Die abgesetzte Vizepräsidentin des Europäischen Parlaments gilt als Schlüsselfigur in der Affäre.
Brüssel Der Versuch des Emirats Katar, sein Image in Europa aufzupolieren, ist nach hinten losgegangen. Seitdem am Wochenende bekannt wurde, dass der Golfstaat Abgeordnete und Mitarbeiter des Europaparlaments mit Schmiergeldern bestochen haben soll, macht sich in Brüssel und Straßburg eine Anti-Katar-Stimmung breit.
Am Donnerstag will das Europaparlament eine fraktionsübergreifende Resolution beschließen. Im Entwurf heißt es, man verurteile die mutmaßliche Einflussnahme Katars auf das Schärfste. Die Abgeordneten fordern, alle Zugangskarten für katarische Interessenvertreter zum Parlamentsgebäude umgehend zu sperren. Auch soll jegliche parlamentarische Arbeit zu Katar gestoppt werden. Da der Text von den Fraktionen gemeinsam formuliert wurde, ist eine breite Mehrheit sicher.
Parlamentspräsidentin Roberta Metsola hatte Anfang der Woche den Ton gesetzt, als sie im Plenum erklärte, man werde sich gegen böswillige Akteure im Ausland zur Wehr setzen. Die geplante Visaliberalisierung für katarische Staatsbürger, die das Parlament beschließen wollte, wurde bereits zur Prüfung in den Ausschuss zurückverwiesen.
Zugang für Qatar Airways wird überprüft
Die Vorsitzende des Verkehrsausschusses, die französische Grüne Karima Delli, stellte obendrein das EU-Luftfahrtabkommen mit Katar infrage. Wie das Nachrichtenportal „Politico“ berichtete, schrieb Delli an ihre Kollegen im Ausschuss, dass man das Abkommen noch einmal prüfen müsse.
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Der Deal, der dem Staatsunternehmen Qatar Airways Direktflüge an jeden europäischen Flughafen erlaubt, war im vergangenen Jahr verkündet worden, muss aber noch ratifiziert werden. Europäische Fluggesellschaften hatten sich gegen die neue Konkurrenz gewehrt und vor unlauterem Wettbewerb auf den Fernostrouten gewarnt.
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Das Europaparlament will am Donnerstag auch einen Untersuchungsausschuss einsetzen, um den Skandal aufzuklären. Anders als Untersuchungsausschüsse im Bundestag haben solche Ausschüsse im Europaparlament jedoch nicht die Befugnis, Zeugen vorzuladen und Aussagen unter Eid zu hören.
Ermittler stellen 1,5 Millionen Euro Bargeld sicher
Unterdessen kommen immer neue Details ans Licht. Belgische Ermittler haben seit dem Wochenende rund anderthalb Millionen Euro Bargeld bei verschiedenen Personen im Umfeld des Europaparlaments sichergestellt. Das teilte die Bundespolizei mit und veröffentlichte Fotos der sichergestellten Bargeldbündel.
Vier Beschuldigte sitzen weiterhin in Untersuchungshaft. Die prominenteste ist die griechische Abgeordnete Eva Kaili, die am Dienstag von ihrem Posten als Vizepräsidentin des Europaparlaments abgesetzt wurde. Die anderen drei sind keine Parlamentarier: Kailis Freund Francesco Giorgi arbeitet als Assistent im Europaparlament. Der ehemalige Europaabgeordnete Antonio Panzeri leitet die Nichtregierungsorganisation Fight Impunity. Und Niccolo Figa-Talamanca arbeitet bei der Nichtregierungsorganisation No Peace without Justice.
Eigentlich sollte Kaili am Mittwoch erstmals vor Gericht erscheinen, doch aufgrund eines Streiks in ihrem Gefängnis kam es nicht dazu. Der Termin wurde auf kommende Woche vertagt.
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Im Parlament wird erwartet, dass die Korruptionsaffäre noch weitere Kreise zieht. Inzwischen lassen neben Kaili vier weitere sozialdemokratische Abgeordnete ihre Arbeit ruhen, während Ermittlungen gegen ihre Mitarbeiter laufen. Dabei handelt es sich um die Belgier Marc Tarabella und Maria Arena sowie um die Italiener Pietro Bartolo und Andrea Cozzolino. Die Büros der Parlamentarier und Mitarbeiter wurden zur Beweissicherung versiegelt.
Im besonderen Fokus von Staatsanwalt Michel Claise steht der Menschenrechtsausschuss des Europaparlaments. Panzeri war bis 2019 dessen Vorsitzender, seine ehemaligen Mitarbeiter sind weiter in der Fraktion beschäftigt. Panzeris Nachfolgerin Arena hat gleich nach Bekanntwerden des Skandals den Ausschussvorsitz niedergelegt.
Es handele sich offenbar um ein Netzwerk, das Panzeri aufgebaut habe, sagt der SPD-Abgeordnete Jens Geier. Er rechnet mit weiteren Enthüllungen. Es sei „nicht plausibel“, dass ein Staat nur Abgeordnete aus einer Fraktion besteche.
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Auch die Grünen-Abgeordnete Hannah Neumann erwartet, dass der Skandal sich noch ausweitet. „Ich kann mir nicht vorstellen, dass Katar diesen Aufwand betreibt, um nur eine einzige Abgeordnete zu bestechen“, sagt sie. Man dürfe jetzt aber nicht jeden Abgeordneten, der prokatarische Positionen vertrete, „unter Generalverdacht stellen“.
Europaparlament will Lobbyregeln verschärfen
Im Europaparlament wird nun über eine Verschärfung der Lobbyregeln debattiert. In der Resolution am Donnerstag fordern die Abgeordneten, dass auch Treffen mit ausländischen Regierungsvertretern künftig im Transparenzregister vermerkt werden sollen. Bislang war dies nur für Vertreter von Unternehmen und Organisationen der Fall.
Auch wiederholt das Parlament seine Aufforderung an die Kommission, eine unabhängige Ethikbehörde für alle EU-Institutionen einzurichten. Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen hatte das diese Woche bereits zugesagt. Auch das Transparenzregister soll personell aufgestockt und mit mehr Befugnissen ausgestattet werden.
Manchen Abgeordneten gehen die Reformen nicht weit genug. Die Grünen-Politikerin Neumann sagt: „Es gibt Graubereiche, wo man sich jetzt fragt, sollte das so sein oder nicht. Dass Abgeordnete sich Dienstreisen von ausländischen Botschaften bezahlen lassen, finde ich politisch schwierig.“ Sie plädiert dafür, die Kostenübernahme durch Drittstaaten zu verbieten. Dann müsse es aber auch möglich sein, Einzeldienstreisen über das Parlament zu finanzieren. Bisher hat jeder Abgeordneter ein Jahresreisebudget von 4000 Euro.
Mehr: Transparency-Europachef: „Es geht hier wahrscheinlich um die Spitze des Eisbergs.“
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