Dec 12, 2022
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Bürokratieabbau: NKR-Chef Goebel: „In den Ministerien wird zu wenig gedacht“

Written by Heike Anger


Lutz Goebel

Der 67-Jährige prüft an der Spitze des unabhängigen Beratungsgremiums der Bundesregierung die Folgekosten aller Gesetzes- und Verordnungsentwürfe.



(Foto: dpa)

Berlin Eines muss der neue „Mister Bürokratieabbau“ Lutz Goebel nach sieben Monaten im Amt einräumen: Das Thema sei „komplex“ und gehe einem „nicht so leicht von der Hand“. Gesetze würden – zumal in Krisenzeiten – meist mit „heißer Nadel“ gestrickt: „siehe etwa Gas- und Strompreisbremse“.

Die Digitalisierung der Verwaltung sei bislang gescheitert: siehe Onlinezugangsgesetz (OZG), bei dem statt der geplanten 575 Verwaltungsdienstleistungen „nur 33 bundesweit digitalisiert wurden“.

Wenn Goebel also als Vorsitzender des Nationalen Normenkontrollrats (NKR) an diesem Dienstag den ersten Jahresbericht an Bundesjustizminister Marco Buschmann (FDP) überreicht, dann tut er dies als starker, aber teils auch ungläubiger Mahner.

Der gestandene Familienunternehmer kannte bislang nur die Seite der Wirtschaft: „Wir setzen uns Ziele, machen Maßnahmen, und dann wird das auch umgesetzt“, erklärt der geschäftsführende Gesellschafter des Industriemotorenherstellers Henkelhausen. Bürokratie wird hier als schwere Last erfahren.

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Nun prüft der 67-Jährige an der Spitze des unabhängigen Beratungsgremiums der Bundesregierung die Folgekosten aller Gesetzes- und Verordnungsentwürfe. Und stellt fest: „In den Ministerien wird zu wenig gedacht – daran, wie Regelungen beim Bürger oder bei Wirtschaft und Verwaltung ankommen.“ Prozesse würden zu wenig gesteuert. Die Tendenz: Unnötige Bürokratie nehme weiter zu. Da klingt es fast schon etwas ernüchtert, wenn Goebel feststellt: „Es liegt an der Politik selbst, Bürokratie abzubauen. Wir halten ihr nur den Spiegel vor.“ Sein Gefühl sei, „dass wir irgendwann einen Knall bekommen werden“. Wenn der Staat den Vollzug seiner Gesetze nicht mehr hinbekomme.

Umzug vom Kanzleramt ins Justizministerium

Tatsächlich stand bereits Goebels Start unter schwierigen Vorzeichen. Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD) warf den im Jahr 2006 gegründeten NKR aus dem Kanzleramt, was weithin als Zeichen gedeutet wurde, der Bürokratieabbau sei fortan nicht mehr Chefsache.

Durch den Umzug ins Justizministerium schrumpften die 20 Büros des Rats auf zeitweilig fünf Dienstzimmer zusammen. 1400 Arbeitsstunden wurden für den Organisationsaufwand angesetzt. Durchstarten? Inhaltliche Akzente? Daran war zu Beginn kaum zu denken. „Der Umzug wurde exekutiert“, sagt Goebel über diese Zeit.

In der Folge meldet er sich aber durchaus zu Wort. Für jede neue Regelung müssten künftig zwei bestehende gestrichen werden, „one in – two out“, forderte er im Interview mit dem Handelsblatt. Bislang lautete der Grundsatz „one in – one out“, nicht mehr Regulierung also, aber auch nicht weniger. Doch nach Goebels Willen sollte es ja zum Abbau kommen.

Datenschutz-Grundverordnung, Lieferkettengesetz, langwierige Genehmigungsverfahren machte der ehemalige Präsident des Verbands „Die Familienunternehmer“ öffentlich als besonders ärgerliche Belastungen der Wirtschaft aus.

Zuletzt kritisierte er scharf die Beschaffenheit der Entlastungspakete: Es sei unwahrscheinlich, dass die vielen unterschiedlichen Maßnahmen der Regierung von der Verwaltung sauber ausgeführt werden könnten. Jeder werde zwar irgendwann sein Geld bekommen, aber es werde Zeit kosten und es würden Fehler passieren.

NKR noch nicht so sichtbar wie gewünscht

Auch vor der Übergabe des NKR-Jahresberichts kommt Goebel auf die hektischen Gesetzgebungsprozesse zu sprechen: Natürlich, der russische Angriffskrieg gegen die Ukraine wirke sich aus. Die Zahl der Entwürfe, bei der das Gremium weniger als fünf Tage Zeit zur Prüfung bekam, habe sich verdreifacht.

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Die Krisengesetzgebung drohe zum Dauerzustand zu werden. Auch Verbände und Experten können ihr Wissen oft nicht mehr einspeisen. Praxischeck? Alternativen diskutieren? Auswirkungen bedenken? Unmöglich! Vieles scheitert laut Goebel auch am Föderalismus: „Der Bund bezieht die Länder und Kommunen häufig gar nicht ein. Oder von dort kommt direkt Widerstand.“

Ganz so sichtbar, wie Goebel es bei Amtsantritt versprochen hat, ist der NKR noch nicht. Das mag auch an den Beharrungskräften in den Ministerien liegen. „Wir müssen natürlich die ein oder andere Tür – ich will nicht sagen – eintreten, aber zumindest mal fester aufmachen“, erzählt der NKR-Chef mit einem feinen Lächeln.

So ließ ihn Bundesinnenministerin Nancy Faeser (SPD) bislang beim Digitalcheck hängen, der eigentlich ab Januar dafür sorgen soll, dass die Verwaltung neue Regelungen auch digital umsetzen kann. Der NKR soll den Digitalcheck überprüfen, kann aber nicht richtig loslegen, weil es bislang nur eine Betaversion gibt.

>> Lesen Sie hier: „Ein sich selbst reproduzierendes System“ – Wie die Juristenrepublik die Digitalisierung ausbremst

Zumindest von dem nun für den NKR zuständigen Justizminister fühlt sich Goebel – selbst FDP-Mitglied – „offen aufgenommen“. Vor allem per SMS laufe es mit Marco Buschmann „sehr effizient“.
Und die Wirtschaft? Wartet auf das angekündigte Belastungsmoratorium der Bundesregierung und das nächste Bürokratieentlastungsgesetz. Der Bundesverband der Deutschen Industrie (BDI) mahnt: „Die Bundesregierung sollte die unabhängigen Empfehlungen des Nationalen Normenkontrollrats ernst nehmen.“

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