Sao Paulo Dass es keine Amtsübergabe nach demokratischen Gepflogenheiten sein würde, war schon vor dem Neujahrstag klar. Der vor zwei Monaten abgewählte brasilianische Präsident Jair Bolsonaro flog vor Silvester kurzerhand in die USA.
Auch Bolsonaros Vizepräsident und Reservegeneral Hamilton Mourão weigerte sich, an der Amtseinführung Luiz Inácio Lula da Silvas teilzunehmen. Das hatte es zuletzt am Ende der Militärdiktatur 1985 gegeben, als sich der Juntapräsident João Figueiredo weigerte, dem demokratischen Nachfolger die Amtsschärpe zu übergeben.
Die Zeremonie zur Amtseinführung Lula da Silvas sollte am späten Sonntagabend beginnen – unter massiven Sicherheitsvorkehrungen. Denn seit der Wahlniederlage vor zwei Monaten demonstrieren Anhänger Bolsonaros vor dem Hauptquartier des Heeres in Brasília gegen die Machtübergabe. Sie halten die Wahlen für gefälscht und fordern ein Eingreifen der Militärs.
Die Bundespolizei riet Lula dringend davon ab, im offenen Wagen durch Brasília zu fahren, wie es für Präsidenten beim Amtsantritt üblich ist. Denn es ist unklar, wer für die Sicherheit während der Amtsübergabe verantwortlich sein wird. Die Militärs, deren drei Waffengattungen während der Zeremonie eine wichtige Rolle spielen, sind ohne Führung. Es gibt Differenzen zwischen Heer, Marine und Luftwaffe darüber, wer am 1. Januar noch im Amt ist oder nicht. Teile der Militärs akzeptieren Lula nicht als Oberbefehlshaber.
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Für die Sicherheitslage ist das problematisch: Denn es ist schwer einzuschätzen, wie stark die Bolsonaro-Anhänger von den Militärs unterstützt werden. Der designierte Verteidigungsminister José Múcio Monteiro steht nun als Zivilist vor der schwierigen Aufgabe, die Armee, die unter Bolsonaro auch politisch einflussreich wurde, wieder auf ihre Aufgabe der Landesverteidigung zu beschränken.
Steinmeier trifft sich mit Lula da Silva
Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier, der zur Zeremonie nach Brasilien gereist war, sagte am Sonntag: „Es ist gut zu wissen, dass Brasilien zurück ist auf der internationalen Bühne.“ Der Bundespräsident hatte zuvor ein Vier-Augen-Gespräch mit Lula geführt.
„Wir brauchen eine brasilianische politische Führung, die ihre Rolle spielen wird – nicht nur in der wirtschaftlichen Kooperation, sondern auch beim Schutz des Weltklimas“, sagte Steinmeier. Er habe mit Freude festgestellt, dass Lula gewillt sei, mit Brasilien genau diese Rolle zu erfüllen. „Und er setzt darauf, dass internationale Kooperationsbereitschaft nicht nur von Deutschland, aber auch von Deutschland besteht.“ Die bilateralen Beziehungen hatten in den vier Amtsjahren Bolsonaros gelitten.
In Brasilia laufen intensive Verhandlungen über die Aufstellung der neuen Regierung. Es sei leichter, eine Wahl zu gewinnen, als ein Kabinett zusammenzustellen, stöhnte der designierte Präsident kürzlich, der bereits zwei Amtszeiten absolviert hatte, von 2003 bis 2011.
Seit zwei Monaten ist er mit der Personalauswahl für sein Kabinett beschäftigt. Hinzu kommen weitere Schlüsselpositionen in Staatskonzernen und Behörden sowie der zweiten Hierarchieebene in Politik und Verwaltung. 37 Minister hat er bereits ausgewählt. Erstmals ist mit elf Ministerinnen rund ein Drittel der Kabinettspositionen mit Frauen besetzt.
Lula kann sich im Kongress nicht auf eine Mehrheit stützen
Der Grund für den Verhandlungsmarathon bis zuletzt: Lulas Arbeiterpartei und die Linke besitzen im Kongress keine Mehrheit. Deswegen muss der Präsident möglichst viele Vertreter der Rechts-Mitte-Parteien in eine Koalition einbinden. Das geht in Brasilien traditionell mit Posten- oder Budgetzuweisungen.
Gleichzeitig muss Lula jedoch seine eigene Arbeiterpartei bedenken – und deren ausufernde Ansprüche auf einflussreiche Positionen im Zaum halten, um potenzielle Alliierte nicht direkt zu verprellen. So hat Lula etwa bei Verteidigung, Justiz, Finanzen oder für das Außenministerium auf enge, langjährige Vertraute gesetzt.
Damit will er die Regierungsmaschine möglichst schnell zum Laufen bringen. Positiv wird gesehen, dass Lula vor allem erfahrende Politiker und keine linken Ideologen eingesetzt hat. Viele von ihnen sind gerade als Gouverneure, Abgeordnete oder Senatoren gewählt worden und damit auch politisch stärker legitimiert, als es Parteifunktionäre oder Technokraten wären.
Eine Schlüsselrolle in Lulas Regierung dürfte das Umweltressort spielen. Seine ehemalige Umweltministerin Marina Silva wird das Ressort erneut übernehmen. Nach dem Desaster unter Bolsonaro will Lula mit einer neuen Umwelt- und Amazonaspolitik das ramponierte Ansehen Brasiliens als Regenwaldzerstörer und Klimasünder revidieren.
Eine ähnlich wichtige Position nimmt der neue Außenminister Mauro Vieira ein: Der erfahrene Diplomat soll Brasiliens Isolation in der Weltpolitik beenden und das Land wieder geopolitisch aufwerten – so wie in Lulas ersten Amtszeiten. Er soll zudem die Kontakte zu Europa, den USA und China wiederbeleben.
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Besorgt ist die Wirtschaft über die Ankündigungen zur künftigen Haushalts- und Wirtschaftspolitik: Denn die Regierung hat sich bereits vor Antritt massive Erhöhungen der Staatsausgaben genehmigen lassen. Lula will erneut den Staat als wichtigsten Akteur in der Wirtschaft sehen. Nach den ersten negativen Reaktionen auf den Finanzmärkten hat Lula, um die Investoren zu besänftigen, neben seinem engen Vertrauten Fernando Haddad als Finanzminister nun zwei konservative Minister an die Spitzen der Ressorts Planung sowie Industrie, wirtschaftliche Entwicklung und Handel gesetzt.
Lula weiß genau, dass die wirtschaftliche Entwicklung in den nächsten Monaten für den Erfolg seiner Regierung entscheidend sein wird. Es ist offensichtlich, dass Bolsonaro darauf spekuliert, dass Lulas Popularität angesichts der schwachen Wirtschaftsentwicklung bald sinken könnte. Der liberale Politiker Tasso Jereissati prognostiziert: „Wenn Lula in der Wirtschaft scheitert, wird Bolsonaro wiederauferstehen.“
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