Luxemburg Der Wiederaufbau in der Ukraine droht ins Stocken zu geraten, bevor er richtig begonnen hat. Zum Jahresende laufen die Garantien der EU-Staaten aus, mit denen die Europäische Investitionsbank (EIB) Infrastrukturprojekte in dem Kriegsland absichert. Das bedeutet, dass die Förderbank 2023 keine neuen Projekte finanzieren kann.
„Wir werden ab Januar kein Neugeschäft in der Ukraine mehr machen können, solange die nötigen Garantien fehlen“, sagt EIB-Chef Werner Hoyer im Interview mit dem Handelsblatt. Er warnt, ein Zurückfahren der Projektfinanzierung wäre „eine falsche Prioritätensetzung“.
Die aktuelle Situation sei „sehr unglücklich“. In den vergangenen Wochen waren die 27 Mitgliedstaaten und die EU-Kommission vollauf damit beschäftigt, 18 Milliarden Euro an Finanzhilfen für die Ukraine zu beschließen.
Damit sollen allerdings nur die laufenden Ausgaben der Regierung von Präsident Wolodimir Selenski für die kommenden Monate gedeckt werden. Die Verhandlungen im EU-Rat waren so schwierig, dass die EIB die Gespräche nicht mit eigenen Forderungen belasten wollte.
In der Ukrainefrage treffen aktuell zwei unterschiedliche Denkweisen aufeinander:
- In einigen europäischen Hauptstädten herrscht die Ansicht vor, dass es für den Wiederaufbau noch zu früh ist, solange der Krieg mit Russland läuft. Zunächst wollen die Partner sicherstellen, dass die Ukraine eine funktionierende Regierung und genug Waffen zur Landesverteidigung hat.
- In der EIB hingegen gilt eine funktionierende Wirtschaft als ähnlich wichtig für den Erfolg des Landes.
Die Debatte über Panzerlieferungen sei „ein bisschen eindimensional“, kritisiert Hoyer. Er hält den Wiederaufbau für dringend geboten. Die EU stelle richtigerweise Geld zur Verfügung, um die laufenden Ausgaben der ukrainischen Regierung zu finanzieren, sagt er. Auch liefen die bisherigen EIB-Programme in der Ukraine weiter.
Aber dass nun die zusätzliche Projektfinanzierung gestoppt werden soll, hält er für einen Fehler. „Es wäre jetzt entscheidend, mit Hilfe der EIB den Wiederaufbau zu starten.“
Die europäische Förderbank stellt ähnlich wie die deutsche KfW öffentliche Kredite und Garantien bereit. Ihre Aufgabe ist es, die europäische Integration voranzutreiben und EU-Ziele in aller Welt zu fördern. Die 27 Mitgliedstaaten haben das Eigenkapital bereitgestellt, die Bank finanziert sich aber eigenständig über Anleihen am Kapitalmarkt.
„Massenweise Projektideen“ für die Ukraine
Bankchef Hoyer erzählt in seinem Luxemburger Büro, er bekomme ständig Schreiben und Anrufe aus der Ukraine. Ein Bürgermeister habe ihm gesagt, sie hätten in seinem Ort in den ersten Kriegswochen eine Brücke über den Fluss zerstört, um die russischen Panzer am Vordringen zu hindern. Aber jetzt seien die Russen 500 Kilometer weit weg, und der Ort brauche eine neue Brücke.
„Die Brücke braucht man nicht in fünf Jahren, wenn die Ukraine gesiegt hat, sondern die braucht man jetzt, weil sonst die Region ökonomisch nicht mehr funktioniert“, sagt Hoyer. Die Leistungsfähigkeit der ukrainischen Wirtschaft sei beachtlich, und die müsse erhalten werden. Auch EU-Firmen seien bereit, sich zu engagieren, wenn sie entsprechende Garantien bekämen. Es gebe „massenweise gute Projektideen“, und die EU müsse bei deren Umsetzung mehr helfen.
Hoyer betont, dass die Bank kein frisches Kapital von den EU-Regierungen brauche. „Wir müssen nur in die Lage versetzt werden, das vorhandene Kapital zu nutzen.“ Natürlich seien Projekte in der Ukraine jetzt riskant, räumt der Bankchef ein. Er könne nicht ausschließen, dass die Russen neue Infrastruktur wieder zerschießen. „Aber das sind genau die Risiken, die man über ein gutes Risikomanagement und Risikoteilung abdecken muss – und kann“, sagt Hoyer.
An Spekulationen, wie viel der Wiederaufbau am Ende kosten wird, will Hoyer sich nicht beteiligen. Schätzungen reichen von einigen hundert Milliarden Euro bis zu mehr als einer Billion Euro.
„Es ist ganz klar, dass diese Summen niemals alleine aus den europäischen Staatshaushalten kommen werden“, sagt er. Deshalb müsse man mit begrenzten Budgetmitteln ein Vielfaches an privaten Mitteln mobilisieren. Genau das sei die Rolle der EIB.
Hoyer hält EU-Investitionsfonds 2023 für realistisch
Großen Finanzbedarf sieht Hoyer auch beim Thema Investitionen innerhalb der EU. Das jüngste Subventionsprogramm der amerikanischen Regierung, der Inflation Reduction Act, der mit fast 400 Milliarden Dollar grüne Technologien fördert, werde die Investitionslücke zwischen den USA und der EU noch vergrößern, meint Hoyer. „Ich sehe eine ganz große Gefahr, dass die Europäer in diesem Wettbewerb massiv verlieren und die Deindustrialisierung Europas voranschreitet.“
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Der EIB-Chef unterstützt daher die Idee eines europäischen Investitionsfonds, wie ihn die EU-Kommission bereits vorgeschlagen hat. Nach dem Vorbild der EIB könne er mit relativ wenig öffentlichen Mitteln deutlich mehr private Investitionen mobilisieren, so Hoyer.
Die Idee sei es, der Industrie bestimmte technologische Risiken oder Marktrisiken abzunehmen. Dann, so die Hoffnung, würden Unternehmen wie der schwedische Batteriehersteller Northvolt nicht in die USA abwandern.
Wenn man mit den Amerikanern konkurrieren will, muss man sich etwas ausdenken. Da darf man nicht zu klein denken. Ein dreistelliger Milliardenbetrag ist nötig. EIB-Chef Werner Hoyer
Obwohl sich mehrere Finanzminister, darunter Hoyers Parteifreund Christian Lindner (FDP), dagegen ausgesprochen haben, hält der Bankchef es für „durchaus realistisch“, dass ein solcher Investitionsfonds 2023 beschlossen wird.
Die Initiative müsse natürlich von den Mitgliedstaaten kommen, betont er. „Wenn man mit den Amerikanern konkurrieren will, muss man sich etwas ausdenken. Da darf man nicht zu klein denken. Ein dreistelliger Milliardenbetrag ist nötig.“
EIB will schneller werden, um mit China mitzuhalten
Auch im Wettbewerb mit der zweiten Supermacht China muss die EU aus Hoyers Sicht noch nachlegen. Das Investitionsprogramm „Global Gateway“, was in Brüssel als Antwort auf Chinas Seidenstraßenprojekt vermarktet wird, müsse die strategischen Ziele der EU verfolgen. „Goodwill allein reicht nicht aus“, sagt Hoyer.
China hatte in den vergangenen Jahrzehnten gezielt in Afrika, Asien und im Nahen Osten investiert, um sich Zugang zu Rohstoffen und kritischer Infrastruktur zu sichern. Auch die EU will nun ihre internationale Zusammenarbeit stärker an den eigenen ökonomischen Interessen ausrichten. Der EU-Kommission wird allerdings vorgeworfen, bestehende Entwicklungshilfeprojekte einfach umzuetikettieren statt die Mittelvergabe wirklich neu auszurichten.
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Mit Blick auf Afrika übt Hoyer auch Selbstkritik an seiner Bank. „Wir müssen sehr viel schneller werden“, sagt er. „Wenn wir für eine Projektbewertung zwei Jahre brauchen und die Chinesen sagen, wir bauen das in einem Jahr, dann weiß ich, wie die Regierungen in Afrika entscheiden.“ Da die EIB sich selbst als „Klimabank“ versteht und jedes Projekt auf Klimafolgen prüft, wird sie immer etwas länger brauchen. Aber man habe kürzlich beschlossen, die Abläufe bis zur Zusage eines Projekts um die Hälfte zu verkürzen, sagt Hoyer.
Schnelligkeit sei aber auch nicht das einzige Kriterium für die Partner. „Die Chinesen sind attraktiv, was das Tempo angeht, aber nicht, was die Konditionen angeht“, sagt der Bankchef. „Die hochgestellte Autobahn in Nairobi vom Flughafen in die Stadt zum Beispiel ist fast fertig. Aber die meisten Bürger werden sie nicht benutzen können, weil die Benutzungsgebühren sehr hoch sein müssen, um die chinesischen Kredite zu bedienen.“ Deshalb führten solche Projekte häufig zu einem gigantischen Anstieg der strukturellen Staatsverschuldung.
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