Dec 12, 2022
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Ukraine-Krieg: Exportieren, während Bomben fallen: Warum Moskau, Kiew und Ankara am Getreideabkommen festhalten

Written by Ozan Demircan

Riga, Istanbul Die Lage in der Hafenstadt Odessa ist nach russischen Angriffen auf das ukrainische Stromnetz schwierig – und doch sprechen die Türkei und Russland darüber, den sogenannten Getreidekorridor auf andere Produkte auszuweiten. Es scheint aus Sicht der Ukraine unlogisch, angesichts der russischen Angriffe mit Moskau überhaupt zu verhandeln. Trotzdem haben alle Beteiligten ein Interesse daran zu kooperieren – auch wenn sich keine Entspannung des Kriegsgeschehens abzeichnet.

Das russische Angebot, gerade jetzt während der Bombardements über eine Ausweitung des Handelskorridors über das Schwarze Meer zu sprechen, ist gleichzeitig perfide und doch nach Moskauer Lesart logisch. Denn der russische Staatschef Wladimir Putin fordert gleichzeitig, dass Handelsbeschränkungen und Embargos gegen russische Exportprodukte fallen, darunter Stahl. So würde Russland abseits der Ölexporte Einkommen generieren.

Die Ukraine könnte bei einer Zustimmung zur Ausweitung des Handelskorridors verlangen, dass Attacken auf Hafenstädte künftig ausbleiben. Wegen Angriffen der russischen Armee auf ukrainische Infrastruktur, insbesondere die Energieversorgung, war der Hafen von Odessa zwischenzeitlich außer Betrieb. Russische Truppen hatten Odessa in der Nacht zum Samstag mit iranischen Kampfdrohnen angegriffen und dabei für einen Ausfall der Stromversorgung der Stadt sowie des gesamten Umlandes gesorgt.

Am Montagvormittag konnte der Hafenbetrieb aber wieder aufgenommen werden. Der größte Hafen der Ukraine ist elementar dafür, dass das Getreideabkommen funktioniert – und ebenso für das wirtschaftliche Überleben des Landes.

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Die Ukraine gehört wie Russland zu den wichtigsten Getreideexporteuren der Welt. Die Landwirtschaft macht etwa 20 Prozent des ukrainischen Bruttoinlandsprodukts (BIP) aus und 40 Prozent der Exporte. Die durch den Krieg stark geschädigte ukrainische Wirtschaft ist dementsprechend auf ein Abkommen angewiesen. Experten des Wiener Instituts für Internationale Wirtschaftsvergleiche prognostizieren für das laufende Jahr einen Rückgang des ukrainischen BIP um 33 Prozent.

Arbeiter in einem Getreidesilo in Odessa

Der Agrarsektor ist ein wichtiger Bestandteil der ukrainischen Wirtschaft.


(Foto: Anadolu Agency/Getty Images)

Damit Güter verstärkt über den Landweg statt per Schiff exportiert werden können, gibt es bereits sogenannte EU-Solidaritätswege. Über diese Routen exportierte die Ukraine seit Inbetriebnahme im Mai bereits rund 17 Millionen Tonnen Lebensmittel in die EU. Im Juni hatten sich die EU und Kiew außerdem darauf geeinigt, alle Einfuhrzölle auf ukrainische Waren für die Dauer eines Jahres auszusetzen.

Export über Landweg ist limitiert

An den Überlandexporten gibt es aber Kritik: So leiden beispielsweise Landwirte in Polen unter der neuen Konkurrenz, wie jüngst der polnische EU-Landwirtschaftskommissar Janusz Wojciechowski bemängelte. Zudem stauen sich Berichten zufolge auf der polnischen Seite der Grenze Güter aus der Ukraine, etwa Mais, Raps und Geflügel. Wojciechowski gehört der rechts-konservativen Regierungspartei Recht und Gerechtigkeit, bekannt unter dem Akronym Pis, an. Die Kritik aus Polen zeigt, dass der Export auf dem Landweg als Alternative zum Schwarzen Meer seine Grenzen hat.

>> Lesen Sie hier: Ukrainische Ökonomin im Interview: „Die Schattenwirtschaft rettet das Land immer wieder vor dem Kollaps“

Für die Türkei lohnen sich die Verhandlungen in vielerlei Hinsicht. Zunächst kann Staatschef Erdogan erneut als Vermittler glänzen. Er ist der bisher einzige Staatschef, der die Außenminister der beiden Staaten an einen Tisch gebracht hat. Auch der Getreidekorridor geht auf die Initiative Ankaras zurück. Zudem ist für die Türkei von Vorteil, wenn im Schwarzen Meer zumindest im Bereich des Handelskorridors im Westen des Binnenmeeres Ruhe einkehrt. Die Türkei teilt Seegrenzen sowohl mit der Ukraine als auch mit Russland.

Darüber hinaus gehört die Türkei selbst zu den Abnehmern des Getreides aus der Ukraine – das könnte auch bei einer Ausweitung auf andere Güter passieren. Die Regierung in Ankara fährt einen diplomatischen Drahtseilakt, indem sie einerseits Drohnen an die Ukraine liefert und andererseits regelmäßig mit Russland verhandelt.

Chancen auf diplomatische beim Handelskorridor

Staatschef Recep Tayyip Erdogan ist der einzige Spitzenpolitiker der Nato, der Putins Wünsche in die Öffentlichkeit trägt, etwa bei einem potenziellen russischen Gashub in der Türkei oder eben bei der Ausweitung des Handelskorridors.

>> Lesen Sie hier: Ukraine schlägt im Luftkrieg zurück, aber kann sie Russlands Raketen stoppen?

Auch wenn der Krieg angesichts der russischen Angriffe sowie einer angekündigten ukrainischen Gegenoffensive bald noch brutaler werden dürfte, stehen die Chancen auf eine diplomatische Einigung beim Thema Handelskorridor nicht schlecht. Es bleibt die Frage, ob das dazu beitragen kann, den Krieg zu mildern oder gar irgendwann zu beenden.

In der Stadt Odessa sind unterdessen Hunderttausende Menschen weiterhin ohne Strom, in der weiteren Region sollen 1,5 Millionen Menschen betroffen sein. Der regionale Stromversorger teilte mit, dass die Reparaturen zwei bis drei Monate dauern könnten.

Stromausfall in Odessa

Das Stromnetz wurde von den russischen Angriffen schwer getroffen.



(Foto: dpa)

Aktuell liegen die Temperaturen vor Ort tagsüber zwar noch über dem Gefrierpunkt, in der Nacht sinken sie aber teilweise auf bis zu minus sechs Grad. „Es ist schon allen klar, dass es russische Strategie ist, Zivilistinnen und Zivilisten erfrieren zu lassen, richtig?“, kommentierte Carlo Masala, Professor für Internationale Politik an der Universität der Bundeswehr, die russischen Angriffe.

Teilweise gibt es nach ukrainischen Angaben in der Region wieder eine Versorgung. „Im Moment ist es in Odessa und in anderen Städten und Regionen des Gebiets gelungen, teils die Lieferungen wieder aufzunehmen. Wir tun alles, um unter diesen Bedingungen nach den russischen Treffern das Maximum herauszuholen“, sagte der ukrainische Präsident Wolodimir Selenski. „Aber im Moment ist die Region Odessa noch weiter unter den Gebieten, in denen es die meisten Abschaltungen gibt.“

Mehr: Erdogan will billiges Gas aus Russland.



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Politik

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