Berlin Die Union fordert die Bundesregierung auf, den Start des umstrittenen Lieferkettensorgfaltspflichtengesetzes, das sie selbst mit beschlossen hatte, um zwei Jahre zu verschieben. Die deutsche Wirtschaft sei durch die Nachwirkungen der Coronapandemie und die Folgen des Ukrainekriegs „in ungeahnter Weise belastet“, heißt es in einem entsprechenden Antrag der CDU/CSU-Fraktion.
Diesen will die Fraktion heute beschließen und noch diese Woche in den Bundestag einbringen. Deshalb bedürfe es eines „regulatorischen Innehaltens“, das auch im Sinne des von der Ampelkoalition Ende September beschlossenen Belastungsmoratoriums sei.
Das noch von der Großen Koalition verabschiedete Gesetz legt Unternehmen bestimmte Sorgfaltspflichten auf, damit es bei Zulieferern nicht zu Menschenrechtsverletzungen wie beispielsweise Kinderarbeit kommt. Es tritt ab Januar 2023 zunächst für Firmen mit mindestens 3000 Beschäftigten in Kraft, ein Jahr später sinkt die Mitarbeiterschwelle auf 1000. Die Große Koalition hatte lange um das Gesetz gerungen. Die SPD hätte sich noch strengere Regelungen vorstellen können, war damit aber an der Union gescheitert.
Diese fordert nun, den Start zu verschieben. „Wir stellen nicht das Gesetz infrage“, sagte der Erste Parlamentarische Geschäftsführer der Fraktion, Thorsten Frei (CDU). „Wir sind aber der Auffassung, es nicht zum 1. Januar 2023, sondern zwei Jahre später in Kraft zu setzen.“ Es gehe darum, in der jetzigen Phase die Wirtschaft nicht weiter zu belasten.
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Verbände wie Gesamtmetall hatten sich zuletzt ebenfalls noch einmal für eine Aussetzung des Gesetzes starkgemacht, auch wenn in Wirtschaftskreisen durchaus kritisch angemerkt wird, dass die Forderung in der letzten Sitzungswoche des Bundestags vor dem Jahreswechsel kaum noch Aussicht auf Erfolg haben dürfte.
Hauptgeschäftsführer der Bundesvereinigung der Deutschen Arbeitgeberverbände (BDA), Steffen Kampeter, sagte, dass es schade sei, dass die Politik der mehrfachen Aufforderung nicht gefolgt sei, das Gesetz zu verschieben. „Nun wird das Bürokratiemonster an den realitätsfernen Verwaltungsvorschriften – nicht aber an der mangelnden Bereitschaft der Unternehmen – in der Praxis scheitern.“
Kritik an dem Gesetz
Unionsfraktionsvize Jens Spahn (CDU) kritisiert, dass entgegen der Intention des Gesetzes indirekt auch bereits kleinere und mittlere Unternehmen mit langen Fragebögen traktiert würden. Das passe nicht in eine Zeit ohnehin hoher Belastungen, sagte Spahn. „Wer Zeitenwende sagt, muss auch danach handeln.“ Allerdings hatte es in der Fraktion selbst im Vorfeld Streit über die Forderung nach einer Aussetzung gegeben.
Die Wirtschaft bemängelt vor allem, dass das für die Umsetzung und Kontrolle zuständige Bundesamt für Wirtschaft und Ausfuhrkontrolle (Bafa) das Gesetz sehr weit auslege und die verschickten Fragebögen unnötig bürokratisch seien. Darauf hatten die Präsidenten der Verbände BDI, BDA, DIHK und HDE auch bereits Mitte September in einem Brief an Wirtschaftsminister Robert Habeck (Grüne) hingewiesen, dem das Bafa untersteht.
Diese Verwaltungsvorschriften könnte die Regierung in der Tat noch ändern, während eine Aussetzung des Gesetzes einen Beschluss des Bundestags voraussetzen würde. Das ist angesichts der knappen Frist allerdings unrealistisch.
Die Wirtschaft ist aber auch in Sorge, weil eine Verschärfung der deutschen Lieferkettenregelung durch eine geplante europäische Richtlinie droht. So sollen schrittweise auch Unternehmen mit mehr als 500 Beschäftigten – und in einigen Sektoren – mit mehr als 250 Beschäftigten einbezogen werden.
Auch sehen die EU-Pläne eine zivilrechtliche Haftung bei Menschenrechtsverstößen vor, die auf Druck der Union im deutschen Gesetz wieder gestrichen wurde. Auf eine entsprechende Position hatte sich Anfang Dezember der Rat der EU-Mitgliedstaaten verständigt – mit Zustimmung Deutschlands.
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Dass die Bundesregierung sich auf europäischer Ebene noch für eine Verschärfung der deutschen Vorschriften einsetze, stehe in krassem Widerspruch zum geäußerten Versprechen, die Wirtschaft in Zeiten multipler Krisen vor zusätzlichen Belastungen zu bewahren, kritisiert BDA-Hauptgeschäftsführer Kampeter. „Für einen Teil der Regierung scheint das Belastungsmoratorium offensichtlich nicht zu gelten. Das ist glatter Wortbruch!“
Der Abwehrschirm gegen die wirtschaftlichen Folgen des Ukrainekriegs und das Belastungsmoratorium seien zusammen Beschlusslage der Bundesregierung, sagt dazu der Sprecher für Mittelstand und Freihandel der FDP-Fraktion, Carl-Julius Cronenberg. „Für die FDP ist klar, dass auch das Lieferkettengesetz vom Belastungsmoratorium erfasst ist.“ Die Aussetzung des nationalen Lieferkettengesetzes bis zum Inkrafttreten einer europäischen Lieferkettenrichtlinie sei somit erforderlich.
Dass die Union auf die letzte Minute das Lieferkettengesetz noch stoppen will, hält Cronenberg allerdings für einen durchschaubaren Profilierungsversuch. „Die Union hat das Lieferkettengesetz in ihrer Regierungszeit erst vehement gefordert und dann beschlossen, jetzt will man diese Urheberschaft vertuschen.“
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