Düsseldorf Es hat schon fast etwas Rituelles an sich: Rund drei Wochen nachdem das Statistische Bundesamt die Details zur Wirtschaftsentwicklung des Vorquartals vorgelegt hat, präsentieren die großen Konjunkturforschungsinstitute ihre revidierten Vorhersagen – nicht selten im Gleichschritt.
Die derzeit noch aktuellen Prognosen vom September liegen zwischen 1,1 und 1,6 Prozent Wachstum für das zu Ende gehende Jahr und zwischen 0,8 Prozent Wachstum und 1,4 Prozent Schrumpfung für 2023. In ihrer Gemeinschaftsdiagnose für die Regierung verständigten sich die Institute Anfang Oktober dann – wie nicht selten – grob auf die Mittelwerte der Einzelprognosen, also auf 1,4 Prozent plus im laufenden und 0,4 Prozent minus im kommenden Jahr.
Das war wohl aus heutiger Sicht zu pessimistisch. So wuchs die deutsche Wirtschaft im dritten Quartal überraschend kräftig um 0,4 Prozent – und auch ein bis vor Kurzem noch als sicher geltender Rückgang der Wirtschaftsleistung im laufenden vierten Quartal ist keineswegs mehr ausgemacht.
Anders als erwartet schrumpfte die Produktion im produzierenden Gewerbe zum Quartalsauftakt im Oktober nur geringfügig um 0,1 Prozent gegenüber September. Gleichzeitig wurde das Ergebnis für den September merklich nach oben revidiert, sodass der Oktober-Wert leicht über dem Durchschnitt des dritten Quartals lag. Salopp formuliert: Die Industrie startete mit leichtem Rückenwind ins Schlussquartal.
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Für die Commerzbank-Volkswirte, die bis vor Kurzem noch einen heftigen Einbruch von 1,5 Prozent für das Gesamtjahr 2023 vorhergesagt hatten, ist nunmehr wahrscheinlich, „dass die deutsche Wirtschaft auch im vierten Quartal trotz der massiv gestiegenen Energiepreise nicht schrumpfen wird“.
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Dazu trage nicht zuletzt auch bei, dass der Staat mit seinen Entlastungspaketen „einen Großteil der höheren Rechnung für die Energieimporte übernimmt“. Zudem sei eine Rationierung von Erdgas deutlich unwahrscheinlicher geworden. Deshalb revidierten die Bankvolkswirte ihre Konjunkturerwartungen für 2023 um einen ganzen Prozentpunkt nach oben – und erwarten nunmehr lediglich einen Rückgang der Wirtschaftsleistung um 0,5 Prozent.
Es sei „unwahrscheinlich“, dass Deutschland eine Rezession erspart bleibe, meint Commerzbank-Chefvolkswirt Jörg Krämer. Mit der weltweiten „merklichen Straffung der Geldpolitik“ habe sich einer der traditionellen Konjunkturtreiber drastisch verschlechtert. Mit der üblichen Verzögerung dürfte dies im kommenden Jahr die Wirtschaft dies- und jenseits des Atlantiks schrumpfen lassen.
Derzeit ist das Glas halb voll
Im Moment scheinen freilich Aufwärtsimpulse zu überwiegen. Das Ifo-Geschäftsklima steigt seit zwei Monaten, und auch die Einkaufsmanager-Indizes haben ihre Tiefststände verlassen.
Zudem haben sich die Sorgen der Verbraucher vor steigenden Preisen und Zinsen merklich verringert; das vom Handelsblatt Research Institute berechnete HDE-Konsumbarometer kletterte für Dezember auf ein Fünfmonatshoch. Zuletzt gaben überdies die Ölpreise deutlich nach, sodass Benzin, Diesel und Heizöl deutlich billiger wurden; die Inflationsrate sank im November leicht.
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Unterstellt man eine stagnierende Gesamtwirtschaft im Schlussquartal, ergäbe sich für das zu Ende gehende Jahr 1,9 Prozent Wirtschaftswachstum – was isoliert betrachtet alles andere als ein schlechtes Ergebnis wäre.
Es wäre immerhin das fünfthöchste Wachstum binnen zehn Jahren; im Schnitt wuchs die deutsche Volkswirtschaft in diesem Zeitraum nur um gut ein Prozent pro Jahr.
Überdies würde die deutsche Konjunktur dann mit einem „statistischen Überhang“ von etwa 0,2 Punkten in das kommende Jahr starten. Das bedeutet, selbst bei Nullwachstum in allen vier Quartalen des Jahres 2023 würden am Ende 0,2 Prozent Wachstum in den Statistiken stehen.
Der Grund: Der Jahresschlusswert bildet rechnerisch stets die Startrampe für die Entwicklung im folgenden Jahr. Übersteigt dieser Wert den Jahresdurchschnitt, entsteht ein statistischer Überhang – und im umgekehrten Fall ein Unterhang.
China ist der Hoffnungswert für die globale Konjunktur
Hoffnung auf ein baldiges Ende der weltwirtschaftlichen Schwächephase kommt aus China. Zum einen scheint Präsident Xi Jinping mäßigend auf Russlands Präsident Wladimir Putin einzuwirken. Zum anderen verkündete die politische Führung jetzt ein Abrücken von ihrer Null-Covid-Strategie an, mit weitreichenden Erleichterungen bei Lockdowns, Quarantäneregeln, Testpflichten und Reisen.
So soll es für Infizierte ohne Symptome oder mit leichten Krankheitsverläufen grundsätzlich möglich sein, zu Hause in Isolation zu gehen. Auch Kontaktpersonen droht nicht mehr wie bisher das Quarantänelager.
Bleibt die Frage, wie die politische Führung reagiert, falls sich das Virus nun rasch ausbreitet und dies wie befürchtet Tausende Menschenleben kostet.
Sollte sich Chinas Konjunkturschwäche dem Ende zuneigen, würde auch die deutsche Industrie davon profitieren. Zum einen dürften die Lieferschwierigkeiten aus Fernost abnehmen, zum anderen die Nachfrage nach Produkten made in Germany zulegen.
Kommt Deutschland um eine Rezession herum?
So schlecht stehen die Chancen also nicht, dass Deutschland um eine Rezession doch noch herumkommt, auch wenn der Fortgang des Ukrainekriegs mit allen möglichen Folgen nicht absehbar ist. Noch weiß niemand, wie im kommenden Sommer abermals die Gasspeicher gefüllt und die abgeschalteten Atommeiler dauerhaft ersetzt werden sollen.
Klar ist, dass Energie auf Dauer teuer bleiben wird – und dass die Regierung Bürger und Wirtschaft nicht dauerhaft von den ökonomischen Konsequenzen abschirmen kann.
Denn schon jetzt hat die Doppelkrise aus Coronapandemie und Ukrainekrieg einen riesigen Berg neuer Staatsverschuldung entstehen lassen – und der muss auch bei steigendem Zinsniveau finanziert werden, letztlich mit zusätzlichen Steuereinnahmen.
<< Den vollständigen Artikel: HRI-Konjunkturausblick: Ökonomen werden optimistischer – Kommt Deutschland an der Rezession vorbei? >> hier vollständig lesen auf www.handelsblatt.com.