Washington Die US-Demokraten machen sich auf ein kompliziertes Jahr gefasst, denn am Dienstag konstituiert sich der neue US-Kongress. Dann ist die Zeit ihrer uneingeschränkten Mehrheit in Washington vorbei.
Bei den Zwischenwahlen im Dezember hatte die Partei von US-Präsident Joe Biden ihren Vorsprung im Repräsentantenhaus eingebüßt, die Republikaner übernehmen dort die Kontrolle. Den Senat konnten die Demokraten halten. Das Resultat ist ein gespaltener US-Kongress.
Auswirkungen hat das am ehesten auf die innenpolitische Agenda, von der Biden in der zweiten Hälfte seiner Amtsperiode wohl nur noch wenig umsetzen kann. Aber auch außenpolitisch ist der Präsident in zentralen Fragen auf den Kongress angewiesen – vor allem bei solchen, die für Europa relevant sind. Ukraine, China, Iran – was die Welt vom neuen US-Kongress erwarten kann: der Überblick.
Kurz vor Weihnachten war der ukrainische Präsident Wolodimir Selenski nach Washington gereist, um sich für die Finanzspritzen der Amerikaner zu bedanken – und um neue Unterstützung einzufordern. Ohne den Westen, warnte er, könne sein Land die russische Invasion nicht überleben.
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Im vergangenen Jahr hatten die USA der Ukraine mehr als hundert Milliarden US-Dollar überwiesen. Weitere 45 Milliarden US-Dollar wurden vor Kurzem bewilligt, dazu kommen Lieferungen des Patriot-Flugabwehrsystems. Im politischen Washington geht man nicht davon aus, dass der Krieg in der Ukraine zeitnah beendet sein wird – es läuft also auf ein dauerhaftes Engagement der USA hinaus.
Allerdings könnten einige Rechtsaußen-Politiker versuchen, die Ukraine-Gelder zu bremsen. Laura von Daniels, Leiterin der Forschungsgruppe Amerika bei der Stiftung Wissenschaft und Politik (SWP), schreibt, Biden könne seine Unterstützung für die Ukraine fortsetzen, „allerdings vermutlich in engeren finanziellen Grenzen“.
Das, erklärt die Expertin, habe direkte Konsequenzen für die EU: Die Signale aus Washington erhöhten „den Druck auf die europäischen Staaten, eigene Beiträge zur Unterstützung der Ukraine zu überprüfen“.
Die Stimmen der Republikaner sind wegen ihrer neuen Mehrheit im Repräsentantenhaus zwingend erforderlich, um die Schuldengrenze der USA anzuheben und den jährlichen Haushalt zu verabschieden.
Sollten sie bestimmte Forderungen durchsetzen wollen – etwa Kürzungen bei Sozialausgaben oder mehr Geld für den Grenzschutz –, könnten die Ukraine-Hilfen zur Verhandlungsmasse werden.
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Einen Vorgeschmack auf die unsicheren Zeiten auf dem Capitol Hill gibt es an diesem Dienstag. Dann will der Republikaner Kevin McCarthy zum „Speaker of the House“, also zum Vorsitzendem der Parlamentskammer und damit in das dritthöchste Amt im Staat, gewählt werden. Dafür braucht er die Stimmen fast aller Republikaner in der Kammer. Um mehr Stimmen zu bekommen, könnte McCarthy ihnen einen härteren Ukraine-Kurs zusichern.
2. China: Mehr Regulierung – und mehr Druck auf die EU
Die ohnehin fragilen Beziehungen zwischen den USA und China könnten sich noch mehr verschlechtern. Bislang fährt die Biden-Regierung zweigleisig: Die USA wollen China wirtschaftlich schwächen, etwa durch Strafzölle und Exportkontrollen in strategisch wichtigen Branchen.
Gleichzeitig aber will Biden den Dialog mit Peking aufrechterhalten, um pragmatisch in der Klimapolitik oder in der Nordkorea-Frage zusammenarbeiten zu können. Im Oktober trafen sich Biden und Chinas Staatsoberhaupt Xi Jinping am Rande des G20-Gipfels, Außenminister Blinken will zum Jahresbeginn nach China reisen.
Außerdem gründete das US-Außenministerium kürzlich symbolträchtig ein „China-Haus“, um eine gemeinsame „Vision eines offenen, integrativen internationalen Systems voranzutreiben“. Mit der Konstituierung des neuen Kongresses könnte es mit der zarten Annäherung schnell vorbei sein. Der nächste Präsidentschaftswahlkampf ist nicht weit entfernt, Demokraten und Republikaner könnten sich mit Anti-China-Politik überbieten wollen.
Vor Kurzem verbot der Kongress die Nutzung von Tiktok für Regierungsbeamte, doch viel weitreichendere Restriktionen sind wahrscheinlich: So erwägt der Kongress bislang beispiellose Regierungsbefugnisse zur Überprüfung ausgehender US-Investitionen.
Wird der sogenannte „National Critical Capabilities Defense Act“ (NCCDA) beschlossen, wären zahlreiche High-Tech-Branchen betroffen, von Luft- und Raumfahrt und Verteidigung über Fintech bis hin zu Pharmazeutika. Ziel ist es, den Fluss von US-Kapital und geistigem Eigentum ins Ausland – insbesondere nach China und Russland – schärfer zu kontrollieren.
Der harte Anti-China-Kurs hat Auswirkungen auf Europa. „Zum Beispiel könnte Washington von der EU fordern, ihre Sanktionen gegen China auszuweiten und ihre Investitionskontrollen nachzubessern“, schreibt SWP-Expertin von Daniels.
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Ein neuer China-Ausschuss im Repräsentantenhaus, geleitet vom republikanischen Abgeordneten Mike Gallagher, soll Peking auf verschiedenen Ebenen unter Druck setzen. Und McCarthy, der mögliche neuer Sprecher des Repräsentantenhauses, kündigte eine Reise nach Taiwan an, der selbstverwalteten Insel, die China als sein Territorium beansprucht. Ein Besuch der bisherigen Sprecherin Nancy Pelosi war in Peking als Affront verurteilt worden.
Die US-Regierung befürchtet eine mögliche chinesische Invasion in Taiwan. Nicht nur sicherheitspolitisch wäre das verheerend – auch wirtschaftlich spielt Taiwan für die USA eine große Rolle: Die Insel ist treuer Kunde amerikanischer Verteidigungstechnologie und ein global führender Chiphersteller.
3. Iran: Der Atomdeal JCPOA wird zurückgestellt
Die Republikaner wollen Bidens Iran-Politik attackieren. Aus ihrer Sicht geht der US-Präsident zu zaghaft mit Teheran um. Das Regime lässt Demonstrationen gewaltsam niederschlagen, führt öffentliche Hängungen durch und liefert Drohnen an Russland, die im Ukrainekrieg eingesetzt werden. Der US-Präsident hat die Sanktionen verschärft, doch eine weitere Eskalation liegt nicht in seinem Interesse.
Eine Rückkehr zum Atomdeal JCPOA (Joint Comprehensive Plan of Action) – den Donald Trump 2018 aufkündigte – gehört zu Bidens Wahlversprechen. Aktuell wird der JCPOA zurückgestellt, weil das Weiße Haus derzeit keinen Kompromiss mit dem Iran für möglich hält. Doch eine Rückkehr in den Vertrag offiziell auszuschließen, diesen Schritt ist Biden bislang nicht gegangen. „Ich denke, dahinter steckt die Angst, nicht zu hart auftreten zu wollen“ sagte der frühere Sicherheitsberater im Weißen Haus unter Trump, John Bolton, dem Handelsblatt.
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Mehr Druck könnte Biden aus Israel bekommen, wo Benjamin Netanjahu erneut zum Premierminister gewählt wurde. 2015 hatte Netanjahu eine Einladung der Republikaner im Repräsentantenhaus angenommen und in einer Rede die Pläne für den JCPOA scharf kritisiert. Womöglich, so heißt es auf dem Capitol Hill, könnte es noch einmal zu einem Auftritt kommen.
In dieser Gemengelage scheint es für Biden kaum möglich, die Atomverhandlungen mit Teheran wieder aufzunehmen – auch wenn in Europa die Sorge vor einer atomaren Bewaffnung des Irans wächst.
Die Diplomatie scheint in einer Sackgasse, während Teheran weiter Uran anreichert. Die Machtverhältnisse im Kongress, kombiniert mit der instabilen Lage im Iran, „machen eine baldige Rückkehr der USA zum JCPOA höchst unwahrscheinlich“, analysiert die Washingtoner Denkfabrik Arab Center.
Wahrscheinlich dürfte der neue Chef-Außenpolitiker im Repräsentantenhaus, der Republikaner Michael McCaul, den Iran ganz oben auf die Agenda setzen. Auch der chaotische Afghanistan-Abzug im Sommer 2021 soll besprochen werden, eine Untersuchung im Kongress gilt als sicher.
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