hätten, lägen falsch. „Kein Offizieller der Islamischen Republik Iran hat gesagt, dass die Sittenpolizei aufgehoben wurde“, so staatliche Medien.
Versuch, die Protestbewegung zu besänftigen
Ein Teheraner Politologe, der anonym bleiben will, bezeichnet Montazeris umstrittene Äußerung als Versuch, die Protestbewegung zu besänftigen, indem das Regime Konzessionsbereitschaft andeute. „Das ist eine Beruhigungspille, mehr nicht“, sagte der Politologe dem Handelsblatt. Selbst wenn die Sittenpolizei aufgelöst werden sollte, bedeute dies nicht, dass das Kopftuch-Gebot falle.
Die jüngsten Aussagen des Generalstaatsanwalts deuteten aber auf Spannungen innerhalb des Regimes hin, meint der Politologe. Die Unterstützung für das Hidschab-Gesetz sei unter den konservativen Politikern und Klerikern nach wie vor groß. „Das erschwert eine Abschaffung des Hidschab-Gesetzes durch Irans Hardliner-Führung.“
Nur wenige Wochen vor Beginn der Proteste hatte Präsident Ebrahim Raisi öffentlich zu einer strengeren Durchsetzung des Gesetzes aufgerufen, wie staatliche Nachrichtenagenturen berichten. Ein konservativer Parlamentarier hatte in der vergangenen Woche gefordert, dass Frauen, die wegen des Nichttragens eines Kopftuchs inhaftiert werden, keine staatlichen Leistungen mehr erhalten sollten.
Die von Frauen angeführten Proteste, die von den Behörden als „Unruhen“ bezeichnet werden, begannen am 16. September, als die 22-jährige Mahsa Amini drei Tage nach ihrer Verhaftung durch die Sittenpolizei in ihrer Zelle starb.
Seither kann die Protestbewegung zwar auf landesweiten Zuspruch zählen und wird auch vom Westen unterstützt. Aber sie hat bisher weder einen einheitlichen Forderungskatalog noch eine homogene Führungselite hervorgebracht. So wollen sich die einen mit Reformen begnügen, während andere einen Regimewechsel anstreben.
Demonstranten haben keine gemeinsamen Ziele
Selbst diejenigen, die sich mit Reformen begnügen wollen, streiten sich darüber, wie diese aussehen sollen. So haben die einen eine ökonomische Agenda und fordern Maßnahmen gegen die Wirtschaftskrise, die Armut, Arbeitslosigkeit oder die hohen Lebenshaltungskosten. Die anderen wollen mehr Menschenrechte oder die Aufhebung des Hidschab-Gesetzes durchsetzen.
Das Regime verhindert, dass die Demonstranten eine anerkannte Führung haben, die den Protest koordiniert. Wer bei den Demonstrationen prominent auftritt, wird sofort ins Visier genommen und entweder inhaftiert oder getötet. Offizielle Zahlen beziffern die Zahl der Toten auf „bis zu 200“, ohne eine exakte Zahl zu nennen.
Menschenrechtsorganisationen gehen hingegen davon aus, dass bei den Protesten mehr als 400 Menschen von Sicherheitskräften getötet wurden, darunter zahlreiche Kinder. 14.000 Menschen seien wegen ihrer Teilnahme an den Protesten verhaftet worden, so die Vereinten Nationen im November. Viele von ihnen würden schwerer Vergehen beschuldigt , auf denen die Todesstrafe steht.
Mehr: Europa und Amerika in großer Sorge: Wie nah ist der Iran der Atombombe?
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