Dec 13, 2022
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Jahresbericht: NKR: Erhöhung des Mindestlohns ließ Bürokratie stark steigen

Written by Heike Anger


Berlin Es war ein zentrales Wahlversprechen der SPD und fand sich dann auch im Koalitionsvertrag der Ampel: Die Anhebung des gesetzlichen Mindestlohns auf zwölf Euro. Die neue Lohnuntergrenze gilt seit dem 1. Oktober. Laut Regierungsangaben profitieren davon mehr als sechs Millionen Menschen.

Doch die gesetzliche Änderung führt auch zu viel Bürokratie. Das belegt der aktuelle Jahresbericht des Nationalen Normenkontrollrats (NKR), dem unabhängigen Kontroll- und Beratungsgremium der Bundesregierung.

Demnach fällt der laufende Erfüllungsaufwand, also der messbare Zeitaufwand und die Kosten, den neue Gesetze Jahr für Jahr verursachen, deutlich höher aus als in den vergangenen Jahren. Dieser Anstieg ist zu 90 Prozent auf die Erhöhung des Mindestlohns zurückzuführen. Konkret belaufen sich die Bürokratiekosten hierfür auf 5,6 Milliarden Euro.

Insgesamt stieg der laufende Erfüllungsaufwand für Bürger, Wirtschaft und öffentliche Verwaltung im Berichtszeitraum 2021/2022 um rund 6,7 Milliarden Euro auf insgesamt rund 17,4 Milliarden Euro.

„Selbst wenn wir den Mindestlohn ausblenden, dem ja auch ein ganz konkreter Nutzen gegenübersteht, zeigt sich ein negativer Trend“, sagte NKR-Chef Lutz Goebel, der an diesem Dienstag den 80 Seiten starken NKR-Jahresbericht an Bundesjustizminister Marco Buschmann (FDP) übergab. „Dabei müssen Wirtschaft, Verwaltung und Bürger gerade in Krisenzeiten von unnötiger Bürokratie ent- statt belastet werden“, forderte Goebel.

NKR sieht kaum spürbare Entlastungen bei der Bürokratie

Der einmalige Erfüllungsaufwand der Wirtschaft betrug im Berichtszeitraum rund 2,6 Milliarden Euro. Dieser entsteht, wenn zum Beispiel als Reaktion auf neue Vorschriften IT-Systeme eingerichtet oder Filteranlagen umgerüstet werden müssten oder neue Schutzkleidung beschafft werden muss. Für die Bürgerinnen und Bürger betrug der einmalige Erfüllungsaufwand rund 24 Millionen Euro. Ein Beispiel ist der Aufwand dafür, Mietverträge an die künftige Aufteilung der CO2-Kosten anzupassen.

>> Lesen Sie hier: NKR-Chef Goebel: „In den Ministerien wird zu wenig gedacht“

Fazit des NKR: „Trotz aller bisherigen Anstrengungen und guten Impulse für mehr Bürokratieabbau, besserer Rechtsetzung und einer digitalen Verwaltung sind spürbare Entlastungen noch zu wenig erkennbar.“ Entsprechend forderte Goebel einen „Neustart beim Bürokratieabbau“.

Der Nationale Normenkontrollrat existiert seit 2006 und prüft die Bürokratiekosten und seit 2011 die gesamten Folgekosten aller Gesetzes- und Verordnungsentwürfe der Bundesregierung. Dadurch soll der Gesetzgeber sehen, welcher Aufwand und welche Kosten durch seine Regulierung entstehen.

Mit dem Antritt der Ampelkoalition aus SPD, Grünen und FDP musste das Gremium vom Bundeskanzleramt ins Bundesjustizministerium wechseln. Darum ist es das erste Jahr, in dem nicht der Bundeskanzler, sondern der Justizminister den aktuellen Jahresbericht in Empfang nimmt.

>> Lesen Sie hier: Normenkontrollrat: Was hinter dem Rauswurf der Bürokratiewächter aus dem Kanzleramt steckt

Konkret prüfte das Gremium laut Bericht zwischen Juli 2021 und Juni 2022 genau 348 Regelungsvorhaben der Bundesregierung. Davon führte mehr als ein Drittel, nämlich 127, zu mehr Zeitaufwand und Kosten für Bürger, Wirtschaft und Verwaltung.

Im Vergleich zum Vorjahr sank die Anzahl der geprüften Vorhaben zwar. Das liegt nach Angaben des NKR aber daran, dass durch die Bundestagswahl und die Neukonstituierung des Bundestags und der Bundesregierung weniger Gesetzgebung stattfand.

Erst 33 OZG-Verwaltungsleistungen digitalisiert

„Mit großer Sorge“ sieht der Normenkontrollrat die Umsetzung des Onlinezugangsgesetzes (OZG), mit dem seit 2017 wichtige Verwaltungsleistungen digitalisiert werden sollten. Demnach sind mit auslaufender Umsetzungsfrist am 31. Dezember dieses Jahres erst 33 von 575 Verwaltungsleistungen flächendeckend online verfügbar.

Im Bericht heißt es: „Grund hierfür sind strukturelle Herausforderungen im Zusammenwirken der Ebenen, die bisher nicht gelöst worden sind, etwa komplizierte Koordinierungsstrukturen, fehlende Standardisierung und mangelnde Verbindlichkeit.“ Das Problem sei hierbei das schlechte Zusammenwirken von Bund, Ländern und Kommunen, kritisiert das Gremium.

Verwaltung

Bis Ende 2022 sollen insgesamt 575 Verwaltungsleistungen digitalisiert sein.



(Foto: dpa)

Das von vielen geforderte OZG-Nachfolgegesetz müsse die „bisher und sehr schmerzlich gewonnenen Erfahrungen ehrlich analysieren“, fordert der NKR. Das federführende Bundesinnenministerium von Nancy Faeser (SPD) solle dazu mit Betroffenen und Praktikern offen diskutieren. „Es braucht ein konsequentes Umsteuern der Politik“, befindet das Beratungsgremium fünf Jahre nach der Verabschiedung des OZG.

Als „Lichtblick“ bewertet der NKR indes die Einführung des Digitalchecks. Demnach müssen alle Bundesministerien ab Januar 2023 ihre Gesetzentwürfe digitaltauglich gestalten. Der NKR prüft dann, ob und inwiefern Vollzugs- und Digitalisierungsfragen in der Gesetzgebung von vornherein mitgedacht wurden.

Digitalcheck: Persönliche Gänge zum Amt vollständig streichen

Goebel erklärte: „Digitalisierung ist und bleibt der wesentliche Schlüssel für den Abbau von Bürokratie.“ Viele Digitalisierungshürden steckten schon im Gesetzestext. Nur Regeln, die mit Vollzugsexperten besprochen würden und praxisnah gestaltet seien, könnten einfach umgesetzt werden. „Unser Ziel muss es sein, dass Unterschriften und persönliche Gänge zum Amt vollständig gestrichen und Papiernachweise durch Datenaustausche ersetzt werden“, sagte Goebel.

Allerdings geht auch die Einführung des Digitalchecks nur schleppend voran. Nach Angaben des zuständigen Bundesinnenministeriums liegt derzeit nur eine Betaversion für das Vorhaben vor.

Goebel rechnet darum mit einer „Übergangsperiode von drei bis vier Monaten“, bis der Digitalcheck von der Regierung angewendet und in der Folge vom NKR überprüft werden kann.

Kritisch sieht das Kontrollgremium der Bundesregierung auch die Art und Weise, wie Gesetze zustande kommen. „Viel zu oft werden neue Regelungen im Eilverfahren verabschiedet, ohne das wertvolle Praxiswissen von Betroffenen ausreichend einzubeziehen – und das auch jenseits zeitkritischer Krisengesetzgebung“, rügte Goebel.

Aktenordner sind in der deutschen Verwaltung kein seltener Anblick

Ein Digitalcheck soll die deutsche Verwaltung endlich digitalisieren.


(Foto: imago images / photothek)

Abstimmungs- und Beteiligungsfristen würden immer knapper, sodass eine seriöse und verantwortbare Prüfung der Gesetzesentwürfe kaum mehr möglich sei. Im Bericht heißt es: Die Anhörung Betroffener werde „zur reinen Makulatur“.

Krisengesetzgebung als Dauerzustand

Auch dem NKR würde zunehmend so wenig Zeit gegeben, „dass eine seriöse und verantwortbare Prüfung der Gesetzesentwürfe kaum mehr möglich ist“. Künftig will der NKR darum die Fristen von Gesetzgebungsverfahren genauer untersuchen und öffentlich dokumentieren.

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Das Kontrollgremium pocht zudem auf das von der Regierung bereits beschlossene Belastungsmoratorium und das angekündigte Bürokratieentlastungsgesetz. „Die Bundesregierung muss diesen Ankündigungen jetzt Taten folgen lassen“, forderte NKR-Chef Goebel. „Die angekündigten Gesetzespakete zur leichteren Fachkräftegewinnung und zur Beschleunigung von Planungs- und Genehmigungsverfahren werden zeigen, wie ernst es der Regierung ist.“

Mit diesem Tenor kommentierte auch die Wirtschaft am Dienstag den NKR-Jahresbericht. „Die Bürokratiekosten für die Wirtschaft erreichen schwindelerregende Höhen“, klagte der stellvertretende Hauptgeschäftsführer des Bundesverbands der Deutschen Industrie (BDI), Holger Lösch. Die Flut von Vorgaben sei in der angespannten Wirtschaftslage schwer nachvollziehbar. Lösch forderte: „Das angekündigte Belastungsmoratorium der Bundesregierung muss schnell kommen und spürbar greifen.“

Gefragt sind laut BDI pragmatische ressortübergreifende Vorschläge zur Bürokratieentlastung. Analoge Verwaltungsprozesse seien nicht länger hinnehmbar. Lösch kritisierte: „Allein seit Dezember 2021 wurden mehr als 150 neue Schriftformerfordernisse gesetzt.“

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