Dec 16, 2022
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EU: Das wichtigste Klimagesetz der Welt nähert sich der Fertigstellung

Written by Christoph Herwartz

Brüssel Nie waren die Energiepreise in Europa so hoch wie in diesem Jahr. Trotzdem will die EU am Kern ihres Klimaschutzprogramms festhalten, bei dem es darum geht, den Verbrauch fossiler Energie noch teurer zu machen.

Spüren werden das Unternehmen und Verbraucher erst in einigen Jahren. Trotzdem staunen Beobachter darüber, dass die Gesetzgebung nun tatsächlich ihre letzte Stufe erreicht hat.

Die entscheidende Maßnahme ist die Reform des europäischen Emissionshandels. Durch sie soll bis 2030 etwa 25 Mal so viel CO2 eingespart werden wie durch das Verbot des Verbrennungsmotors.

Damit die Gesetze dafür verabschiedet werden können, braucht es eine Einigung zwischen EU-Parlament und EU-Mitgliedstaaten, die an diesem Freitag und Samstag darüber verhandeln werden. „Wenn die Verhandlungen erfolgreich sind, wird das weltweit beachtet werden“, sagt Matthias Buck, der das Brüsseler Büro des Thinktanks Agora Energiewende leitet. „Europa hat jetzt die Chance, seine Führungsrolle im Klimaschutz zu verteidigen.“

Doch ein Scheitern ist möglich. Sechs Verhandlungsrunden gab es, bei denen bisher nur vergleichsweise kleine Fortschritte erzielt wurden. „Wir haben die ganzen heiklen Punkte noch gar nicht aufgerufen“, sagt der Grünen-Politiker Michael Bloss, der aufseiten des Parlaments an den Gesprächen teilnimmt. „Denn die Gegenseite hat in diesen Punkten überhaupt keine Verhandlungsbereitschaft erkennen lassen.“

Ein Überblick über die wichtigsten zu klärenden Fragen:

Ausgeweiteter Emissionshandel

Industrieunternehmen, deren Produktion CO2 verursacht, müssen dafür Zertifikate kaufen. Da die Zertifikate von Jahr zu Jahr verknappt werden, sind die Unternehmen gezwungen, ihren CO2-Ausstoß zu senken. Die Zertifikate lassen sich im ETS („Emission Trading System“) handeln. 

Dieses Prinzip soll laut ursprünglichem Vorschlag der EU-Kommission künftig auch auf Privatleute und kleine Unternehmen übertragen werden: Wenn sie Benzin oder Diesel tanken oder mit Öl oder Gas heizen, sollen darauf CO2-Abgaben fällig werden. Die Rede ist vom „ETS2“. Diese eigentlich simple Idee droht zu einem bürokratischen Albtraum zu werden.

Im Parlament war es umstritten, ob man private Verbraucher wirklich mit zusätzlichen Abgaben belasten sollte und nicht stattdessen die Industrie mehr zahlen sollte. Darum einigten sich die Abgeordneten auf einen komplizierten Kompromiss: Unternehmen sollen den CO2-Preis zahlen, Private aber nicht.

Schornsteine einer Raffinerie

Die kostenlosen CO2-Zertifikate laufen 2032 aus.


(Foto: imago images/Future Image)

Der Kompromiss führt zu erheblichen Problemen, etwa wenn sich in einem Haus mit Zentralheizung sowohl Wohnungen als auch Geschäfte befinden. An den Tankstellen müsste der Kassierer danach fragen, ob ein Privatauto oder ein Dienstwagen betankt wurde – und auf die Ehrlichkeit seiner Kunden setzen. 

>> Lesen Sie hier: Keine europaweite CO2-Abgabe für Privatleute – Zwei Preise an der Zapfsäule möglich

Die Mitgliedstaaten vertreten eine andere Position: Sie wollen zwar Privatleute einbeziehen, die Prozesswärme kleiner Unternehmen aber nicht. Eine Bäckerei dürfte das Gas für ihren Ofen also günstig beziehen, müsste aber für die Heizung ihres Cafés den CO2-Preis zahlen. Wie das genau abgerechnet werden soll, ist bislang unklar.

Klimaschützer hoffen darauf, dass am Wochenende alle Ausnahmen gestrichen werden, womit jeder Liter Benzin und jede Kilowattstunde Gas mit dem gleichen CO2-Preis belegt würde.

Peter Liese (CDU), Verhandlungsführer des Parlaments, erhofft sich eine unkomplizierte Regelung. „Sowohl das Ratsmandat, als auch das Parlamentsmandat bringen Probleme in der Umsetzung“, sagte er. „Deswegen wäre es mir persönlich am liebsten wir machen es so breit wie möglich und damit so einfach wie möglich.“ Erst einmal hat Liese aber den Auftrag, so viel wie möglich aus der komplizierten Position des Parlaments in das finale Gesetz einzubringen.

Klima-Sozialfonds

Die Einnahmen aus dem ETS2 sollen zum Teil in einen neuen Klima-Sozialfonds fließen, mit dem Geringverdienern dabei geholfen werden soll, ihre Häuser zu isolieren, sparsame Heizungen anzuschaffen und Elektroautos zu kaufen. Wenn die EU Brennstoffe teurer macht, muss sie auch dabei helfen, Alternativen zu finden – so die Idee.

>> Lesen Sie hier: Wie der Klima-Sozialfonds funktionieren soll

Da es in dieser Frage um viel Geld geht, war Streit abzusehen. Die Mitgliedstaaten wollen die Einnahmen lieber selbst verplanen, während das Parlament einen starken Sozialfonds will, dessen Gelder nach EU-Regeln vergeben werden. Auch zwischen den Staaten gibt es Uneinigkeit: Der Fonds würde Einnahmen aus reichen in ärmere Länder umverteilen. Dagegen wehren sich diejenigen, die mehr einzahlen würden, als sie herausbekommen.

Grünen-Parlamentarier Bloss warnt davor, den Klima-Sozialfonds nach Vorstellung der Mitgliedstaaten zu schrumpfen: „Der ETS2 wird bei den Bürgern extrem unbeliebt sein“, sagt er. „Wenn wir das Geld nicht wenigstens dafür verwenden, ärmeren Menschen zu helfen, riskieren wir die Akzeptanz der ganzen Reform.“

Verschärfter Emissionshandel

Der größte Nutzen der Reform für das Klima ist, dass die Industrie mehr CO2 einsparen muss als bislang. Derzeit sinkt die Zahl ausgegebener Zertifikate jedes Jahr um 2,2 Prozent. Künftig sollen es 4,2 Prozent sein. Außerdem sollen Millionen von Zertifikaten direkt aus dem Markt genommen werden. Jede Änderung bei der Zahl der Zertifikate kann enorme Kosten für die Industrie bedeuten und gleichzeitig sehr große Mengen CO2 einsparen.

Gleiches gilt für den Wegfall freier Zuteilungen: Viele Branchen bekommen bislang kostenlos CO2-Zertifikate, weil sie im internationalen Wettbewerb stehen und durch den CO2-Preis einen Nachteil hätten. Das soll künftig nur noch in Ausnahmefällen wie in der Chemie der Fall sein.

Andere Branchen, darunter Stromproduzenten und die Stahlindustrie, sollen keine freien Zertifikate mehr bekommen. Stattdessen soll auch auf importiere Güter wie Strom und Stahl im Rahmen eines „CO2-Grenzausgleichs“ ein CO2-Preis erhoben werden.

Stahlwerk in Salzgitter

Für die Stahlindustrie ist die Frage der freien Zuteilung von Emissionszertifikaten für exportierte Güter besonders relevant.



(Foto: dpa)

Unter dem Strich würde damit innerhalb der EU wieder ein fairer Markt entstehen. Eine grundsätzliche Einigung dazu gab es bereits am vergangenen Dienstag. Geklärt werden muss noch, wie schnell die freien Zuteilungen auslaufen.
>> Lesen Sie hier: RWE verdient kräftig am Weiterbetrieb von zwei Braunkohleblöcken

Exporthilfen für Stahl- und Aluminiumindustrie

Für die Stahl- und Aluminiumbranche ist nicht nur entscheidend, dass sie durch den CO2-Grenzausgleich vor Billigkonkurrenz aus dem Ausland geschützt werden. Sie wollen auch weiterhin ihre Waren unter fairen Bedingungen auf dem Weltmarkt anbieten können. Die Hersteller fordern darum, dass sie für die Produkte, die sie exportieren, weiterhin keine CO2-Zertifikate kaufen müssen.

Müssten sie bezahlen, würde ihr Exportgeschäft wohl zusammenbrechen. Das sehen auch Klimaschützer so: „Für den Export braucht es weiterhin freie Zuteilungen“, sagt Buck von Agora Energiewende. „Das ist die einzige Ausnahme, die dauerhaft bestehen bleiben sollte.“ Ein solches Verhandlungsergebnis deutet sich an, ist aber noch nicht sicher.

Mehr: EU einigt sich auf gefürchtetes Klimaschutzinstrument – Verbände warnen vor Schäden an Industrie.



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Politik

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