Berlin In Taipeh geben sich die Delegationen aus Deutschland derzeit die Klinke in die Hand. Im nächsten Jahr könnte mit Bundesforschungsministerin Bettina Stark-Watzinger erstmals seit 26 Jahren sogar ein Kabinettsmitglied nach Taiwan reisen, wie der FDP-Abgeordnete Peter Heidt bei einer Veranstaltung am Montagabend sagte.
Das Forschungsministerium wollte die Pläne auf Anfrage nicht bestätigen. Nach Informationen des Handelsblatts aus Parlamentskreisen gab es in den vergangenen Wochen aber Überlegungen zu einer Reise. Zuletzt hatte Wirtschaftsminister Günter Rexrodt 1997 das Land besucht.
Stark-Watzinger hat bereits im November ihren Amtskollegen, den taiwanischen Minister für Wissenschaft und Technologie, Wu Tsung-tsong, in Berlin getroffen. Die Berliner Politik will mit den Besuchen und Treffen signalisieren, dass sie sich nicht von Peking vorschreiben lässt, mit wem sie Beziehungen unterhält, und zudem ihre Unterstützung für das technologisch und politisch bedeutsame Land unterstreichen.
Taiwan ist für die Chipindustrie – und auch die Abnehmer in Deutschland – extrem wichtig. Die modernsten Halbleiter mit Strukturgrößen von sieben Nanometern und weniger stammen zu 80 Prozent von der Insel.
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Anna Marti, Leiterin des Taipeher Büros der FDP-nahen Friedrich-Naumann-Stiftung, sagte im Gespräch mit dem Handelsblatt: „Gefühlt kommen derzeit jede Woche Delegationen aus Europa und den USA.“
Chinesische Staatsmedien bezeichnen Reisen als „bösen Trend“
Mitte November war Franziska Brantner, parlamentarische Staatssekretärin im Bundeswirtschaftsministerium, nach Taiwan gereist, Anfang Oktober eine sechsköpfige Delegation unter der Leitung von Klaus-Peter Willsch (CDU), Ende Oktober der Ausschuss für Menschenrechte des Bundestags. Der Ausschuss für internationalen Handel des Europäischen Parlaments will vom 19. bis 21. Dezember zum ersten Mal auf die Insel reisen.
In chinesischen Staatsmedien wurden diese und andere Reisen als „böser Trend“ kritisiert. Peking betrachtet Taiwan als Teil seines Territoriums, obwohl die Insel nie zur 1949 gegründeten Volksrepublik gehört hat, über eine eigene, demokratisch gewählte Regierung und eigene Gesetze verfügt und die Bevölkerung in Umfragen immer wieder sagt, dass sie gegen einen Zusammenschluss mit China ist.
Taiwan sei ein wichtiger Partner in der Spitzenforschung, sagte Gyde Jensen, stellvertretende Vorsitzende der FDP-Fraktion im Bundestag, dem Handelsblatt. Vor allem für Innovationen im Hochtechnologiebereich brauche es starke Partner und verlässliche Lieferanten.
„Die Signale, die unsere Bildungsministerin durch den engen Austausch mit ihrem taiwanischen Kollegen aussendet, sind deshalb genau die richtigen“, so Jensen, die als Teil einer Delegation der Interparlamentarischen Allianz zu China (Inter-Parliamentary Alliance on China, Ipac) Anfang November nach Taiwan gereist war. „Wir hören aus Taiwan, wie wichtig das als unmissverständliches Zeichen vor dem Hintergrund der massiven militärischen Bedrohung durch die Volksrepublik China ist.“
Die chinesische Staatsführung will das Land international isolieren. Dazu verlangt sie von den Regierungen von Staaten, die Beziehungen zu Peking haben wollen, keine offiziellen diplomatischen Beziehungen zur taiwanischen Regierung zu pflegen. Jedoch gibt es jenseits dessen durchaus einen regen Austausch zwischen Taipeh und dem Rest der Welt.
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Anfang August war die Sprecherin des US-Repräsentantenhauses, Nancy Pelosi, nach Taiwan gereist. Peking reagierte erbost und hielt tagelange Militärmanöver in der Region ab. Chinas Staats- und Parteiführer Xi Jinping betont immer wieder, dass China und Taiwan „wiedervereinigt“ werden sollen. Mehrfach hat er mit Gewalt gedroht, wenn die Einverleibung Taiwans durch China nicht friedlich erreicht werden könne.
Anders als etwa auf Pelosis Besuch in Taiwan hatte die chinesische Staatsführung bisher kaum auf die Besuche deutscher Parlamentarier reagiert. In chinesischen Staatsmedien wurden die Reisen der deutschen Delegationen kleingeredet.
Besuchsdiplomatie ist eine Gratwanderung
Deutsche Politiker etwa von FDP und CDU fordern schon seit Längerem auch Mitglieder der Bundesregierung auf, in Bezug auf Taiwan stärkere Akzente zu setzen und nach Taiwan zu reisen. Grundsätzlich ist ein Besuch von Ministerinnen und Ministern in Taiwan möglich, obwohl Deutschland Taiwan im Rahmen seiner Ein-China-Politik nicht als unabhängigen Staat anerkennt. Allerdings bemüht sich Deutschland wie alle anderen EU-Staaten darum, nicht den Eindruck zu erwecken, dass es Taiwan als souveränen Staat offiziell anerkennt.
Doch auch Parlaments- und Regierungsvertreter anderer europäischer Länder reisen regelmäßig in das Land. Anfang November hatte der britische Handelsminister Greg Hands Taipeh besucht, im August reiste eine Delegation um die stellvertretende Verkehrsministerin Litauens, Agne Vaiciukeviciute, in das Land.
Teil der Ein-China-Politik ist aber, dass bestimmte Funktionsträger aus Taiwan nicht nach Europa und entsprechende europäische Funktionsträger nicht nach Taiwan reisen. Dazu gehören jedoch nur der Staats- und der Regierungschef, der Vizepräsident sowie der Außen- und der Verteidigungsminister. Im Fall von Deutschland sollen auch der Parlamentspräsident und der oberste Richter nicht nach Taiwan reisen.
Alle andere Funktionsträger sind davon nicht betroffen. „Wenn ein Mitglied der Bundesregierung nach Taiwan reisen würde, würde das in Taipeh sicher begrüßt werden und als Zeichen der Unterstützung gewertet werden“, sagt Marti von der Nauman-Stiftung.
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Die Besuchsdiplomatie ist dennoch auch eine Gratwanderung. Auf der einen Seite soll signalisiert werden, dass Taiwan den Beistand des Westens hat, auf der anderen Seite soll in Peking auch nicht der Eindruck erweckt werden, dass jemand am Status quo etwa ändern will – sprich Taiwan auch offiziell unabhängig werden soll. Besuche sollten „nicht nur der Provokation dienen“ mahnte Gudrun Wacker von der Stiftung Wissenschaft und Politik (SWP).
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