Wien Wenn Kriegsparteien kein Interesse an Friedensverhandlungen haben, schlagen sie unmögliche Bedingungen dafür vor. Es ist ein Spielchen mit der Megafon-Diplomatie, das Russland und die Ukraine gerade perfektionieren – mit dem Ziel, die andere Seite vor der Weltöffentlichkeit als Buhmann dastehen zu lassen.
In diese Kategorie passt auch der Vorschlag des ukrainischen Außenministers, im Februar einen Friedensgipfel unter Vermittlung der Uno durchzuführen. Die Vereinten Nationen seien jener Akteur, der am ehesten in der Lage sei, alle Parteien an den Verhandlungstisch zu bringen, hatte Dmitro Kuleba am Montag in einem Interview mit der Presseagentur AP erklärt.
Die Teilnahme Russlands verknüpfte er allerdings gleich mit einer Vorbedingung: Moskau müsse zunächst durch ein internationales Tribunal für seine Kriegsverbrechen in der Ukraine zur Rechenschaft gezogen werden.
Die Idee des Gipfels ist damit wohl eine Totgeburt. Seine Realisierung dürfte aber nicht das Hauptziel von Kulebas Vorschlag gewesen sein. Es dürfte ihm vielmehr darum gegangen sein, der Moskauer „Friedenspropaganda“ entgegenzutreten, die in den letzten Tagen auch zahlreiche internationale Medien unkritisch verbreiteten. „Nicht wir verweigern Gespräche, sie tun es“, behauptete Wladimir Putin zuletzt am Sonntag.
Dabei erwähnte der russische Präsident, dessen Truppen vor zehn Monaten ohne Provokation ins Nachbarland einmarschierten, die Ukrainer nicht einmal beim Namen. Putin sieht diese als Marionetten des Westens und erkennt sie deshalb nicht als Verhandlungspartner an.
Folgerichtig kommentierte der Kreml Kulebas Vorstoß mit den Worten, eine Friedenskonferenz ohne die Ukraine sei denkbar, eine ohne Russland hingegen nicht.
Der Kreml schließt zudem jegliche Zugeständnisse bei den Gebietsansprüchen aus. Russland beansprucht nicht nur die 2014 völkerrechtswidrig besetzte Halbinsel Krim, sondern auch die seither ebenfalls zum Preis von Zehntausenden Toten annektierten Gebiete Donezk, Luhansk, Saporischja und Cherson. Verhandlungen dienen aus Moskauer Sicht höchstens der Legitimierung dieses im Rahmen des Angriffskriegs durchgeführten Landraubs.
Trotz erfolgreicher Gegenoffensiven dürfte es aber für Kiew zunehmend schwierig werden, besetzte Gebiete zurückzuerobern. Russland kontrolliert weiterhin fast ein Fünftel des ukrainischen Staatsgebiets. Zwar sind die Truppen Moskaus außer im Donbass rund um die heftig umkämpfte Stadt Bachmut eher in der Defensive. Doch die Militärführung schickt Zehntausende neu mobilisierter Truppen an die Front und baut ihre Verteidigungslinien aus, was eine Rückeroberung auch auf mittlere Sicht erschweren dürfte.
Damit wird es für die Regierung in Kiew schwer, ihr Versprechen einer Heimholung aller besetzten Territorien inklusive der Krim einzulösen. Dieses gehört aber zu den 10 Punkten, die Präsident Wolodimir Selenski Mitte November als Vorbedingung für Verhandlungen formulierte.
Weitere Punkte sind ein politisch kaum realisierbares Tribunal und der sofortige Abzug aller russischen Truppen von ukrainischem Staatsgebiet.
Kein Interesse an Deeskalation
Da Moskau seine Kriegsziele nicht begrenzt hat und weiterhin die ganze Ukraine bedroht, ist selbst ein solcher Schritt illusorisch. Rückzüge hat Russland immer nur aus militärischer Notwendigkeit vorgenommen. Und seit diese auf dem Schlachtfeld unter Druck stehen, setzt die Armeeführung auf die Zerstörung der zivilen Infrastruktur.
Die verheerenden Angriffe auf die jüngst befreite Stadt Cherson mit 16 Toten in den letzten Tagen lassen nicht darauf schließen, dass Moskau irgendwelche roten Linien anerkennen würde.
Kiew konzentriert sich zwar größtenteils auf militärische Ziele, hat aber ebenfalls kein Interesse an einer Deeskalation. Die 600 Kilometer von ukrainischem Territorium entfernte russische Luftwaffenbasis Engels wurde am Montagmorgen zum zweiten Mal Ziel eines mutmaßlich ukrainischen Drohnenangriffs.
Außenminister Kuleba machte denn auch klar, dass Friedensgespräche das militärische Geschehen höchstens ergänzen: „Jeder Krieg endet als Folge der Handlungen auf dem Schlachtfeld und am Verhandlungstisch“, sagte er. Da Russland mit der Krim-Annexion 2014 und der Invasion im Februar jegliches Vertrauen zerstört hat, bleibt eine starke Armee die Überlebensgarantie der Ukraine.
Das militärische Patt und die fehlende Verhandlungsmasse bedeutet allerdings auch, dass der Krieg noch Monate oder gar Jahre weitergehen kann. Putin scheint dazu bereit, Russlands Wirtschaft zugrunde zu richten, derweil die Verteidigung der Ukraine maßgeblich von westlicher Hilfe abhängt.
Kaum Perspektiven
Ein Teil der Öffentlichkeit, auch im Westen, ist geneigt, der Täter-Opfer-Umkehr des Kremls Glauben zu schenken und Kiew als kompromisslose Partei des Krieges zu sehen. Das ist heikel für die Ukraine, denn es bedeutet, dass die politische Unterstützung für die Militärhilfe an die Ukraine längerfristig nicht in Stein gemeißelt ist.
Hinter den Kulissen üben westliche Hauptstädte sanften Druck auf Kiew aus, von Maximalforderungen Abstand zu nehmen. Sie wissen aber auch, wie schlecht die Perspektiven für Verhandlungen sind: Auf Moskau haben sie kaum Einfluss, Kiew können und wollen sie nicht durch den Entzug der Hilfe zu einer geopolitisch verheerenden Kapitulation zwingen.
Entsprechend meinte jüngst auch Uno-Generalsekretär Antonio Guterres, die Kampfhandlungen würden wohl bis auf weiteres fortdauern. Kulebas Initiative kommentierte seine Sprecherin prägnant: „Er kann nur vermitteln, wenn alle Parteien auch wollen, dass er vermittelt.“
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