Berlin Peking und Shanghai gleichen in diesen Tagen oftmals Geisterstädten. Obwohl es offiziellen Angaben zufolge nur wenige Tausend Infizierte gibt und keinerlei Restriktionen mehr in Kraft sind, sind die Straßen leer – viele Menschen bleiben entweder krank zuhause oder haben Angst, sich anzustecken.
China wird derzeit von einer Infektionswelle überrollt, die selbst Experten überrascht. Nach der überraschenden Streichung aller Corona-Restriktionen vor wenigen Wochen verbreitete sich das Virus rasant. Laut den offiziellen Zahlen gab es am Montag gerade mal etwas mehr als 2700 neue Coronainfektionen landesweit.
Die Dunkelziffer dürfte jedoch weitaus höher liegen. Nach Schätzungen von Experten könnten allein in Peking mindestens die Hälfte aller rund 22 Millionen Einwohner infiziert sein.
Auch die deutsche Wirtschaft vor Ort ist betroffen. Der Auslandshandelskammer (AHK) in China zufolge gibt es eine hohe Zahl von kranken Mitarbeitern bei den Unternehmen. Die Kammer habe aber bislang keine „dramatischen Einschnitte oder Schließungen“ von Produktionsstätten beobachtet, so der Stand Mitte vergangener Woche.
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Vor allem drei Sektoren kämpfen in China derzeit mit hohen Krankenständen:
- Lieferdienste
- Krankenhäuser
- Apotheken
Auf den Straßen in Peking und Shanghai stapeln sich die Pakete. Staatliche Stellen in Peking riefen die Bevölkerung auf, sich zu melden, um als Fahrer vorübergehend einzuspringen.
In Krankenhäusern in Peking sind laut Schätzungen teilweise bis zu 70 Prozent der Belegschaft an Covid erkrankt. Mitarbeiter sind angehalten, arbeiten zu gehen, selbst wenn sie infiziert und ansteckend sind.
Bilder von überfüllten Gesundheitseinrichtungen und Menschen, die Infusionen auf der Straße bekommen, machen in sozialen Netzwerken die Runde.
Überfüllte Krematorien in Peking
Wie verschiedene Medien, darunter der britische Sender Sky News berichten, bildeten sich vor Krematorien in Peking lange Schlangen von Leichenwagen. Aus anderen Teilen des Landes gibt es ähnliche Berichte, die vor allem über die sozialen Netzwerke geteilt werden. Inzwischen überwachen offenbar Polizisten die Krematorien und verhindern unabhängige Recherchen von Journalisten vor Ort.
Studien prognostizieren, dass bis zu eine Million Menschen in China infolge des Virus sterben könnten. Obwohl Experten davon ausgehen, dass sehr viele Menschen seit der Lockerung der Corona-Restriktionen und der rasanten Verbreitung des Virus bereits an der Krankheit gestorben sind, berichten staatliche Stellen von weniger als zehn Corona-Toten seit Anfang des Monats.
„Die wenigen bisher gemeldeten Covid-Todesfälle sind verdächtig niedrig“, sagte William Schaffner, Experte für Infektionskrankheiten an der medizinischen Fakultät der Vanderbilt University in Tennessee, der Nachrichtenagentur Bloomberg. Auf einen raschen Anstieg der Infektionen folge in der Regel ein Anstieg der Covid-bedingten Todesfälle ein oder zwei Wochen später, so Schaffner.
Am Dienstag teilte die Nationalen Gesundheitskommission mit, dass es eine Änderung bei der Zählung der wegen Covid verstorbenen Menschen gab. Demnach würden nur noch Menschen, die positiv auf Covid getestet wurden und an Atemversagen starben, als offizielle Virustote gezählt. Menschen, die aufgrund einer anderen Krankheit oder eines Ereignisses wie eines Herzinfarkts gestorben seien, würden nicht als Virustote eingestuft, selbst wenn sie zu dem Zeitpunkt an Covid erkrankt gewesen seien, hieß es.
Die 1,4 Milliarden Einwohner Chinas trifft der massive Ausbruch der Krankheit in Teilen völlig unvorbereitet. Zwar sind insbesondere die Menschen mittleren Alters zumindest mit dem chinesischen Impfstoff geimpft – westliche Impfstoffe sind in der Volksrepublik weiterhin nicht zugelassen. Der chinesische Impfstoff ist zwar nicht so effektiv wie westliche mRNA-Impfstoffe, schützt aber dennoch vor schweren Verläufen. Bei vielen Infizierten sind die Symptome derzeit auch offenbar vergleichsweise mild.
Niedrige Impfquote bei der älteren Bevölkerung
Das große Problem ist derweil eine niedrige Impfquote bei der älteren Bevölkerung. In den vergangenen Wochen hat China eine Impfkampagne insbesondere bei diesem Teil der Bevölkerung gestartet. Chinesische Staatsmedien berichten von Behördenmitarbeitern, die von Tür zu Tür gehen und den Senioren anbieten, sie zu impfen. Für viele kommt die Impfung jedoch zu spät.
Mit dem Anstieg der Fälle hatte es einen Ansturm auf Medikamente zur Bekämpfung von Erkältungssymptomen gegeben, wie etwa Ibuprofen. Vor Apotheken standen Menschen Schlange, Staatsmedien riefen dazu auf, keine Arzneimittel zu horten. Einige staatliche Hersteller sind laut einem Bericht des chinesischen Wirtschaftsmagazin „Caixin“ inzwischen zu einer Produktion rund um die Uhr übergegangen und haben auch die Beschaffung aus Übersee verstärkt.
Experten sind sich einig, dass die landesweiten Proteste Ende November allenfalls einer von mehreren Faktoren waren, die zu der großen Öffnung geführt haben. Wichtiger waren demnach zwei Gründe: Erstens stieß die Null-Fall-Strategie angesichts der hochansteckenden Omikron-Variante an ihre Grenzen. Schon seit Oktober stiegen trotz drakonischer Maßnahmen die Fallzahlen immer weiter.
>> Lesen Sie hier: Proteste in Teilen Chinas gegen Corona-Politik – Menschen fordern Xi zum Rücktritt auf
Zudem belasteten insbesondere die ständigen Lockdowns die Wirtschaft extrem. Nicht nur der Konsum hat nachgelassen, im Oktober waren auch noch aufgrund der weltweit schwierigen Konjunkturlage die chinesischen Exporte eingebrochen – bis dato eine wichtige Stütze der zweitgrößten Volkswirtschaft der Welt.
Die Weltbank rechnet laut der jüngsten Prognose damit, dass das reale BIP-Wachstum in diesem Jahr voraussichtlich nur noch 2,7 Prozent erreichen wird. 2023 könnte es sich dann auf 4,3 Prozent erholen.
Mehr: Totale Überwachung und Unterdrückung – Chinas gefährliche Verwandlung
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