Dec 25, 2022
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Lebensmittel: Der Nutri-Score könnte Pflicht werden – aber es gibt Konkurrenz

Written by Christoph Herwartz


Nutri-Score

Das französische Label hat die besten Chancen, zur Grundlage für ein EU-weites System zu werden.


(Foto: dpa)

Brüssel Mehr als jeder zweite erwachsene Europäer hat Übergewicht. Die EU schätzt, dass jedes Jahr 950.000 Todesfälle auf eine schlechte Ernährung zurückzuführen sind. 

Das große Problem könnte mit einer relativ schlichten Maßnahme verkleinert werden: Eine leicht verständliche Grafik auf Lebensmittelverpackungen soll den Konsumenten signalisieren, wie sich das Produkt auf ihre Gesundheit auswirken könnte. 

Die EU-Kommission arbeitet derzeit an Vorgaben dafür. Eigentlich war ein Gesetzesvorschlag dazu bis Ende 2022 angekündigt. Verbraucherorganisationen und Politiker machen Druck, dass Gesundheitskommissarin Stella Kyriakides nun bald etwas vorlegt.

„Die Etiketten auf den Nahrungsmitteln lügen heutzutage oft oder sind zumindest unvollständig und irreführend“, sagt die österreichische Köchin und Europaabgeordnete der Grünen, Sarah Wiener. „Eine verpflichtende Kennzeichnung von Ursprung und Inhalt der Nahrungsmittel ist da das Mindeste, was man der global agierenden Industrie zumuten kann.“

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Nicht nur die Verbraucher würden durch ein leicht verständliches Label wahrscheinlich ihr Verhalten ändern. Die Diskussion über eine bessere Nährwertkennzeichnung könnte schon dazu geführt haben, dass einige Lebensmittelunternehmen ihre Rezepte gesünder gemacht haben, heißt es in einer ersten Folgenabschätzung der EU-Kommission. „Ein europaweit verpflichtendes Label wäre ein Gamechanger für die Verbraucher“, sagt Patrick Stockebrandt vom Centrum für Europäische Politik. 

Streit gibt es darüber, ob die EU eines der vielen bestehenden Kennzeichnungssysteme übernehmen oder abändern sollte oder ob es einen ganz neuen Ansatz gibt. 

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Drei Systeme spielen in der Diskussion die größte Rolle: 

  • Der Nutri-Score, der von Frankreich entwickelt wurde und von vielen westeuropäischen Regierungen befürwortet wird. Seine Formel legt für fast alle verpackten Lebensmittel eine Note von A bis E fest, die mit einer Farbskala von grün bis rot verbunden ist. 

  • Nutrinform ist die Konkurrenz aus Italien, die keine Bewertung vornimmt, sondern nur schnell erkennbar die enthaltenen Nährwerte anzeigt. Das Label ist nicht besonders weit verbreitet, die enthaltenen Informationen finden sich aber schon jetzt auf vielen Verpackungen. 

  • In Schweden kennzeichnet ein grünes Schlüsselloch-Symbol die jeweils gesündesten Produkte aus 32 Lebensmittelkategorien. Auch andere skandinavische Länder setzen darauf. 

Verbraucherschützer drängen darauf, eines dieser Labels verpflichtend zu machen, damit ungesunde Lebensmittel erkennbarer werden. „Wir setzen große Hoffnungen in den kommenden EU-Vorschlag für eine solche Kennzeichnung“, sagt Emma Calvert, Vertreterin der europäischen Verbraucherorganisation Beuc. 

Die Kriterien der Verbraucherschützer: Das Label soll Produkte auf einfache Art vergleichbar machen, es soll verpflichtend sein, eine Farbskala zeigen, sich auf einheitliche Portionsgrößen beziehen und von unabhängigen Wissenschaftlern ohne wirtschaftliche Interessen erarbeitet werden. 

Fruchtsaft

Saft ist ein Naturprodukt, erhält meist aber zu viel Zucker, um beim Nutri-Score die Note A zu bekommen.


(Foto: imago images/imagebroker)

„Das Nutri-Score-Label erfüllt alle diese Kriterien“, sagt Calvert. Studien in verschiedenen Ländern hätten seinen positiven Effekt bereits nachgewiesen. 

Die großen europäischen Gesundheitsorganisationen gehen in eine ähnliche Richtung: Auf jeden Fall solle ein Label „interpretativ“ sein, schrieben sie in einem Brief an die Abgeordneten des Europaparlaments. Das heißt, das Label soll eine Bewertung anzeigen, ob ein Lebensmittel gesund ist oder nicht. Der Verbraucher soll sich diese Information nicht selbst herleiten müssen. 

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Doch diverse Streitpunkte machen es für die EU-Kommission schwierig, einen solchen Gesetzesvorschlag vorzulegen: 

  • Neben den Nährwertangaben können andere Kriterien eine Rolle spielen, die der Nutri-Score nicht berücksichtig. „Ich würde natürlich produzierten Fruchtsaft immer einem Getränk mit Süßungsmitteln vorziehen“, sagt Christine Schneider, Europaabgeordnete der CDU. „Aber der Nutri-Score gibt dem Saft wegen des Zuckergehalts eine schlechtere Note.“

  • Andere Lebensmittel wie Käse und Olivenöl kommen beim Nutri-Score auch schlecht weg, obwohl sie im Algorithmus schon besonders bedacht sind. Dabei können sie in kleinen Mengen sogar gesundheitsförderlich sein. Der Nutri-Score geht aber von immer gleichen Portionsgrößen aus. 

  • Hinzu kommt, dass die EU nicht nur an einem Nährwertlabel arbeitet, sondern auch an Labels zu Tierschutz, regionaler Herkunft und ökologischen Auswirkungen. „Irgendwann kann man das Produkt nicht mehr erkennen, weil die Packung, überspitzt gesagt, nur noch aus Label besteht. Besser wäre es dann, zum Beispiel mit QR-Codes zu arbeiten“, sagt Stockebrandt. 

  • Die Hersteller fordern, dass die Kennzeichnung freiwillig bleibt, schon mit Rücksicht auf eingeführte Systeme wie das Schlüsselloch-Symbol in Schweden. 

Beim EU-Agrarministertreffen im Dezember führten diese Fragen zu Streit. Viele Länder wollen die Berechnung des Nutri-Score weiterentwickeln und das Label europaweit verpflichtend machen. 

Doch dagegen wehrten sich die Minister von Italien, Griechenland und Portugal vehement. Den Hintergrund sieht Stockebrandt in nationalen Interessen: „Wenn Verbraucher in ganz Europa weniger Öl und Käse konsumieren, ist das für die Hersteller in südlichen Ländern fatal“, sagt er. 

CDU-Agrarexpertin Schneider schlägt vor, die Probleme digital anzugehen: „Statt immer mehr Informationen auf die Packungen zu drucken, könnten die Kunden in einer App ihr eigenes Ernährungsprofil einstellen und individuell darüber informiert werden, welche Lebensmittel sie brauchen.“

Ihre Kollegin von den Grünen sieht das ganz anders: „Es gibt ein Menschenrecht auf ein ausschließlich analoges Leben“, sagt Köchin Wiener. „Die Information muss daher auch immer analog verfügbar sein und nicht nur digital.“

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Politik

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