Berlin Die Bundesregierung will die Tarifbindung in Deutschland erhöhen und öffentliche Aufträge des Bundes nur noch an Unternehmen vergeben, die sich an Tarifverträge halten. Ein entsprechendes Gesetz haben SPD, Grüne und FDP im Koalitionsvertrag angekündigt. Noch bis zum 23. Dezember können Unternehmen, Verbände oder Gewerkschaften im Rahmen des gestarteten Konsultationsprozesses angeben, wie sie zu dem Vorhaben stehen.
Bei der Linken hat man nichts gegen dieses Gesetz, hält es aber bei Weitem nicht für ausreichend. Der gewerkschaftspolitische Sprecher der Partei, Pascal Meiser, sagt: „Die Bundesregierung muss jetzt endlich ein umfassendes Maßnahmenpaket zur Stärkung der Tarifbindung vorlegen.“ Ein wichtiger Baustein müsse dabei das Verbot von Mitgliedschaften ohne Tarifbindung (OT) in Arbeitgeberverbänden sein.
Einige Arbeitgeberverbände räumen Unternehmen die Möglichkeit ein, auch dann Mitglied zu werden, wenn sie sich nicht einem Tarifvertrag unterwerfen wollen. Vor allem in der Metall- und Elektroindustrie haben die OT-Mitgliedschaften seit der Einführung 2005 deutlich zugenommen.
Lag die OT-Quote bei den Mitgliedsfirmen anfangs nur bei knapp einem Viertel, ist sie mittlerweile auf rund 54 Prozent gestiegen. Auch in anderen Branchen gibt es OT-Mitgliedschaften, auch wenn sie damit nicht so transparent umgehen wie die Metallindustrie.
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Für Meiser wäre ein OT-Verbot ein probates Mittel, die stark gesunkene Tarifbindung in Deutschland zu stärken. Nach Daten des Instituts für Arbeitsmarkt- und Berufsforschung (IAB) war im Jahr 2021 nur noch ein Viertel der Betriebe an einen Branchen- oder Haustarifvertrag gebunden. Bei den Beschäftigten lag die Quote bei 52 Prozent. Die Zahl der Arbeitnehmer, die nach einem Branchentarifvertrag arbeiten, ist seit 1996 im Westen von 70 auf 45 Prozent und im Osten von 56 auf 34 Prozent gesunken.
Tarifbindung gesetzlich umdefinieren?
Eine Trendumkehr ist dringend erforderlich, wenn die Bundesregierung nicht in Konflikt mit der europäischen Richtlinie über angemessene Mindestlöhne geraten will. Denn die sieht auch vor, dass EU-Staaten mit weniger als 80 Prozent Tarifbindung bei den Beschäftigten einen Aktionsplan vorlegen müssen, wie sie die Verbreitung von Tarifverträgen fördern wollen.
Vor der Problematik der OT-Mitgliedschaften scheine die Bundesregierung aber die Augen verschließen zu wollen, kritisiert Meiser. In der Antwort auf eine schriftliche Frage des Linken-Abgeordneten schreibt das Bundesarbeitsministerium sogar, keine Kenntnis über die Verbreitung von OT-Mitgliedschaften in der Metall- und Elektroindustrie zu haben, obwohl die Zahlen öffentlich einsehbar sind.
Die Zurückhaltung könnte auch darin begründet liegen, dass Gerichte bis hinauf zum Bundesarbeits- und Bundesverfassungsgericht OT-Mitgliedschaften für rechtmäßig erklärt hatten, wenn bestimmte Grenzen eingehalten werden. So dürfen OT-Mitglieder beispielsweise keinen Einfluss auf tarifpolitische Entscheidungen nehmen.
Die Linke führt dagegen ein von ihr in Auftrag gegebenes Gutachten des Bremer Arbeitsrechtlers Wolfgang Däubler ins Feld. Er kommt zu dem Schluss, dass ein Ausschluss von OT-Mitgliedschaften für eine Stärkung der Tarifbindung förderlich wäre. Rechtliche Bedenken, die einem gesetzlichen Verbot entgegenstehen, sieht er nicht.
Bei Gesamtmetall beurteilt man die Sache entschieden anders. Hauptgeschäftsführer Oliver Zander sagte: „Der Angriff auf die OT-Mitgliedschaften ist nicht neu.“ Doch die Gerichte hätten dazu alles entschieden und die Zulässigkeit der OT-Mitgliedschaften mit der vom Grundgesetz garantierten Koalitionsfreiheit zutreffend begründet.
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Diese beinhaltet das Recht, Arbeitgeberverbände und Gewerkschaften zu gründen und sich ihnen anzuschließen, aber – im negativen Sinne – auch das Recht, diesen Vereinigungen fernzubleiben. Däublers Vorschlag, die Tarifbindung gesetzlich umzudefinieren, sei ein Verstoß gegen diese negative Koalitionsfreiheit, kritisiert Zander.
Möglichkeit besteht, das Thema auf die Agenda zu setzen
Der Bremer Arbeitsrechtler schlägt in seinem Gutachten unter anderem eine gesetzliche Neuregelung vor. Nach dieser gilt ein Zusammenschluss von Arbeitgebern, der sich die Wahrnehmung von Arbeitgeberinteressen gegenüber den Arbeitnehmern und ihren Vertretern zur Aufgabe macht, automatisch als tariffähig. So soll ein Verzicht auf die Tariffähigkeit ausgeschlossen werden. Auch sollten Arbeitgeberverbände verpflichtet werden, der Gewerkschaft mitzuteilen, welche Unternehmen bei ihnen Mitglied sind.
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Eine solche einseitige Forderung, lediglich Verbandsmitgliedschaften mitteilen zu müssen, sei abzulehnen, sagt Gesamtmetall-Hauptgeschäftsführer Zander dazu. Und eine Pflicht, auch die Mitgliedschaft in einer Gewerkschaft mitteilen zu müssen, werde der Deutsche Gewerkschaftsbund (DGB) sicher nicht wollen.
Eine Möglichkeit, das Thema OT-Mitgliedschaften noch auf die Agenda zu setzen, sieht die Bundesregierung dann allerdings doch. In seiner Antwort an den Linken-Abgeordneten Meiser verweist das Arbeitsministerium darauf, dass bei der Erstellung des Aktionsplans zur Umsetzung der EU-Mindestlohnrichtlinie auch ein Konsultationsverfahren mit Arbeitgebern und Gewerkschaften vorgesehen sei. „In diese Dialogverfahren kann von den Sozialpartnern auch das Thema ,OT-Mitgliedschaft‘ eingebracht werden.“
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