Dec 21, 2022
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Schattenwirtschaft: Die Schwarzarbeit kehrt zurück – aus Sicht von Ökonomen hat das nicht nur Nachteile

Written by Heike Anger


Berlin Schwarzarbeit und andere Formen der Schattenwirtschaft dürften in diesem Jahr in Deutschland deutlich zulegen. Das geht aus Berechnungen des Linzer Finanzwissenschaftlers Friedrich Schneider hervor, die dem Handelsblatt vorliegen.

Schneider rechnet mit einem Anstieg der Schattenwirtschaft gegenüber dem Vorjahr um 22,1 Milliarden Euro auf 360,31 Milliarden Euro. Das entspricht 10,1 Prozent des Bruttoinlandsprodukts (BIP).

Ursprünglich hatte Schneider zu Jahresbeginn ein Absinken der Schwarzarbeit in diesem Jahr auf 326 Milliarden Euro errechnet. „Doch Energiekrise und hohe Inflationsraten haben dieses Ergebnis umgedreht“, sagt der Ökonom. Wenn Beschäftigte mit ihrem regulären Verdienst nicht mehr auskommen, steigt der Anreiz zur Schwarzarbeit. In einer aktuellen Erwerbspersonenbefragung des gewerkschaftsnahen Forschungsinstituts WSI stuften 27 Prozent der Befragten ihre aktuelle finanzielle Situation als stark oder äußerst belastend ein.

Zur Schattenwirtschaft zählt Schneider neben der Schwarzarbeit beispielsweise auch Prostitution, Drogenhandel oder Hehlerei. Aus verschiedenen Daten ermittelt er den Anteil der Schwarzarbeit an der Wirtschaftsleistung in Deutschland.

Schneiders Zahlen passen auch zu einer Antwort des Bundesfinanzministeriums auf eine Anfrage des SPD-Abgeordneten Bernhard Daldrup. Demnach hat die Finanzkontrolle Schwarzarbeit (FKS) im ersten Halbjahr allein in der Bauwirtschaft 9251 Ermittlungsverfahren eingeleitet – etwa ein Fünftel mehr als im Vorjahreszeitraum.

Warum Schwarzarbeit nicht nur Nachteile hat

Auch für die Grünen-Arbeitsmarktexpertin Beate Müller-Gemmeke ist klar: Die Menschen spürten die Preissteigerungen infolge des russischen Angriffskriegs gegen die Ukraine. Sie sagte dem Handelsblatt: „Das rechtfertigt aber keine Schwarzarbeit.“ Denn diese schade durch hinterzogene Steuern dem Staat – und das, obwohl die Bürger gerade um bis zu 300 Milliarden Euro entlastet würden.

Ökonom Schneider warnt jedoch davor, in Krisenzeiten zu hart gegen Schwarzarbeit vorzugehen. Denn sie sei eine bedeutende Form von zusätzlicher volkswirtschaftlicher Wertschöpfung. „Die stark gestiegene Schwarzarbeit hat in diesem Jahr auch viele Menschen vor dem Abgleiten in die Armut geschützt, da fast alle beträchtliche Einkommensverluste durch die hohe Inflation und die stark gestiegenen Energiekosten hatten“, sagt Schneider.

Über 80 Prozent gäben zudem das heimlich verdiente Geld sofort wieder aus. Das habe auch die Konjunktur stabilisiert und einen Teil der Steuerverluste über zusätzliche Mehrwertsteuereinnahmen wieder kompensiert. „Natürlich sind Tätigkeiten in der Schattenwirtschaft nicht legal und sollten mit anreizorientierten Maßnahmen bekämpft werden“, so Schneider. Aber Strafen wirkten nur sehr bedingt und seien häufig nicht vollziehbar.

Die Bundesregierung hat dagegen den Kampf gegen Schwarzarbeit in den vergangenen Jahren intensiviert. Schwarzarbeit und illegale Beschäftigung hätten „gravierende Beitragsausfälle in der Sozialversicherung und Ausfälle bei den Steuereinnahmen zur Folge“, heißt es im jüngsten Regierungsbericht zum Thema. Sie verminderten zudem die Schutzrechte und Sozialleistungsansprüche der Betroffenen und beeinträchtigten den marktwirtschaftlichen Wettbewerb.

Mit Sonderprüfungen nehmen die Fahnder des Zolls deshalb immer wieder besonders anfällige Branchen ins Visier. In Hessen etwa gelang einer Sonderkommission Mitte des Jahres ein schwerer Schlag gegen einen Schwarzarbeiterring: In einer groß angelegten Durchsuchung gingen mehr als 500 Einsatzkräfte gegen organisierte Schwarzarbeit im Baugewerbe vor. Die Täter sollen über Jahre hinweg Bauaufträge in Millionenhöhe schwarz ausgeführt haben.

Für die Industriegewerkschaft Bauen-Agrar-Umwelt (IG Bau) ist das Problem weit größer. „Schwarzarbeit und illegale Beschäftigung gehören zum Alltag auf dem Bau“, sagt Vorstandsmitglied Carsten Burckhardt. „Immer häufiger haben wir es hier mit Strukturen von organisierter Kriminalität zu tun.“ Elf Prozent der insgesamt knapp 83.000 Verfahren über alle Branchen hinweg entfielen nach Zahlen des Bundesfinanzministeriums auf den Baubereich. Die dort ermittelte Schadensumme lag bei 161 Millionen Euro.

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IG-Bau-Vorstand Burckhardt warnt vor einer weiteren Zunahme illegaler Machenschaften: „Die hohe Inflation, steigende Bauzinsen, hohe Material- und Energiekosten – alles führt zu einem wachsenden Kostendruck auf dem Bau.“ Unseriöse Firmen würden deshalb jetzt erst recht versuchen, ihre Kosten durch Lohndumping sowie die Hinterziehung von Steuern und Sozialabgaben zu senken.

Wer in der Baubranche einen Verdacht auf Schwarzarbeit hat, kann sich über ein Onlineformular oder per Mail an die Berufsgenossenschaft Bau (BG Bau) wenden. Im Jahr 2020 passierte das in 1700 Fällen, ein Jahr später waren es 2300. Rund 90 Prozent der Meldungen werden an Behörden wie den Zoll weitergeleitet.

Was die Politik gegen Schwarzarbeit tut

Die Politik nimmt für sich in Anspruch, schon viel zur Bekämpfung der Schwarzarbeit und der Schattenwirtschaft getan zu haben. Die vielen getroffenen Maßnahmen verdeutlichten „die weiterhin hohe Bedeutung der Bekämpfung der Schwarzarbeit und illegalen Beschäftigung für die Bundesregierung“, heißt es im jüngsten Regierungsbericht, der alle vier Jahre erscheint.

So gilt etwa seit November 2019 mit dem sogenannten Paketboten-Schutz-Gesetz die Generalunternehmerhaftung nicht mehr nur am Bau und in der Fleischverarbeitung, sondern auch in der Paketbranche. Ein Unternehmer, der Subunternehmen mit der Auslieferung beauftragt, haftet, wenn diese die Sozialversicherungsbeiträge nicht ordnungsgemäß abführen. Die Bundesregierung hatte das Gesetz auch damit begründet, dass sich nach Erkenntnissen der Zollverwaltung in den oft langen Subunternehmerketten teils kriminelle Strukturen gebildet hätten.

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Außerdem hat die Regierung 2019 das Schwarzarbeitsbekämpfungsgesetz verschärft. Neben einer Aufstockung der FKS, die Schwarzarbeit aufdecken soll und in diesen Tagen etwa auf Weihnachtsmärkten die Stände kontrolliert, gibt das Gesetz den Ermittlern zusätzliche Kompetenzen. Sie können etwa auch auf dem sogenannten „Arbeiterstrich“ kontrollieren, noch bevor die Tagelöhner auf einer Baustelle oder anderswo eingesetzt werden.

Im Jahr 2021 hatte die Finanzkontrolle Schwarzarbeit mehr als 48.000 Arbeitgeber geprüft und mehr als 120.000 Strafverfahren eingeleitet. Zudem wurden Steuer- und Sozialversicherungsschäden von fast 790 Millionen Euro ermittelt und illegal erwirtschaftetes Vermögen in Höhe von 66,8 Millionen Euro abgeschöpft. Doch trotz aller Bemühungen deckt der Staat nur einen geringen Anteil der Schwarzarbeit auf.

Kritiker führen das auf eine weiter unzureichende Kontrolldichte zurück. So bemängelte die Linkspartei in einem Bundestagsantrag, dass die Zahl der durch die FKS geprüften Arbeitgeber im Jahr 2021 wieder leicht gestiegen sei, aber immer noch unter dem Niveau des Vor-Corona-Jahres 2019 gelegen habe.

Auch Grünen-Arbeitsmarktexpertin Beate Müller-Gemmeke fordert, die FKS müsse effektiv kontrollieren: Denn Schwarzarbeit gehe vor allem auch zulasten der ehrlichen Unternehmen. „Und für die ist das in wirtschaftlich nicht einfachen Zeiten ein echtes Problem.“

Beamter der Finanzkontrolle Schwarzarbeit in der Küche eines Restaurants

Kritiker bemängeln eine zu geringe Kontrolldichte durch den Zoll.


(Foto: imago/photothek)

Finanzwissenschaftler Schneider beschäftigt sich bereits seit 1997 mit der Schattenwirtschaft. Im Jahr 2003 hat die Schattenwirtschaft nach seinen Berechnungen einen Höchststand erreicht. 370 Milliarden Euro an illegaler Beschäftigung flossen am Fiskus vorbei, das entsprach damals einem Anteil von 16,7 Prozent gemessen am Bruttoinlandsprodukt.

>> Lesen Sie hier: DIW-Studie: Vielen Menschen wird der Mindestlohn weiter vorenthalten

Seitdem ist die Schwarzarbeit in Deutschland tendenziell rückläufig. Den Tiefpunkt erreichte sie im Jahr 2019 mit einem Anteil von 9,3 Prozent. Im vergangenen Jahr lag das Volumen der Schwarzarbeit in Deutschland laut den Schätzungen der Forscher bei 338 Milliarden Euro. Der Anteil am BIP betrug 9,5 Prozent. Wesentliche Gründe für den Rückgang waren die gute Arbeitsmarktlage sowie steigende Löhne. Ohne Krise wäre der Anteil der Schwarzarbeit an der Volkswirtschaft auf unter neun Prozent gesunken.

Schneider bezieht in sein Rechenmodell unter anderem die Steuerbelastung, die geleisteten Sozialversicherungsbeiträge, das verfügbare Einkommen, die offizielle Erwerbsquote und die effektiv geleistete Arbeitszeit ein. Der Forscher betont, dass es sich bei seinen Zahlen um eine Schätzung handelt.

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Da Schattenwirtschaft im Geheimen stattfindet, lässt sich ihr Ausmaß naturgemäß nur abschätzen. Hinweise finden sich aber direkt, etwa über Befragungen oder Ermittlungsverfahren zur Steuerhinterziehung, oder indirekt, etwa wenn es eine Diskrepanz bei den Einnahmen und Ausgaben der Haushalte gibt oder besonders viele große Banknoten im Umlauf sind.

Anlässlich der großen Korruptionsfälle in Österreich und dem EU-Parlament hat Schneider neben dem Schaden durch Schwarzarbeit auch den Schaden durch Korruption für die deutsche Volkswirtschaft ermittelt. Demnach betrug der volkswirtschaftliche Schaden nach vorläufigen Berechnungen im Vorjahr 234,1 Milliarden Euro. Im Jahr 2020 hatte der Schaden noch 221,2 Milliarden Euro betragen.

Mehr: Ukrainische Ökonomin im Interview: „Die Schattenwirtschaft rettet das Land immer wieder vor dem Kollaps“



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