Dec 30, 2022
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Altersversorgung: Wie neue Anreize zur Frührente den Druck auf die Beitragszahler erhöhen

Written by Frank Specht


Obwohl das gesetzliche Renteneintrittsalter schrittweise auf 67 Jahre angehoben wird und aktuell bei 65 Jahren und elf Monaten liegt, waren die Erstbezieher einer Altersrente 2021 im Durchschnitt 64,1 Jahre alt – und damit wieder etwas jünger als in den beiden Vorjahren.

Das liegt auch an der sogenannten „Rente ab 63“, die allen vor 1953 Geborenen mit mindestens 45 Beitragsjahren erlaubte, ab diesem Alter abschlagsfrei in den Ruhestand zu gehen. Seither wird auch diese Altersgrenze schrittweise angehoben.

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Versicherte nehmen Abschläge auf Rente in Kauf

Bei der Einführung im Jahr 2014 hatte die Regierung jährlich rund 200.000 Antragsteller für die abschlagsfreie Rente für besonders langjährig Versicherte prognostiziert. Tatsächlich waren es im vergangenen Jahr nach Angaben der Deutschen Rentenversicherung Bund (DRV) rund 257.000. Ein Jahr zuvor lag die Zahl mit 260.000 Anträgen noch etwas höher.

Wegen der Rente ab 63 stünden den Betrieben viele hochqualifizierte Arbeitskräfte nicht mehr zur Verfügung, kritisiert Arbeitgeberpräsident Rainer Dulger. Doch die Menschen nähmen nur „die Möglichkeiten wahr, die sie qua Gesetz haben“, sagte DRV-Präsidentin Gundula Roßbach der Deutschen Presse-Agentur.

>> Lesen Sie hier: Milliardenüberschuss bei der Rentenversicherung

Viele Beschäftigte verabschieden sich aber auch dann vorzeitig aus dem Berufsleben, wenn sie dafür Abschläge bei ihren Altersbezügen in Kauf nehmen müssen. Fast jede vierte Altersrente, die im vergangenen Jahr erstmals gezahlt wurde, war mit Kürzungen verbunden, die sich im Durchschnitt brutto auf knapp 110 Euro monatlich beliefen.

Für jeden Monat, den Arbeitnehmer vor dem regulären Rentenalter ausscheiden, wird die monatliche Rente um 0,3 Prozent gekürzt. Wer ein Jahr vorher ausscheidet, muss also 3,6 Prozent Abschlag hinnehmen, bei zwei Jahren sind es 7,2 Prozent.

Das Institut der deutschen Wirtschaft (IW) hat nun aber ausgerechnet, dass die Abschläge noch zu niedrig kalkuliert sind und die Frühverrentung damit zulasten der Rentenkasse geht. In der Studie, die dem Handelsblatt vorliegt, vergleicht Ökonom Jochen Pimpertz, wie viel Geld ein Ruheständler bis zum Tod beim vorgezogenen und beim regulären Renteneintritt theoretisch erhalten würde. Dabei bezieht er die unterschiedliche Lebenserwartung von Männern und Frauen ein.

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Ergebnis: Soll die Rentenkasse durch den Vorruhestand nicht zusätzlich belastet werden, müsste der Abschlag für Männer, die ein Jahr vor dem regulären Rentenalter ausscheiden, eigentlich bei 4,6 Prozent liegen – und damit einen Prozentpunkt höher als nach geltendem Recht. Bei einem um drei Jahre vorgezogenen Renteneintritt müsste der Abschlag sogar um 1,6 Prozentpunkte angehoben werden.    

Frührentner werden zur Belastung für Beitragszahler

Bei den Frauen mit ihrer längeren Rentenbezugsdauer sind die Differenzen zwischen dem geltenden und dem „fairen“ Abschlag nicht ganz so groß. Bei einem um drei Jahre vorgezogenen Ausstieg könnte der gesetzliche Abschlag sogar geringfügig kleiner ausfallen als nach geltendem Recht.

Selbst bei einem „budgetneutralen“ Abschlag drohten den Beitragszahlern aber dauerhafte Belastungen, weil vorruhestandsbedingt mehr Rentner von weniger Beitragszahlern alimentiert werden müssten, gibt Pimpertz zu bedenken. Das kann Auswirkungen auf die Beiträge haben.

Der IW-Ökonom sieht deshalb mit Skepsis, dass die Ampelkoalition den Anreiz für einen vorzeitigen Rentenbezug sogar noch erhöht hat. Denn ab dem Jahr 2023 können Beschäftigte, die vorzeitig aus dem Arbeitsleben ausscheiden, zu ihrer Altersrente unbegrenzt hinzuverdienen. Abschläge und geringere Anwartschaften lassen sich damit mehr als ausgleichen.

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In der Coronakrise hatte die Bundesregierung zunächst die Zuverdienstgrenzen angehoben, um angesichts weit verbreiteter Personalknappheit Arbeitsanreize zu setzen. Jetzt fallen sie ganz.

Entscheiden sich nun noch mehr Beschäftigte für einen vorzeitigen Rentenbezug und verdienen sich nebenher etwas dazu, wächst der Druck auf die Beitragszahler, die die Frührenten „vorfinanzieren“ müssen. Pimpertz rät der Regierung deshalb, die Neuregelung zeitnah zu evaluieren, damit die erhoffte Abschwächung des Fachkräftemangels nicht zulasten der Beitragszahler geht.

Über 60-Jährige arbeiten länger als früher

Allerdings ist die Frührente nur die eine Seite der Medaille. Rentennahe Jahrgänge beteiligen sich heute viel stärker am Arbeitsleben als in früheren Jahren. So lag die Erwerbstätigenquote der 60- bis 64-Jährigen zuletzt bei gut 61 Prozent und damit dreimal so hoch wie zur Jahrtausendwende.

>> Lesen Sie hier: Wie Rentner steuerfrei Geld dazuverdienen können

Und auch wenn die Rente mit 67 erst ab 2031 gilt, arbeiten schon heute viele Arbeitnehmer länger. Wie aus der Antwort der Bundesregierung auf eine Anfrage der Linksfraktion hervorgeht, waren Ende März knapp 1,1 Millionen abhängig Beschäftigte 67 Jahre oder älter – 200.000 mehr als im Jahr 2015. Gut drei von vier übten einen Minijob aus.

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Geht es nach Arbeitgeberpräsident Dulger oder dem Wirtschaftsweisen Martin Werding, sollte das Arbeiten über 67 Jahre hinaus in der ferneren Zukunft zur Regel werden. Man dürfe angesichts des demografischen Wandels nicht den Eindruck erwecken, es könne dauerhaft bei der Rente mit 67 bleiben, sagte Werding der „Bild“-Zeitung.

Der Bochumer Ökonom, der einst auch die Sozialstaatskommission der Bundesvereinigung der Deutschen Arbeitgeberverbände (BDA) leitete, plädiert schon lange dafür, das Renteneintrittsalter an die steigende Lebenserwartung zu koppeln. Nach den aktuellen Statistikdaten wäre dann etwa im Jahr 2055 ein Eintrittsalter von 69 Jahren erreicht. Die Ampelkoalition will sich aber in dieser Legislaturperiode nicht mit einer weiteren Anhebung des Rentenalters beschäftigen.

Mehr: Leserdebatte – Sollten alle länger arbeiten, um den Fachkräftemangel zu bekämpfen?



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Politik

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